Mit ÖVP-FPÖ-Koalitionen in der Regierung hat Österreich Erfahrung: Im Bund gab sie in den Jahren 2000 bis 2005 und von 2017 bis 2019. Welche sozialpolitischen Auswirkungen hatte das konkret? Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiter:innenkammer Wien, erinnert uns.
Die Nationalratswahl 2024 ist geschlagen, die FPÖ ist stärkste Kraft. Herbert Kickl fordert eine «Mitte-Rechts-Koalition» mit der ÖVP unter seiner Kanzlerschaft. Was haben die bisherigen ÖVP-FPÖ-Koalitionen aus sozialpolitischer Sicht bedeutet?
Sybille Pirklbauer: Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass die FPÖ zwar immer rhetorisch sagt, dass sie sich «für den kleinen Mann», wie sie das formuliert, einsetzt. In ihrer Politik spiegelt sich das jedoch überhaupt nicht wider. Im Gegenteil gab es durch Regierungen unter Beteiligung der FPÖ immer Verschlechterungen. Und zwar nicht nur für Menschen, die zugewandert sind, oder für Asylwerber:innen, sondern auch für viele andere in Österreich lebende Menschen. Armutsbetroffene Menschen waren auch Ziel von Angriffen.
Wie haben sich die Angriffe geäußert?
Eine der schwerwiegendsten Verschlechterungen, die die letzte türkis-blaue Regierung gemacht hat, war das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz. Durch dieses Gesetz gibt der Bund den Ländern einen neuen Rahmen für die Sozialhilfe, beziehungsweise Mindestsicherung, vor. Die alte Mindestsicherung hat das gemacht, indem gesagt wurde: Es gibt Mindeststandards, die alle Bundesländer einhalten müssen. Unter die darf man nicht drunter fallen. Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz hat das genau ins Gegenteil umgedreht und Höchstsätze festgelegt, die man nicht überschreiten darf. Man hat einen Deckel eingezogen, der Menschen in Armut hält, und den Bundesländer nicht überschreiten dürfen. Einige Regelungen des Gesetzes waren verfassungswidrig. Unter anderem die Regel, dass es Deutschkenntnisse braucht, um Sozialhilfe zu beziehen.
Führt die FPÖ politische Themen in die Debatte ein, denen andere Parteien dann nachfolgen?
Die ÖVP hat ja in der Migrations- und Asylpolitik inzwischen das Programm der FPÖ weitgehend kopiert und unter ihrem ehemaligen Parteichef Sebastian Kurz auch besonders offensiv vertreten. Aber man kann sagen, dass beide Parteien immer schon große inhaltliche Überschneidungen hatten, auch wenn sie teilweise anders geklungen haben: Zum Beispiel wenn es um so Dinge ging wie die Einführung des 12-Stunden-Tags oder der 60-Stunden-Woche, die Senkung der Körperschaftssteuer für große Konzerne oder die Demontage des Sozialstaats.
Hat diese Demontage auch strukturell sozialstaatliche Einrichtungen betroffen?
Da ist ein gutes Beispiel die Enteignung von Arbeitnehmer:innen bei der Sozialversicherung unter dem Deckmantel der Zusammenlegung, die ja überhaupt nicht passiert ist. Man hat einfach ein Dach darübergelegt und eine Arbeitgeber:innen-Mehrheit installiert. Mittlerweile sehen wir, warum das so ein großes Problem ist. So werden inzwischen Anträge auf Invaliditätspension extrem oft abgelehnt. Die Betroffenen finden sich dann in einem Pingpong-Spiel zwischen AMS und den Sozialversicherungsträgern wieder. Das AMS sagt: «Diese Person ist nicht mehr vermittelbar und braucht Invaliditätspension.» Die Sozialversicherung sagt: «Doch, da geht noch was. Die Person soll sich halt auf Krücken zur Arbeit schleppen und alle halbe Stunden Pause machen. Für die Pension ist sie zu gesund.»
Das liegt ja im Trend. Arbeitsminister Kocher von der ÖVP hat immer wieder neue Zwangsmaßnahmen gefordert, um Menschen zur Arbeit und zu längeren Arbeitszeiten zu bringen.
Ja, das war auch ein erklärtes Ziel der vergangenen türkis-blauen Koalition. Es gab zum Beispiel Versuche, ein Modell einzuführen, das bedeutet hätte, dass Arbeitslose immer weniger Sozialleistungen bekommen, je länger sie arbeitslos sind. Kommt eine neue türkis-blaue Koalition, könnte ich mir vorstellen, dass sie solche Dinge umsetzen wird.
Gibt es im blauen Wahlprogramm für die Nationalratswahl 2024 konkrete Anzeichen, wohin die Reise hier gehen könnte?
Die Wahlprogramme sind immer erstaunlich unkonkret. Da wird von der Schaffung «stärkerer Anreize für die Arbeitsaufnahme» gesprochen und Ähnliches. Aber wenn wir uns überlegen, dass das Arbeitslosengeld 55 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens beträgt, können wir uns vorstellen, was es bedeutet, wenn dieser Prozentsatz noch weiter runtergeschraubt wird. Da werden die Menschen dann gezwungen, auch ganz miese Jobs anzunehmen, um über die Runden zu kommen.
In einer Pressekonferenz hat Herbert Kickl gesagt, er wünscht sich Normalität für Österreich. Was heißt Normalität in einer FPÖ-geführten Regierung?
Normalität hat in der türkis-blauen Regierung zum Beispiel massiv aufgeblähte Kabinette und ein Generalsekretariat bedeutet, was viel Geld verschlungen hat. Es gab Rekordausgaben für Public Relations Maßnahmen der Regierung, während Sozialausgaben gekürzt wurden. Gleichzeitig immer diese rhetorischen Angriffe auf die Schwächsten in der Gesellschaft, insbesondere auf Asylwerber:innen. Viele Angriffe, die rassistisch begründet werden, wie zum Beispiel Kürzungen bei der Familienbeihilfe, treffen schlussendlich auch Österreicher:innen.
Gibt es denn ein Klientel, das von der FPÖ an der Regierung profitiert hat?
Ganz viele Unternehmensvertreter:innen werden mit der FPÖ sehr glücklich gewesen sein. Es gab Senkungen der Sozialbeiträge für Unternehmen, insbesondere bei der Unfallversicherung. Es gab Steuersenkungen, etwa bei der Körperschaftssteuer. Erwerbslose wurden noch stärker gezwungen, auch schlechte Jobs anzunehmen. Und es gab massive Angriffe auf die Arbeiterkammern, die damals noch abgewehrt werden konnten. Ziel war es aber, diese Institution massiv zu schwächen, und damit auch die Interessen von Menschen zu beschädigen, die auf den Sozialstaat angewiesen sind.
Stehen Attacken auf die AK wieder auf der Tagesordnung?
Ich rechne bei drei Punkten damit, dass sie diesmal wenig Zeit damit verlieren würden, die auch tatsächlich umzusetzen, weil das in der Vergangenheit wichtige Ziele für Schwarz- bzw. Türkis-Blau waren. Das sind erstens weitere Verschlechterungen beim Arbeitslosengeld. Das zweite wäre die komplette Abschaffung der Allgemeinen Unfallversicherung. Auch das war ein erklärtes Ziel der damaligen Bundesregierung. Und das dritte ist die Schwächung und finanzielle Aushöhlung der Arbeiterkammer, um Hindernisse für weitere Verschlechterungen für Arbeitnehmer:innen aus dem Weg zu räumen.
Seit einiger Zeit ist wieder viel von kommenden Sparpaketen die Rede.
Das nächste Budget wird vor dem Hintergrund eines sehr hohen Konsolidierungsbedarfs von zwei bis drei Milliarden Euro pro Jahr erstellt. Das wurde im Wahlkampf überhaupt nicht thematisiert. Der Finanzminister hat immer geleugnet, dass Einsparungen drohen. Gleichzeitig hat er noch einmal großzügig Geld ausgegeben, um die eigene Klientel in Landwirtschaft und Industrie mit Förderungen zu bedienen. Wenn jetzt beim Sozialstaat weiter eingespart wird, betrifft uns das alle. Denn wir alle brauchen doch funktionierende Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten.