Kultur als Naturtun & lassen

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«Dass alle Leute außerhalb Mitteleuropas für ihre Handlungen keine Gründe, sondern Kultur haben sollen …», sinniert der Privatdetektiv, als er mit der Erklärung seines Auftraggebers konfrontiert wird, es würde wohl an der Kultur von Sri Dao, einer Frau thailändischer Herkunft, liegen, dass sie auf seinen Heiratsantrag hin wütend wurde. Krimiautor Jakob Arjouni lässt seine Figur spitz sagen, was Kulturalisierungen bewirken können: Du bist Kultur, alles, was du sagst, ist Kultur, alles, was dich ausmacht, ist Kultur, alles, was du tust, erklärt Kultur. Sonst hast du keine Gründe.

Eine Mitarbeiterin des Gesundheitsamts erzählt von vielen kranken Familien, die zu ihr kommen, darunter viele mit türkischer Herkunft. Gefragt nach den Hintergründen zählt die Frau vom Gesundheitsamt auf: Schlechte Wohnungen, feuchte Wände, krankmachende Arbeit. Als Unterstützung wünscht sie sich, mehr über Religion und Kultur zu erfahren, um besser mit ihren Klient_innen umgehen zu können. Aber hallo? Ihr Rückgriff auf Kultur löst nicht das Problem der Familien, scheint aber machbarer, naheliegender zu sein, statt das ferne »Politische«, Strukturelle anzugehen; nämlich die schlechten Wohnverhältnisse zu verändern. An diesem Beispiel wird deutlich, dass Kultur fast als Natur der Menschen gedacht wird. Kultur ist mittlerweile die Frage und die Antwort zugleich, merkt die Sozialwissenschafterin Anita Kalpaka an. Auf der Strecke bleiben die Lebensbedingungen, die Verhältnisse, die konkreten systemischen Zusammenhänge.

Eine Lehrerin bittet ihre Schüler_innen, das in ihren Herkunftsländern typische Frühstück mitzunehmen. Am nächsten Tag kommen auch alle und decken den Frühstückstisch nach ihrer kulturellen Herkunft. Das Problem aber ist, dass viele Kinder die Herkunftsländer gar nicht kennen, als deren Vertreter sie für die Lehrerin und die Mitschüler gelten. Zwei Kinder erzählen, dass sie gar nicht frühstücken. Schüler_innen haben zwar als Vertreter von Nationalitätengruppen gesprochen, aber nicht als einzelne Kinder. Eine angemessene Formulierung für die Idee der Lehrerin könnte lauten: Was frühstückt ihr zu Hause? Bringt morgen etwas davon in die Schule mit. Durch einen solchen Auftrag würde das angesprochen, was die Kinder tatsächlich tun, und nicht das, was sie als Vertreter einer Nation erwartungsgemäß tun sollen. So kann über die eigenen Frühstücksgewohnheiten, aber auch über die anderer Menschen gesprochen werden, aus anderen Ländern, aber auch zum Beispiel von Schichtarbeiter_innen oder von Babys etc.

Kulturalisierung ist eine Form des Verstehenwollens. Sich auf diese Weise aber Sicherheiten und Klarheiten zu verschaffen, geht auf Kosten der konkreten Menschen, und auf Kosten der Chance, deren Handlungsgründe differenziert wahrzunehmen. Es ist aber unerlässlich – gerade für Kindergärtner_innen, Lehrende, Pfleger_innen -, statt von der vermeintlichen Kultur vom Tun der Menschen unter bestimmten Lebensbedingungen auszugehen. So werden sie lebendig, die Menschen als Handelnde, als Subjekte, und nicht als Kulturmarionette oder als Objekte der Fürsorge; und lebendig werden gleichzeitig die sozialen, strukturellen Lebensbedingungen. Denn es kommt nicht selten vor, dass das Reden über die andere Kultur das Schweigen über die Verhältnisse organisiert.

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