Kulturelle FrischluftkurArtistin

Literatur und Theater im Thalholf in Reichenau

Um zur Rax zu fahren, braucht man nicht unbedingt Wanderschuhe. Der Thalhof in Reichenau ist im August auch Destination für Kultur-Wandernde. Unter dem Titel wortwiege stehen Theater, Literatur und Film am Programm. Veronika Krenn (Text und Foto) war bei der Eröffnung.

Ein goldockerfarbener Gebäudekomplex prangt im Grün. Es ist ein Fleckchen Erde, an dem eine – nicht nur aufgrund der alpinen Luft – das Gefühl beschleicht, in einem anderen Universum gelandet zu sein.

Der Thalhof in Reichenau, einem rund 2500-Seelen-Gemeinde am Fuße der Rax, ist ein Ort, der Geschichte atmet. Ebenso einer, der Naturgewalten – in Minutenschnelle brauen sich am Himmel dunkle Wolken zusammen, die nach Entladung fiebern. So geschehen im vergangenen Jahr, dramaturgisch passend, zur Premiere von Anna Maria Krassniggs Inszenierung von Am Ende eines kleinen Dorfes, als es wie aus Schaffeln schüttete und gigantische Blitze den Himmel durchzuckten. Im ehemaligen Ballsaal des Thalhofs hält eine stattliche Fensterfront den Blick für solche Naturschauspiele offen. Zwei Terrassen erlauben zusätzlich, die Nase an die frische Luft zu halten und das Felsmassiv hinter dem Haus zu bestaunen.

Kultur-Geschichte


Zum offiziellen Thalhof-Opening, das heuer am 16. Juni stattfand, war der Himmel hold. Schon mit der Eröffnung der Südbahnstrecke im Jahr 1842 wurde Reichenau zu einem begehrten Reiseziel. Kulturell bekannt ist es heute vor allem durch die vom Ehepaar Peter und Renate Loidolt 1988 begründeten Festspiele Reichenau. Die seit 2015 durch den vom Ehepaar Josef und Ursula Rath übernommenen und heuer fertig renovierten Thalhof Konkurrenz bekommen hatten.

Er habe sich in den Hof verliebt, erzählt Josef Rath, der selbst aus der Gegend stammt. Gemeinsam mit seiner Frau Ursula, die zu Beginn skeptisch gewesen sei, haben sie den denkmalgeschützten Bau von der Familie Waissnix erworben, und ihn über die Jahre renoviert. Ignaz Waissnix, deren Vorfahre, besaß den Hof zumindest seit 1652, als das Landgut erstmalig als Gaststätte erwähnt wurde. In der Biedermeierzeit war der Thalhof ein Hotel, in dem eine gebildete Gesellschaft, Künstler_innen, Dichter_innen und Denker_innen, verkehrte. Arthur Schnitzer knüpfte dort zarte Bande zur Wirtin Olga Waissnix. Nicht nur er setzte dem Hof ein literarisches Zeichen, auch Peter Altenberg und viele andere waren Gast im Haus.

1906, als der östlichste Trakt des Thalhofs zum Kurhaus umgebaut wurde, war dafür Carl Otto Czeschka, ein wichtiger Vertreter der Wiener Werkstätte, gewonnen worden. Diesen nun vom Ehepaar Rath liebevoll renovierten, mit historischem Mobiliar ausgestatteteten Räumlichkeiten, wurden bei der Eröffnung mit Lesungen klassischer und neuer Autor_innen neues Leben eingehaucht. Theodora Bauer etwa, von der heuer auch das Stück Am Vorabend zur Premiere kommen wird, las – gemeinsam mit Daniel Kamen – aus ihrem Buch Chikago. Passend zum politischen Dauerbrenner «Flüchtlingskrise» erinnert sie darin an junge Menschen im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges, die aus wirtschaftlichen und politischen Gründen zur Flucht aus dem Burgenland getrieben wurden.

Weibliches Schaffen


Künstlerische Leiterin der Thalhof wortwiege ist Anna Maria Krassnigg, die schon in den vergangenen Jahren weibliches Schaffen verstärkt in den Fokus rückte. Seien es Zeitgenossinnen oder Klassikerinnen, denn sie hat sich einer zumindest 50-prozentigen künstlerischen Zeitgenoss_innenschaft verschrieben.

Die in Österreich und Italien aufgewachsene Regisseurin inszenierte an Bühnen im In- und Ausland, ehe sie 2008 den Theater-Salon5 in Wien gründete. Sie führte ihn bis Ende 2017 weiter – gemeinsam mit dem Komponisten und Theater- und Filmproduzenten Christian Mair, mit dem sie auch den Thalhof leitet.

In seiner Vorstellung des neuen Thalhof-Konzepts sprach Josef Rath von seiner Faszination, dass am Theater «aus Nichts etwas gemacht werde». Das habe er am Salon5, unter Anna Maria Krassnigg erfahren und sei der Grund dafür gewesen, ihr die künstlerische Programmierung anzuvertrauen. Krassnigg selbst erzählte, sie habe sich «in den Wahnsinn dieses Unterfangens» verliebt, das Gebäude zu neuem Leben zu erwecken. Besonders am Herzen liegen ihr neben den lange marginalisierten Frauen in der Literatur auch vergessene und verdrängte jüdische Literat_innen, wie etwa Robert Neumann, mit dessen Hochstaplernovelle sie 2015 den Thalhof eröffnete.

Im diesjährigen Theaterprogramm liegt ein Schwerpunkt auf Marie von Ebner-Eschenbach. Jeder Aufführung geht ein Salongespräch (die Thalhofgespräche) voran, in dem Personen aus Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft – Daniela Strigl, Ferdinand Schmalz, Ulrike Tanzer und andere – über Ebner-Eschenbachs Aphorismus Das Recht des Stärkeren ist das stärkste Unrecht diskutieren. Mit der Entscheidung für Ebner-Eschenbach knüpft Krassnigg an den Erfolg ihrer im vergangenen Jahr inszenierten szenischen Uraufführung der Novelle Die Totenwacht an. Sie hatte diese unter dem Titel Am Ende eines kleinen Dorfes als frühes Beispiel einer weiblichen Selbstermächtigung eindrucksvoll auf die Bühne gebracht. Heuer inszeniert sie von Ebner-Eschenbachs Maslans Frau, wo eine Bäuerin auf das gleiche Recht und die gleiche Würde pocht, welche Männern zustehen. Kombiniert wird der Abend mit Anna Polonis zeitgenössischem Einakter Tiefer als der Tag. Ebenfalls zu sehen sein werden Das tägliche Leben von Ebner-Eschenbach und Raxleuchten II – Eine szenisch-musikalische Reise durch die Thalhof-Literatur. Dazu noch Kurzfilme der Wiener Filmakademie zum Thema Music & Democracy und die Premiere von Koschka Hetzer-Moldens Frauen in Weiß. Frischluft-Tanken mit Kultur an der Rax ist eine Option geworden.

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