Lokalmatadorin
Beate Norman kann beim Blasorchester der Wiener Netze Luft ablassen und durchatmen. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).
Westside Story im Osten von Wien: Vor der Pause üben die 45 Orchestermusiker_innen die weltbekannten Musicalklänge. Früher nannte man sie in Wien «die Gaserer», und sie spielten bei allen Festveranstaltungen des städtischen Gaswerks. Heute hat die Kapelle im modernen Smart Campus in Simmering ein neues Zuhause. Und einen neuen Namen.
Gaswerk war gestern, heute wird das Unternehmen, das für die Adern und Venen einer energiegeladenen Großstadt verantwortlich ist, Wiener Netze genannt. Was bei der Probe auffällt: Das Netz-Management steht zu seiner Tradition und seinem Orchester, das in zwei Jahren den Hunderter feiern will. Das beweist nicht zuletzt der neue Proberaum, der von der Ausstattung her alle Stückerln spielt.
Mitten drinnen in dieser Wiener East Side Story: eine gebürtige Steirerin, die Medizinerin Beate Norman. Sie ist eine von jenen, die in ein Flügelhorn blasen und damit für die Melodie sorgen.
«Für mich sind die Proben am Mittwoch ein wunderbarer Ausgleich zum Beruf», sagt Norman in der Pause. Sie kam auch heute direkt von ihrer Arbeit, von einer privaten Gemeinschaftspraxis, die sie mit ihrem Organisationstalent gut am Laufen hält.
Vivaldis Jahreszeiten lassen sie nach der Pause sofort wieder in die Musik eintauchen. Sie achtet auf die Kommandos des Kapellmeisters und Motivationskünstlers Michael Holzer, die Kooperation der einzelnen Instrumente, und sie konzentriert sich auf die Noten auf dem Papier und die daraus resultierenden Töne.
Beate Norman ist in jedem Fall eine Bereicherung für Wien. Sie ist in der obersteirischen Bezirkshauptstadt Leoben aufgewachsen, ist dort zur Schule gegangen und mit der Blasmusik nachhaltig groß geworden. «Wir hatten in der Hauptschule einen sehr guten Musiklehrer. Der war auch Kapellmeister bei der Hinterberger Blasmusik. Er hat meine Schwester, meinen Bruder und mich dazu inspiriert, ein Instrument zu lernen.» Mit elf beginnt sie bei den Hinterbergern zu spielen, mit 14 bei der Gösser Brauereimusik. Später lässt sie sich in Graz zur Leiterin eines Orchesters ausbilden.
Ursprünglich, erzählt die Mittfünfzigerin, habe sie Klarinette gelernt. Doch der weiche, unaufdringliche Klang des Flügelhorns passt besser zu ihrem Naturell und ihrer Biografie: Nie will sie laut die Trompete spielen, lieber sorgt sie im Hintergrund dafür, dass ein Gesamt-Kunstwerk entsteht. Das war schon als diplomierte Krankenpflegerin im AKH so, als Mutter von zwei heute erwachsenen Söhnen und als Medizinstudentin. Und das ist heute so als gute Seele in der Arztpraxis.
Ein langjähriger Patient, der Vater des Dirigenten, hat sie wieder zur Musik gebracht: «Nach dem Umzug im Jahr 1990 habe ich lange nicht gespielt. Oft ist er gekommen und hat gesagt: Kumman S’! Schauen S’ bitte nur ein Mal bei unserer Probe vorbei.» Ein weiser Mann. Denn er ahnte: Einmal ist nicht kein Mal, sondern für immer.
Nach der Probe stärken sich die Melodie- und Rhythmusmusiker_innen mit einem selbst gemachten Wurstsalat, den eines der Geburtstagskinder spendiert hat. Dazu gibt es Bier aus Beate Normans beiden Heimaten, Ottakring und Göss.
Seit drei Jahren ist die Frau am Flügelhorn fixer Bestandteil des Orchesters. Stolz berichtet sie: «Ich habe schon seit mehr als einem Jahr keine Probe ausfallen lassen.» Und auch bei den «Ausrückungen», wie man die Konzerte bis heute nennt, ist sie immer mit von der Partie.
Mit den «Ausrückungen» begannen «die Gaserer» in einer Zeit, in der es nur wenig Rundfunk und kein Internet gab. Ihre Platzkonzerte am 1. Mai sowie Auftritte zu anderen feierlichen Anlässen waren für die Menschen in Wien eine willkommene Abwechslung. Die Wiener Stadtwerke konnten diesbezüglich einiges bieten. Aktuell gibt es in Wien immer noch 24 Blasorchester, die sich allesamt nicht über zu viel Nachwuchs beklagen müssen.
Zurück in die Smart City: Zwei «Gschaftln» hat Beate Norman inzwischen übernommen. Als «Kleiderarchivarin» hat sie darauf zu achten, dass alle Kolleg_innen mit einer feschen Uniform ausgestattet sind, als Notenarchivarin hat sie deutlich mehr Arbeit. Ähnlich wie bei den Wiener Philharmonikern sind nicht alle im Orchester immer im Bilde, welche Unterlagen gerade gebraucht werden.
Beate Norman erzählt das ohne Groll, im Gegenteil: «Das sind durch die Bank sehr nette Leute.» Was ihr auch imponiert: «Ihre Aufgeschlossenheit. Das, was man als Musiker noch nicht kennt, möchte man gerne kennen lernen. Es spielt im Orchester auch keine Rolle, welchen Beruf man hat. Wir sind hier alle per Du.» Mit einigen Musikant_innen, die alle in ihrer Freizeit spielen, und das für Gottes Lohn, ist die Archivarin auch befreundet. «Das ist eine Gemeinschaft, die sich mit nichts anderem vergleichen lässt.»
Dazu kommt ihre Freude am Musizieren: «Wir haben ein breites Repertoire. So spielen wir beim nächsten Konzert von Harry Potter bis zu einer böhmischen Polka.» Apropos, am nächsten Mittwoch ist wieder Probe! Und am 14. April steht das Frühjahrskonzert im Haus der Begegnung in Floridsdorf an. Das Konzert beginnt um 16 Uhr, und der Eintritt ist wie immer frei.
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www.wienernetze.info