Kunst-Flashmob für Günter BrusArtistin

Am 6. Juli findet zum zweiten Mal der Brus Day statt, an dem Künstler_innen den öffentlichen Raum unangekündigt erobern sollen.

TEXT & FOTO: CHRIS HADERER

Günter Brus ist ein österreichisches Schicksal. In den 1960er und 70er Jahren war Brus – zusammen mit anderen Mitgliedern der Wiener Aktionisten, wie Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler, so etwas wie ein Staatsfeind. 1968 wurde ihre Aktion Kunst und Revolution an der Uni Wien von den einschlägigen Boulevardschreiberlingen, darunter feder­führend der damalige Express-Texter und heutige Krone-Postler Michael Jeannée, mit geballter Faust als «Uni-Ferkelei» diffamiert. 1970 verfügte sich Günter Brus für längere Zeit ins Exil nach Berlin, um einem sechsmonatigen «verschärften Arrest» zu entgehen, den er für die «Herabwürdigung österreichischer Staatssymbole» während einer Aktion ausgefasst hatte.

Spaziergang.

Eine seiner bekanntesten Aktionen war der Wiener Spaziergang am 6. Juli 1965. «Die Aktion ist als Symbol des Bemühens der Kunstschaffenden um den öffentlichen Raum in die internationale Kunstgeschichte eingegangen», erzählt Félix Mautner vom Verein IODE (Institut ohne direkte Eigenschaften), der Initiator des aktuellen Brus Day. Brus ging damals «elegant gekleidet, weiß übermalt, mit einem schwarzen Strich von oben nach unten, ein kurzes Stück durch die Wiener Innenstadt». Was darauf folgte, zeichnet ein ebenso düsteres wie trauriges Bild der damaligen Alpenrepublik: Brus wurde umgehend von mehreren Polizisten gestellt und verhaftet – unter Anteilnahme der einschlägigen Journaille. Wien war damals fest in roten Händen, zuerst durch Bürgermeister Franz Jonas, dann mit Bruno Marek an der Spitze. Für die heutige SPÖ ist der Skandal von damals zum wohlfeilen Werbesujet geworden: Der städtische Tourismus wirbt mit Fotos vom Brus’schen Wiener Spaziergang für brodelnde Toleranz, eine offene Kunstszene und die überschäumende Vielfalt in der Wiener-Stadt. So ändern sich die Zeiten – oder auch nicht.
Stichwort «nicht»: Der am Jahrestag von Brus’ Wiener Spaziergang stattfindende Brus Day lässt sich vielleicht am besten damit erklären, was er nicht ist: Er ist keine konzertierte und österreichweite Kunstaktion mit einem Kurator oder Puppenspieler und vielen Marionetten. Vielmehr kann man ihn als Aufruf verstehen, den Félix Mautner in die Welt gesetzt hat: Am 6. Juli sollen Künstler_innen auf die Straße gehen und sich den öffentlichen Raum zurückholen, egal ob es sich um eine Lesung, eine Performance, ein Konzert oder was auch immer handelt. Sie sollen ihre Aktion selbst ankündigen und auch selbst dokumentieren. Mautner liefert eine Art gedanklichen Überbau, darüberhinaus gibt es aber «keinen Veranstalter, keine Organisation, keine Auftraggeber», sagt er. «Kunstschaffende treten an öffentlichen Plätzen, Gassen und Parks nach der Art von Flashmobs auf.» Wie lange ein Event dauert und ob er wiederholt wird, entscheiden die jeweiligen Künstler_innen selbst. Ein Zentralorgan gibt es nicht und damit auch kein überregionales Programmheft für den 6. Juli. Allerdings rührt Félix Mautner die mediale Werbetrommel für den Brus Day und leitet Ankündigungen von Künstler_innen, so diese es wollen, auch weiter.

Solidarität.

Auslöser für den Brus Day war der 80. Geburtstag von Günter Brus, der von der Hochkultur mittlerweile als einer der wichtigsten zeitgenössischen Maler gehandelt wird. «Die Einführung des Brus Day war eine notwendige Intervention, um das Recht der Kunst in der Öffentlichkeit zu manifestieren», sagt Félix Mautner. Dieser Tag soll außerdem dokumentieren, «wie Kunst, egal welcher Art, den öffentlichen Raum bereichert. Der Brus Day ist ein Festtag von Kunstausübenden aller Genres. Zugleich werden die vielen Verbote und Einschränkungen aufgezeigt, die die Freiheit behindern.  Er ist selbst ein großflächiges künstlerisches Projekt» – für das es genaugenommen kein Drehbuch gibt.

Konkurrenz.

Obwohl, ein Motto ist schon vorhanden: Es resultiert aus den Corona-Maßnahmen der letzten eineinhalb Jahre. «Heuer ist es das Wort Solidarität, ein unheimlich abgeschmacktes Wort, weil es für so vieles verwendet wird. Und weil die Künstler_innen nach der Corona-Geschichte noch weniger Geld haben als vorher, sind alle genaugenommen Konkurrent_innen. Und damit ist auch die Solidarität weg. Das ist sozusagen das übergeordnete Thema, über das man nachdenken kann.» Das dazu passende Konkurrenzbeispiel: «Die Wiener Philharmoniker wurden vor allen anderen Künstler geimpft, was zu Protesten geführt hat, beispielsweise von der IG Darstellende Kunst. Die Philharmoniker wurden geimpft, gerade weil sie Künstler sind – als Staatsopernorchester sind sie aber auch Beamte, weshalb sie einmal im Jahr ein kostenloses Konzert in Schönbrunn geben, das tausende Besucher hat.» Das werfe die Frage auf, wer sich unsolidarisch verhalten habe: «Künstler gegenüber Künstlern oder Künstler gegenüber dem Publikum?»

Eroberung.

Die Künstler_innen und der öffentliche Raum – den man, so Félix Mautner, eigentlich nicht mehr zurück­erobern müsse, weil sich seit dem legendären Stadtspaziergang mit Polizei­begleitung schon viel getan habe. «Damals war Wien wirklich eine traurige und düstere Stadt. So etwas wie große Demonstrationen wären damals gar nicht möglich gewesen» – nicht zuletzt wegen der schlagkräftigen Einsatzfreude der Polizei in den 60er und 70er Jahren. Wien sei erst unter Bürgermeister Leopold Gratz bunter geworden. «Heute ist schon sehr vieles möglich im öffentlichen Raum – aber er muss weiter genutzt werden.» Kunst im öffentlichen Raum kann allerdings auch juristische Konsequenzen haben. So ist jeder Farbspritzer an einer Hauswand, die nicht die eigene ist, im Tatbestand der Sachbeschädigung zu Hause – egal ob Picasso oder ein untalentierter Hinterhof-Sprayer am Werk war. Aber: Ist schon ein Graffiti an der Wand, dann darf man ungestraft ein neues Werk darüber sprühen, denn der lange Arm des Gesetzes reicht nur bis zum Erstmaler. Für Interessierte, die im öffentlichen Raum künstlerisch aktiv werden wollen, hat Félix Mautner eine Art Arbeitshilfe zusammengestellt, in der immer wiederkehrende Fragen und Probleme mit Rechtsbeispielen erörtert werden. «Wenn gewünscht, können teilnehmende Künstler_innen das 200-Seiten-Skriptum Kunst soll Stadt finden, Kunst im öffentlichen Raum aus der Serie Alle Gesetze, die die Kunst betreffen – leicht verständlich als Hilfestellung kostenlos per Mail erhalten», sagt Mautner (brus.day@chello.at). Auch Diskussionen, sei es über eine geplante Aktion oder die spätere Nachbesprechung durchgeführter Events, sind möglich: Dazu gibt es nach Vereinbarung Treffen im legen­dären Perinetkeller, in dem sich schon vor Jahrzehnten Aktionisten, wie Hermann Nitsch, Adolf Frohner oder eben Günter Brus, zu Hause fühlten (20., Perinetgasse 1).
Der Brus Day wurde erstmals im Vorjahr abgehalten, nach dem ersten Lockdown, als diverse Corona-Maßnahmen zurückgefahren wurden, was für die Künstler_innen allerdings keine Entspannung der Lage brachte. «Der 6. Juli soll weiterhin als Brus Day, als Tag der Kunst im öffentlichen Raum, in des Wortes wahrstem Sinne, begangen werden», sagt Mautner. Sein Credo: «Musiker_innen sollen hörbar intervenieren! Autor_innen aus ihren Texten lesen und ihre Bücher anbieten! Tänzer_innen, Schauspieler_innen, Artist_innen werden auf öffentlichen Plätzen performen. Bildende werden ihre Staffeleien aufstellen, ausstellen, malen, zeichnen, porträtieren und modellieren. Fotograf_innen mögen den Tag, an dem sich die Kunst ihren Raum zurückerobert hat, dokumentieren. Das alles in der Öffentlichkeit. Ohne Gnadengesuch, ohne Behördenschikane, ohne Anmeldung, ohne Gebühren, spontan!» Und nicht zuletzt ist der Brus Day auch ein Denkmal für Günter Brus.

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