Interview: Alexandra Zaitseva, Bildhauerin
Die Bildhauerin Alexandra Zaitseva hat vor einiger Zeit den Kunstraum K. i. K – Kunst im Keller in ihrem Atelier initiiert. Dort präsentiert sie eigene Arbeiten im Dialog mit den Werken anderer Künstler_innen. Ein vielversprechender Ort, der zum kulturellen und gesellschaftspolitischen Diskurs aufruft, wie Doris Kittler (Interview und Foto) findet. Ein Gespräch über Kunst und Klischees.
Die aktuelle Ausstellung im K. i. K heißt Kind, Kunst, Frust? und behandelt das Spannungsfeld Kinder kriegen und Kunst machen. Das Problem der Vereinbarung betrifft ja auch viele andere Berufskarrieren …
Eine finanzielle Sicherheit als freischaffende Künstlerin aufzubauen ist nicht einfach, und das Bedürfnis danach steigt mit der Geburt eines Kindes beträchtlich. Wenn man nicht aus gutsituierten Verhältnissen kommt, passiert es schnell, dass man gezwungen ist, einen zusätzlichen Job anzunehmen. Dieses Wollen und Sollen ist oft eine Zerreißprobe. Viele landen schnell in einer prekären Situation, bestimmt von zwei Berufen und der familiären Aufgabe als Elternteil. Schon dieser Mehrfachbelastung wegen ist die Situation von Kunstschaffenden schwer vergleichbar mit anderen Berufen. Ich merke stark, dass mein künstlerischer Lebenslauf dadurch Löcher hat, aber der Lebenslauf ist für eine erfolgreiche Karriere im Kunstbereich wesentlich. Zum Beispiel kann ich als Mutter schwer ein Stipendium im Ausland annehmen, auch wichtige abendliche Ausstellungseröffnungen bleiben mir verwehrt.
Können Kunstförderungen da helfen?
Es gibt diese Möglichkeiten, aber davon auszugehen, dass du auch welche bekommst, und zwar regelmäßig, wäre naiv. Es ist und bleibt Glückssache. Wenn ich mal ein Einkommensloch habe, brauche ich Angehörige, die mich auffangen, oder ich habe Ersparnisse. Mit der Geburt eines Kindes steigt das Bedürfnis nach Sicherheit extrem. Ich bin sehr froh, im Zweitberuf Lehrerin zu sein. Es ist nicht immer leicht, aber es bewahrt mich davor, in meiner ‹Kunstblase› blind zu werden. Das ergänzt sich gut! Ich fühle mich gesehen, wenn die Menschen zu meinen Ausstellungen kommen und wenn der Kreis der Möglichkeiten sich dadurch erweitert.
Jetzt suchst du in deinem Ausstellungsraum die Auseinandersetzung mit anderen Künstler_innen, die in einer ähnlichen Situation wie du sind und dazu Stellung nehmen.
Vor einiger Zeit lernte ich die Künstlerin und Feministin Margot Pilz kennen. Sie drückte mir eine ihrer Ausstellungseinladungen in die Hand, und ich bat sie, mir auf die Rückseite einen Tipp für die neue Künstler_innengeneration zu schreiben. Sie schrieb: ‹Teamwork ist schwer, aber unendlich wichtig!› – Ich rief am gleichen Abend meine Kollegin Miriam Laussegger an und bot ihr an, mit mir ein gemeinsames Projekt zu bestreiten. Es blieb nicht bei uns beiden, wir sind derzeit schon zu acht. Das Thema Kind-Kunst-Frust? scheint alle zu beflügeln.
Eine deiner aktuellen Arbeiten heißt Jetzt schreiten sie alle. Ich finde es spannend, dass es möglich ist, Tonobjekte fast skizzenhaft zu bauen. Man hat das Gefühl, sie zerbrechen, wenn man nur hinschaut.
Die Arbeit geht tatsächlich an die Grenzen des Materials Ton: Jede dritte Figur zerbrach, bevor ich sie brennen konnte. Aber auch nach dem Brennen sind die Objekte nicht weniger gefährdet. In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit Genderidentitäten. Das Zerbrechliche des Materials spielt mir irgendwie in die Hand. Die menschliche Identität ist auch fragil, und die Frage des Geschlechts ist darin eine wesentliche.
Viele Künstler_innen scheinen sich derzeit mit Gender-Thematik zu beschäftigen.
Dieser Trend spürt dem nach, was generell Thema geworden ist. Die Kunst agiert nicht unabhängig von der Gesellschaft, sie ist doch Teil von ihr. Grenzen um normative Geschlechterzuschreibungen wurden in den letzten Jahrzehnten stark verschoben. Nicht alle sind damit glücklich. Heute gibt es eine breite Auswahl an Genderidentitäten: Transgender, Bigender, Genderfluid, Poligender, Agender und so weiter. Für viele Menschen ist das eine Möglichkeit, sichtbar zu werden, um vielleicht ein lebenswertes Leben führen zu können. Wie alle Begriffe stellen auch sie Grenzen auf, aber vielleicht werden auch diese Ausdrücke eines Tages obsolet.
Apropos Zuschreibungen. Damit musst du dich als geborene Russin, die seit ihrer Jugend in Österreich lebt, ja oft herumschlagen. Da bist du wohl oft mit Klischees konfrontiert und damit, dass du in ein Schema gepackt wirst?
Was ist das überhaupt, ein Klischee? Vielleicht ist es eine in einem Kulturkreis nicht hinterfragte, etablierte Geschichte von Nationen, Völkern, Geschlechtern, Religionen etc. Der Wiener Philosoph Rudolf Burger hat einmal gemeint: ‹Wir erschaffen unsere Identität und unsere Kultur aus dem Wesen jener Geschichten, die wir uns erzählen.› Oder die uns erzählt werden. Diese kann man hinterfragen. Nicht hinterfragte Geschichten laufen schnell Gefahr, zu Klischees zu werden. Das Leben ist aber leider schneller als unser Hinterfragen. Gegen ein Denken in Klischees ist kaum jemand gewappnet.
Du hast in deiner Entwicklung von der Malerei zu großen Keramiken und Rauminstallationen stilistisch viel Unterschiedliches probiert. Gibt dir die Kunst Gelegenheit, aus Schablonen auszubrechen?
Kunst ist für mich vor allem ein Versuchsfeld. Was auf so einem Feld passiert, ist nicht vorhersehbar. Einmal ist es ein reines Formspiel, plötzlich nimmt ein Thema eine Form an, oft begegne ich mir selbst darin, und nicht selten ist es ein schallendes Lachen. Es geht mir ums Unterwegssein. Auf das Ziel habe ich keinen Einfluss. Die Kunstwerke sind wahrscheinlich die Spuren auf diesem Weg.
Deine Skulptur Unreife Früchte des Volksverstandes sind Amphorensäulen, auf die du Graffiti originalgetreu überträgst, wie du sie in Toiletten gefunden hast …
Der Titel ist ein Zitat vom russischen Nationaldichter Alexander Puschkin zu solchen Kritzeleien im öffentlichen Raum. Damit bin ich groß geworden: Alles, was an die Wand gekritzelt wird, ist Abfall! Aber man kann diese Art von Kommunikation als eine der demokratischsten Kunstformen betrachten. Sie ist genauso Ausdruck einer Kultur wie etwa ‹Galeriekunst›. Als Inspiration hatte ich die 3000 Jahre alten minoischen Amphoren aus Heraklion. Durch die Auseinandersetzung mit dieser Art von Formen kam die Frage auf, warum mich diese so ansprechen. Hängt es mit unserem kulturellen Erbe zusammen? Wir werden groß damit, wir sehen sie in Museen. Ist es mir anerzogen worden, bestimmte Proportionen als unbestreitbar schön zu empfinden? Ich habe in mir eine Formschublade gefunden und ich musste sie zerstören. Dann kam mir die Idee mit den Toilettengraffiti.
Wenn die Kunst ein Spiegel der Gesellschaft ist, befindet auch sie sich am Rande des Abgrundes. Wie siehst du ihre Rolle angesichts der ökologisch äußerst schwierigen Lage unserer Welt?
Meine Aktzeichenprofessorin hat immer wieder zu uns gesagt: ‹Malt keine Acrylbilder, das sind nichts anderes als Plastiksäcke›, insofern hat die Kunst direkte Auswirkungen auf die Umwelt.
Kind – Kunst – Frust?
Eine Ausstellung mit Arbeiten von Alexandra Zaitseva, Miriam Laussegger, Copia Vacua, Pauline Debrichy, Karoline Kuchar, Lars Kollros, Marina Rebhandl und Yu Yu.
Bis 27. Jänner
Ort: K. i. K. – Kunst im Keller
3., Untere Weißgerberstraße 11
Besuchszeiten nach Vereinbarung: info@kunst-im-keller.at
www.2517.at
Eine weitere Ausstellung Zaitsevas wird im SIZE MATTERS – Raum für Kunst und Film im Februar zu sehen sein
www.sizematters.club