
Kommt Kunst von Können? Oder vom Ausprobieren? Zwei Lehrer:innen erzählen, wie sie zwischen knappen Ressourcen und selbstgestalteten Freiräumen Kunst unterrichten.
Die Schüler:innen, die Johannes Baluch an der Mittelschule in der Ottakringer Wiesberggasse unterrichtet, haben im Moment ein großes Thema: Autos. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn es ihn ebenso brennend interessieren würde – oder es sich mit seinem Unterrichtsfach im engeren Sinn träfe, denn Baluch ist Lehrer für Kunst und Gestaltung sowie Werken. Dennoch nimmt Baluch das Autothema gelassen und sogar als dienliche Vorlage für seinen Unterricht. «Du musst die Kinder und Jugendlichen dort greifen, wo sie sind, in ihren Subkulturen und Interessen. Dann sage ich eben: Passt, wir entwerfen Autos! Was sollen sie können? Und nähere mich auf diesem Weg dem Design und kreativen Gestalten.» Baluch, der an der Akademie für bildenden Künste am Institut für das künstlerische Lehramt den Bachelor absolviert hat und noch den Abschluss seines Masterstudiums vorhat, ist überzeugt: Schüler:innen für Kunst zu motivieren, das ist nicht schwer. Es komme aber auf die Lehrperson an – und auf die strukturellen Bedingungen.
Kultureller Bildungszugang. Strukturelle Kürzungen im Bildungsbereich wirken sich auch auf die Energie der Lehrpersonen aus, von denen viel verlangt werde, meint Baluch, der neben dem Unterrichten als freischaffender Künstler arbeitet. Als er sich für die Stelle als Kunstlehrer bewarb, hätte man ihn gleich gefragt: Was können Sie noch unterrichten?
Das gilt auch für das Gymnasium und Realgymnasium Wien 3 in der Radetzkystraße, wo Małgorzata Oliwa unterrichtet. Wie Baluch hat auch sie an der Akademie die Fächerkombination «Gestaltung im Kontext» und «Kunst und Bildung» studiert. Nun sind beide im dritten Dienstjahr und können aus der Praxis berichten: Der Kunstunterricht an Schulen ist fordernd. Und gleichermaßen schön, auch als sozialer Raum. «Qualitativ hochwertiger Unterricht funktioniert aber nur in Kleingruppen», weiß Oliwa, die in diesem Jahr drei Klassen mit je gut 30 Schüler:innen hat und vor allem eines fordert: mehr Budget für Schulen und Ausbildung. «Damit wir das Potenzial, das unsere Fächer haben, auch liefern können.»
Der Kunstunterricht, meint Oliwa, könne als auf die Praxis ausgerichtetes Fach, bei dem heterogene Gruppen an etwas zusammenarbeiten, viel, was andere Fächer nicht schaffen. «Stichwort Individualität: Das Tolle ist, dass die Schüler:innen sich in unserem Fach durch eine visuelle Bildsprache auszudrücken lernen und dadurch zu ihren Identitäten finden, für die sie dann im Prozess des Erwachsenwerden auch einen entsprechenden Ausdruck finden.» Oliwa spart nicht mit Aufzählungen des Mehrwerts, den Kunst an Schulen zu bringen vermag: Sie sieht im Kunstunterricht Chancen für Beziehungsarbeit, für die Vermittlung demokratischer Werte oder durchgängiger Sprachbildung. Neben der Arbeit als Lehrerin unterrichtet sie auch als Lektorin für Fachdidaktik an der Kunstakademie und beschäftigt sich mit bildungspolitischen und strukturellen Fragen zu Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen. Dabei kursiere derzeit vermehrt ein Schlagwort: kulturelle Bildung. 2006 verfasste man bei der UNESCO-Weltkonferenz einen Leitfaden, wie diese die persönliche kreative Entwicklung, das Verständnis von und die aktive Teilnahme an regionaler und internationaler Kunst und Kultur umfassen kann. Die kulturelle Bildung soll auch im Kunstunterricht etabliert und gestärkt werden.
Sprung ins kalte Wasser. Tatsächlich haben die Kunstlehrer:innen im Arbeitsalltag mit grundlegenderen Herausforderungen zu tun. Für die Aufwertung von kultureller Bildung bräuchte es mehr Bewusstsein und Spielraum für den praktischen Unterricht, denn Ressourcen für ihre Fächer seien knapp. «Ich versuche, mit den wenigen Mitteln und dem geringen Platz, den wir zur Verfügung haben, den Unterricht so kreativ wie möglich zu gestalten», gibt sich Baluch zweckoptimistisch.
Sein erster Wunsch, der ihm mit mehr Budget in den Sinn kommen würde, ist allerdings nicht unbedingt ein kunstbezogener, sondern: eine Sozialarbeiterin vor Ort. In Zeiten von multiplen Krisen wäre auch eine feste Stelle für Schulpsychologie wichtig, fügt Oliwa hinzu. Über Jahre seien Einsparungen passiert, Fachpersonal aus diesen Bereichen kommt extern für einige Stunden an ihre Schulen. Die Belastung der Schüler:innen überträgt sich auch auf die Lehrkräfte, vieles gehe an die Substanz. Besonders Baluch weiß von der Arbeit an der Mittelschule von sozialen Problemfeldern zu berichten. Soziale Kompetenzen zu vermitteln und mit Familien zu sprechen, steht bei ihm als Klassenvorstand neben der vielen Bürokratie, die es zu erledigen gilt, oft im Zentrum der Tätigkeit. Innerfamiliäre Herausforderungen und strukturelle gesellschaftliche Probleme spiegeln sich in der Schule. «Kunst unterrichte ich sozusagen nebenbei.»
Naben Baluch und Oliwa unterrichten auch viele Quereinsteiger:innen Kunst, ebenso wie Studierende im Bachelor vor Abschluss: Stichwort Lehrer:innenmangel. An der Mittelschule sei es ohnehin gängig, dass Klassenvorstände das Fach mitlehren und die ausgebildeten Kolleg:innen fragen: «Du kommst von der Kunstuni und kennst dich mit Werkstätten aus, was kann ich künstlerisch machen?». Die Antwort ist für Baluch: Nicht nur populäre Künstler:innen und der etablierte Kunstkanon, sondern auch weniger geläufige Positionen sollen den Weg in die Klassen schaffen, meint er. Unsicherheiten in der Praxis und der Mut zum Sprung ins kalte Wasser gehören dazu.
Was ist Kunst wert? Das Kunststudium gab beiden Lehrer:innen von der Metallwerkstatt bis zur Keramik viel mit. «Es gab tolle Vortragende mit viel Erfahrung, bei denen man kleine Lehren durchmachte», sagt Oliwa. Baluch wurde im ersten Arbeitsjahr als Lehrer mit Stunden in textilem Werken überhäuft, «das ist mein schwächstes Fach. Dann habe ich mir die Nähmaschine aber mit den Kindern angeschaut, und nach wenigen Stunden haben auch die Unruhigsten mit Spaß genäht, selbst wenn sie vorher gesagt haben: Das macht meine Mama zuhause, ich mache das nicht.»
Improvisieren ist mit einem gelernten Grundverständnis von kreativen Prozessen leichter. Doch auch an den Universitäten – neben der Akademie studiert man an der Universität für angewandte Kunst Lehramt – herrschen Kürzungsmaßnahmen, sagt Oliwa. Bald stehe die nächste Kürzung des Lehrplans an. Die Begründung dafür sei ein schnellerer Einstieg in den Beruf. Viele Burnoutfälle würden von der Belastung an Schulen zeugen. Freiräume im Studium seien überdies wichtig, um individuelle Schwerpunkte ausbauen zu können, auf die man im Unterricht zurückgreifen kann.
Der Lehrplan an den Schulen sei relativ frei auslegbar, erzählt Oliwa, die selbst mit analoger Fotografie und einer Grafikausbildung als Künstlerin gestartet hat. «Aber es bräuchte mehr Zeit, um die Möglichkeit, aus den eigenen Skills heraus zu unterrichten, besser zu etablieren.»
Bei der Hierarchie der Fächer reiht man den Kunstunterricht oft ans Ende der Wertigkeit, sagt Baluch. «Bei uns fällt immer zuerst der Kunstunterricht, wenn andere Stunden nachgeholt werden müssen.» Das Bewusstsein für den Wert von Kunstunterricht ist ein Thema, das Oliwa auch an der Kunstakademie beschäftigt. Dort hat sie sich insbesondere dem Aspekt der Digitalität angenommen und ist Mitorganisatorin eines «KI-Cafés» für Lehramtsstudierende. «Wir erleben die Diskrepanz, dass einerseits mobile Geräte an Schulen verboten werden, andererseits Strategiepapiere vorgeben, Digitalität so schnell wie möglich zu etablieren», sagt sie. «In unseren gestalterischen Fächern gibt es für die Zukunft gute Ansätze, wie man mit KI-Tools und digitalen Medien arbeiten kann.»
Kein Privileg. Künstlerisches Gestalten hat oft den Ruf eines Privilegs – auch außerhalb der Schulmauern. Bei den Schüler:innen von Johannes Baluch und Małgorzata Oliwa gewinnt in der individuellen Nachmittagsgestaltung meist das Einkaufszentrum gegen die Bundesmuseen. Dort ist zwar bis zum 19. Lebensjahr der Eintritt gratis, aber diese Möglichkeit muss man kennen – und etwas damit anfangen können. Den Kindern früh nahezubringen, dass auch für sie der Zugang zu Kunstinstitutionen offen ist, sei etwas, woran die Lehrenden arbeiten müssten. Oliwa besucht mit ihren Klassen regelmäßig etwa das Museum für Angewandte Kunst, um die Angebote sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um das Vermitteln von Kunstgeschichte, sondern auch um Inspirationen für das eigene Kunstschaffen.
«Kunst wird immer noch mit Können in Verbindung gebracht», sagt Oliwa. Viele Jugendliche würden denken, dass man für Kunst ein besonderes Talent haben oder sie immer «schön» sein muss. «Dieses Denken müssen wir aufbrechen.»