Kunst ohne direkte EigenschaftenArtistin

Der Perinet-Keller wird neu eröffnet

Einst kunstschafften und wüteten in der Brigittenauer Perinetgasse Nummer 1 die Wiener Aktionist_innen. Fünfzig Jahre später wird der Gewölbekeller wiederbelebt: Das «Institut ohne direkte Eigenschaften» will einen kommerzfreien Raum retten und darin das Rätsel lösen, ob Kunst heute noch provozieren kann – und wenn ja, wen dann und wie. Lisa Bolyos (Text) und Mehmet Emir (Fotos) sind an den Ort des baldigen Geschehens gefahren.«Drei Tage und Nächte war die Perinetgasse im 20. Wiener Gemeindebezirk der Ausgangspunkt wilder Gerüchte. Die Polizei intervenierte, der Tierschutzverein schickte einen Inspektor. Der Grund: Passanten wollten bemerkt haben, dass im Keller des Hauses Perinetgasse 1 wüste Orgien veranstaltet werden, bei denen Tiere gequält und geschlachtet worden sein sollen.» Die «Kronen Zeitung» war am 6. Juni 1962 in ihrem Element. Zu ihrem Unglück konnten weder Polizei noch Tierschutz irgendwelche Unziemlichkeiten bestätigen. Einzig dass sie die Kunst, die sie im Perinet-Keller vorfanden, vielleicht nicht als solche empfanden: «Draht- und Blechplastiken hingen von der Decke, riesengroße für den Normalverbraucher nicht ganz verständliche Gemälde zierten die Kellerwände», so die Kunstabteilung der «Krone».

Die Perinetgasse hat ganze vier Häuser; sie ist nicht so sehr Straße, eher Abstandshalter zwischen Gaußplatz und Brigittenauer Lände. Auf der einen Seite liegt sie in der Leopoldstadt (Nummer 2, 4), auf der anderen in der Brigittenau (1, 3). Bis ins Jahr 1919 hieß sie Mathildengasse. Wäre sie nicht umbenannt worden zu Ehren eines Theatermachers, so hätten die Wiener Aktionist_innen sich im «Mathildenkeller» zusammengefunden.

Von der Provokation zur Befriedung

Joachim Perinet, so wird im Jahr 1925 über ihn geschrieben, hat im 18. Jahrhundert gemeinsam mit «einigen kunstsinnigen Dilettanten» Theater bei freiem Eintritt betrieben, motiviert von dem edukativen Ansinnen, mit «literarisch bedeutsamen Theaterstücken den damals noch im Argen liegenden Geschmack des Vorstadtpublikums zu fördern». Den im Argen liegenden Geschmack des Innenstadtpublikums zu stören traten umgekehrt die Wiener Aktionist_innen an, die den Gewölbekeller des Hauses Perinetgasse 1 im Jahr 1962 mieteten. Bis zur Zwangsräumung 1970 arbeiteten sie dort unter dem ironisch-formalen Namen «Institut für direkte Kunst» in den ihnen eigenen Formaten. Dass ihre Exkremente-, blut- und körperbasierte Kunst heute in den befriedenden vier weißen Wänden großer Museen ausgestellt wird, kann nicht anders als zur Geschichtsvergessenheit der Wiener Kunsthistorie beitragen. Wie kann eine Jugendliche sich die Aufregung vorstellen, mit der die Bewohner_innenschaft der Perinetgasse auf die Straße lief, um Zeugin des «Fenstersturzes einer Küchenkredenz» zu werden (initiiert von Muehl/Nitsch im Juni 1963), während sie gegen einen Eintritt von acht Euro gelangweilt durch die blutbemalten Hallen des Mistelbacher Nitschmuseums latschen muss? «Als ein Ort der Kontemplation und Sinnlichkeit» versteht sich das niederösterreichische Haus nach Definition seiner Betreiber_innen; da wird einer unangenehmen Unterbrechung der bürgerlichen Selbstverständlichkeit gekonnt der Stachel gezogen.

Wobei! Muehl oder MUMOK? Nitsch oder Mistelbach? Man muss sich nicht entscheiden, auf welcher Seite man steht. Die Romantisierung dieser «artistes terribles» (wobei man terrible hier getrost mit dem wortwörtlichen «furchtbar» übersetzen kann) ist Teil des Musealisierungs-Packages geworden. Die Erkenntnisse, die nachkommende Generationen über die männerbündlerischen Gründerväter gewonnen haben, gestalten den Abschied von jedem sie umgebenden Mythos leicht. Die Geschichte des Wiener Aktionismus muss man sich dennoch oder gerade deshalb nicht vollständig vom Kunstkommerz nehmen lassen. Die Erzählung, dass damals alles arg war, heute aber alles möglich und Provokation insofern verunmöglicht ist, muss man nicht schlucken. Und den Perinet-Keller, dachten ein paar initiative Querköpfe, kann man durchaus als künstlerischen Grätzlfreiraum erhalten.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Man muss sich ein bisschen bücken und wenden, um durch die schmale Metalltür zu passen. Steile, breite Holzstiegen führen in den Keller, wie man sie von Stadln am Land kennt, Lichtmosaike fallen durch die Kellerfenster auf den Boden. Am 20. Juni, knappe 53 Jahre nach der letzten Endes doch nicht stürzenden Küchenkredenz (die Polizei machte diesem Experiment ein Ende) wird der alte Perinet-Keller neu eröffnet. «Ein Netzwerk interessierter Personen hat sich selbst beauftragt, die ‹Bespielung› des Muehl-Kellers zu übernehmen», schreibt Mitinitiator und Redaktionskollege Robert Sommer. Die räumliche Nähe zum «Aktionsradius Wien» am Gaußplatz ist nicht zufällig, sie spiegelt die Verflechtungen der Beteiligten wider, wenn die auch darauf bestehen, dass der Keller keine «Dependance» des Aktionsradius ist.

Der Perinet-Keller stand eine Weile leer, wurde dann in einer künstlerischen Zwischennutzung (Sie verzeihen dieses Unwort!) von Nicole Prutsch «entsumpft» (so der Name ihres Projekts) und dabei in den Originalzustand zurückversetzt. Von diesen Aufräumarbeiten zeugt noch ein pyramidenförmiger Schutthaufen am Ende des Raumes, dessen Zukunft wie jene aller unverstandenen Kunstwerke ungewiss ist.

Was soll Perinet-neu werden? Dass sich darin keine Männergruppen mehr einmauern werden, um mit geschlachteten Lämmern zu spielen, steht fest. Das «Institut ohne direkte Eigenschaften», wie sich das Neuübernehmer_innen-Kollekiv in freundlich-distanzierter Anlehnung an ihre Vormieter nennt, will den Keller Künstler_innen aller Genres zur Verfügung stellen, die dort produzieren, zeigen, diskutieren können: «Das Keller-Kollektiv wird präferenziell mit Personen und Gruppen kooperieren, die das Dilemma der Belanglosigkeit aller sich als kritisch verstehender Kunst reflektieren und das Rätsel der Avantgardefunktion in der Gegenwart zu lösen versuchen: Kann Kunst heute noch provozieren?» Jedenfalls muss sie es nicht auf Biegen und Brechen: «Niemand hat die Pflicht, staatsfeindlich, elitefeindlich, kapitalismusfeindlich, konsumfeindlich zu sein (…). So nahe das Institut ohne direkte Eigenschaften seinen Lieblings-Ismen steht (Aktionismus, Surrealismus, Dadaismus, Situationismus, Kosmopolitismus, Anarchismus): Sie sind keine Eintrittskarten in das Atelier Perinet-Keller.» Anders als der historische Perinet-Keller will der zeitgenössische sich mit der Bewohner_innenschaft der umliegenden Hood befreunden; er will den Fehler so vieler Ateliers in dieser Stadt nicht wiederholen und lieber Ort der Umverteilung als Ort der Aufwertung sein. Die Nachbar_innen sind nicht nur eingeladen zu schauen und zu staunen, sondern auch einzutreten: «Das Institut ohne direkte Eigenschaften freut sich über die Anteilnahme der BewohnerInnen ihres Grätzls.», heißt es im Vorstellungspapier: «Auch wenn sie darin besteht, die Frage zu stellen: ‹Und das soll Kunst sein?›».

Info:

Eröffnung: 20. Juni, 19.30 Uhr