Kunst seziert WirklichkeitArtistin

3Raum-Anatomietheater: Hubsi Kramar hilft der "obdachlosen" Theaterszene

3raum.jpgDas wichtigste Theaterstück von Alberto Moravia ist ohne Zweifel das 1968 geschriebene Il dio Kurt (Der Gott Kurt). Für manche KritikerInnen ist es d i e Ödipustragödie der modernen Zeit. Saul, ein jüdischer Auschwitz-Häftling, wird zur Ödipus-Rolle gezwungen. Dass der Wiener Theatermacher Hubsi Kramar die seit vier Jahrzehnten überfällige deutschsprachige Erstaufführung dieses großen Wurfs von Weltliteratur realisierte (nur noch bis 15. März zu sehen!), ist ein Indiz dafür, welche Bedeutung räudige, marginalisierte, provisorische Theaterräume abseits der wohldotierten Hauptschauplätze der Schauspielkunst haben. Ein Gespräch mit Hubsi Kramar über sein 3Raum-Anatomietheater im dritten Wiener Gemeindebezirk.

Auch Veterinärmedizin kann spannend sein und voller dramatischer Momente. Angehende TierärztInnen und Lehrkräfte in der neuen Uni am Veterinärplatz in Wien 21 sind zum Beispiel derzeit in eine politische Intervention verwickelt, um den Lebensraum der Braunbären im steirisch-niederösterreichischen Grenzgebiet zu retten, wo wegen illegaler Abschüsse nur noch drei der ehemals 35 Bären am Leben sind. Dabei wäre ein geeignetes Habitat für 500 Bären vorhanden. Um den Graben zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit geht es in weit prägenderem Ausmaß im ehemaligen Gebäude der Veterinärmedizin. Hier stehen andere bedrohte Lebensräume im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Lebensraum der freien Kunst etwa oder der von Menschen, die frei von Entfremdungen leben wollen.

Der Seziersaal, der Anatomieraum und der Hörsaal bilden jene räumliche Einheit, die bis 2012 Wiens aufregendste Adresse der freien Theaterszene ist: Beatrixgasse 11. Das Objekt ist heute von der Musikhochschule angemietet. Es wurde als Lagerraum benutzt. Eine Person in der Verwaltung der Musikhochschule half Hubsi Kramar, durch die komplizierten Entscheidungsverhältnisse, wie sie in Hochschulen üblich sind, hindurchzumanövrieren. Drei Jahre sind seither vergangen.

Räume für die obdachlosen Theatergruppen zu schaffen, ist eigentlich eine Aufgabe der politischen Führung der Stadt. Kramar beschreibt seine Funktion als Analogie zum Augustin-Projekt, das auf seine Weise Aufgaben erledige, die die öffentliche Hand sich zu bewältigen weigert: Menschenwürde ins Leben von Unbrauchbarem zu bringen. Ihr redet von Theaterreform, und zwei Drittel der Künstlerinnen und Künstler im darstellenden Bereich wissen nicht, wo sie arbeiten können. So versuchte er gegenüber der Kulturabteilung zu argumentieren. Freilich im Wissen, dass die Zerrissenheit der freie Theaterszene einer der Gründe war, dass diese subventionsmäßig dermaßen zu kurz kam. Ich sagte, ich red nicht mehr über die Theaterreform, sondern biete dem Kulturamt etwas an im Sinn ihrer Theaterreform. Ich bot ihr zudem eine billige Form der Umsetzung an eine so genannte Zwischenlösung, erzählt der Regisseur.

Eine temporäre Nutzung sei billiger und zugleich ästhetisch interessanter: Weil logischerweise es geht ja um ein Provisorium bloß das Nötigste investiert wird, werden Schönrenovierungen vermieden. In diesem Fall, so Kramar, ist genau deswegen die Grausamkeit der Räume mit ihrer Patina der 1870er Jahre erhalten geblieben. Mein Beitrag, das Kapital der baulichen Hinterlassenschaften der Weltstadt zu nutzen, die Wien unter Kaiser Franz Joseph noch war, ist die Eroberung der Räume für zeitgenössische Kunst.

Der Adornist, der die Klos kontrolliert

Theaterhäuser in dieser Größe ergeben einen Personalbedarf für fünf, sechs Angestellte. Hier aber ist das Duo Hubsi Kramar und Alexandra Reisinger allein am Werk. Eine Grafikerin und ein Webmaster stehen zur Seite. Große Arbeitszeitbestandteile sind unbezahlt. Nur ein kleiner Teil meiner Arbeitszeit ist Kunstzeit. Der Rest ist Organisation, Bürokratie, ist Nachschauen, ob alle Fenster zu sind, ob alle Lichter aus sind, ob alle Klos für den nächsten Tag geputzt sind, wenn du das Gebäude um ein Uhr nachts verlässt.

Die Gemeinde zahlte nach Auskunft des Künstlers zwei Drittel der Investitionskosten, vor allem Stromanlagen und Heizung, und gewährt eine Betriebskosten-Subvention, die es ermöglicht, mittellosen freien Theatergruppen die Standard-Tagesmiete von 350 Euro für einen der drei Räume zu ersparen. Für seine eigenen Theaterprojekte zehrt Hubsi Kramar von einer 4-Jahres-Subvention, die ihm unabhängig vom 3Raum-Anatomietheater bewilligt worden war: Ich muss sogar rechtfertigen, warum ich für eine Produktion, bei der es um Canetti geht, ein Buch über Canetti kauf und den Beleg der Subventionsabrechnung beifüge. So viel zur magistratischen Generosität in Sachen Kunst.

Mittlerweile gibt es mehr als 20 Gruppen, denen Kramar die Räume gratis bis verbilligt zur Verfügung stellen kann. Wir wollen wissen, nach welchen Kriterien er solche Theatergruppen auswählt. Irgendwie bin ich ein Adorno-Schüler, antwortete Hubsi Kramar. Das heißt, ich meine, wenn wir über den Kapitalismus reden, müssen wir auch über den Faschismus reden. Der Holocaust als Ereignis ist die Blaupause hinter unserem Tun. Theatergruppen, die in ihren Produktionen diese Wahrheit reflektieren, unterstütze ich am liebsten. Gruppen mit antifaschistischen Stücken sind Fixstarter. Das ist die erste Kategorie. Die zweite Kategorie bilden Künstler, die interessante Projekte haben und dafür interessante Plätze benötigen, weil ohne adäquate Räume diese Projekte uninteressant werden. Du wirst überlaufen, wenn du so was anbietest.

Klapper, Fresacher und die Zukunft

Wenn fremde Gruppen proben, ist der Chef als interessierter Beobachter anwesend: Ich misch mich aber nicht in ihre Arbeit ein. Manchmal kann ich ihnen den Rat des Erfahrenen geben. Ich habe Regisseure hier arbeiten gesehen, für die ich den größten Respekt habe. Der ganz junge, aber geniale Kilian Klapper, der hier Romulus von Dürrenmatt inszenierte oder Anatol, den Einakterzyklus von Schnitzler, wird in der Beatrixgasse immer eine Chance haben. Gerhard Fresacher mit seinem Dark City-Projekt, einer multimedialen, trashigen, szenischen Performance, oder das URT Theater mit einer Performance über Ortstafelverrücken und andere Stammesrituale, das wegen riesenhaften Erfolges nun wieder aufgeführt wird, das waren meine Aha-Erlebnisse.

Medien äußern immer wieder Begeisterung über den Flair der Räumlichkeiten. Ist jedoch ein einziges schon mit der Forderung aufgefallen, die drei Räume dauernd für freies Theater zu retten? Ich habe das Konzept vorgelegt, hier etwas Temporäres zu versuchen. Es wäre gefährlich, wenn ich davon abginge und die Okkupation der Anatomie als Vorwand benützen würde, um ewig hier zu bleiben, oder zumindest einen Fuß drin zu haben. Das würde in Zukunft alle Projekte gefährden, die sich ebenfalls mit einem temporären Konzept an das Kulturressort wenden, meint Hubsi Kramar. Ich fände aber gut, wenn Politiker selber den Wert solcher Räume wahrnehmen würden; aber wenn es solche Politiker gäbe, wäre das Obdachlosenheim in der Meldemanngasse bewahrt worden als Dokumentationszentrum für die Geschichte des Krieges gegen die so genannten Asozialen, der ja nicht mit dem Nationalsozialismus zu Ende gegangen ist. Meine Aufgabe ist, Ideen zu liefern für künftige Nutzungen. Vielleicht könnte die Musikhochschule die Aura der drei Räume ultimativ für die Kunst retten.

Alles andere als Theater ist Oasch

Ausreichend Kraft zu haben, die restlichen vier Jahre mit der gewohnten Energie zu arbeiten darüber hinausgehend sieht Hubsi Kramar keine Verknüpfung zwischen Veterinärinstitut und seiner Person. Auch dann nicht, wenn die Musikhochschule, in einer Finanzierungsnot, nicht wie vorgesehen 2012 mit der Adaption des Gebäudes beginnen kann: Ich hätte keine Kraft mehr für eine Verlängerung. Ich stecke im Prozess des Rückzugs. Wenn ich spüre, dass jemand Junger das Projekt weiterführen kann, möchte ich nicht der Kaiser sein, der eine Kontinuität blockiert, indem er durch sein Nichtabtreten einen fließenden Übergang verhindert. Das wird wohl auch beim Augustin so sein: Es muss die Kontinuität gesichert sein, darin besteht die Verantwortung der Macherinnen und Macher. Was die Sache für die Theaterarbeit und wohl auch für euch schwer macht: Es mangelt an Menschen, die Verantwortung übernehmen, eine bittere Erfahrung.

In seinen eigenen Theaterprojekten will Kramar mit der Gewohnheit, LaiendarstellerInnen aus marginalisierten Gesellschaftsgruppen einzubeziehen, nicht brechen. Neben Hömal und Heidi, Originalen des Stimmgewitter Augustin, sehen manchmal selbst Profischauspieler unreif aus, meint der Anatomie-Chef. Sein nächstes Projekt, ein Stück zum Fall Schreber, sieht erneut die Zusammenarbeit mit Talenten aus diesem Milieu vor. Es soll im Herbst dieses Jahres aufgeführt werden.

Die Mischung des Personals mache umso mehr Sinn, als sich die Lebensbedingungen von gelernten SchauspielerInnen und Talenten aus der Unterschicht anglichen. Erstere bilden in ihrer Masse längst einen Teil des Prekariats, wenn man den geläufigen Begriff für Leute, die hart arbeiten, aber kein Geld haben, verwendet. Hast du eine Theorie dafür, warum diese jungen Leute so still und unkämpferisch gegenüber solchen Verhältnissen sind, obwohl sie ja gleichzeitig mitverfolgen, dass für die Kunst, die der Staat will, jedes Geld locker gemacht wird, scheinbar ungeniert und grenzenlos?, lautet die Frage an den Politischsten aller österreichischen Theaterregisseure. Hubsi Kramer: Weil sie sich auf der Bühne selbst verwirklichen können. Wer kann das sonst? Und weil sie wissen: Alles andere als Theater ist Oasch.

Info:

März im 3Raum-Anatomietheater:

Noch bis 15. 3: Der Gott Kurt

26.29. 3.: URT

28. 3.: Konzert: Klaus Tschabitzer aka Der Schwimmer

Tel.: 0 650 323 33 77

Beatrixgase 11

1030 Wien

www.3raum.or.at

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