Das Office Ukraine. Shelter for Ukrainian Artists bringt ukrainische Künstler:innen mit österreichischen Kunst- und Kulturinitiativen zusammen.
In den Koordinationsbüros in Wien, Graz und Innsbruck reicht die Unterstützungsarbeit weit über die Kunst hinaus.
TEXT: SÓNIA MELO
Noch war die Sonne nicht aufgegangen, noch gab es keinen Krieg, als Zoya Laktionova am frühen Morgen des 24. Februar mit einem französischen Filmemacher unterwegs von Kyjiw nach Mariupol war, um ihre Geburtsstadt filmisch zu dokumentieren. Die ersten Stunden des Angriffs von Putin auf die Ukraine filmten sie, bis die Dokumentar-Filmemacherin und Künstlerin beschloss, zurückzukehren, denn unterwegs zu sein war zu gefährlich. Nach zwei Wochen des Wartens und der Angst, jeden Tag könne der Krieg zu ihr nach Hause kommen, als russische Truppen nur 20 Kilometer entfernt waren, flüchtete die 37-Jährige nach Wien, wo ihre Schwester mit Familie wohnt.
Vernetzt.
Zoya Laktionova kann sich nicht erinnern, wo oder wann sie von der Plattform «Office Ukraine. Shelter for Ukranian Artists» erfahren hat. «Viele der Erinnerungen an diese Zeit – belanglose wie auch wichtige – sind entweder verschwommen oder verschwunden», bedauert sie. Über die Plattform bekam sie ein Atelier als Artist in Residence in Feldkirch, zeigte in Ausstellungen Screenings ihrer Dokumentarfilme in Innsbruck, Gmunden und Graz, wo sie aktuell lebt.
Die Idee zu Office Ukraine hatte Mitgründer Georg Schöllhammer, Chefredakteur des Kunstmagazins springerin in Wien und Leiter des Netzwerks Tranzit.at. Beantragt – zugesagt! Rasch wie kaum eine andere Kunstinitiative, finanziert durch das Kulturressort im Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKÖS), startet bereits Anfang März, wenige Tage nach dem Kriegsausbruch, das Office Ukraine seine Arbeit. Es fungiert als Vernetzungsplattform: Auf der Website können sich einerseits Künstler:innen, die Unterstützung brauchen, anmelden, andererseits Kunst- und Kulturorganisationen oder auch Privatpersonen, die ihre Unterstützung anbieten. Das Office Ukraine, sagt Susanne Jäger, Mitarbeiterin im Wiener Büro, «versucht die eingehenden Angebote mit den Anfragen zu matchen». Eine passive Rolle hat es aber nicht, versichert sie: «Wir sprechen aktiv Organisationen an, die im Kunst- und Kulturbereich tätig sind und vernetzen diese mit Künstler:innen aus der Ukraine, die auf der Suche nach Partizipation an Kunstprojekten, Ateliers, Jobs, Stipendien und Wohnraum sind.»
Das Angebot ist flächendeckend. In drei Koordinationsbüros in Wien, Graz und Innsbruck sind 17 Mitarbeiter:innen beschäftigt. «Wir kommen überwiegend aus der zeitgenössischen bildenden Kunst, bringen aber unterschiedliche Netzwerke mit und ergänzen uns deswegen sehr gut», sagt Jäger. Außerdem arbeiten hier auch Künstler:innen aus der Ukraine, aus Belarus und Russland. Eine davon ist Ania Zorh, ukrainische Künstlerin, die seit 2014 in Wien lebt und seit Monaten laufend Künstler:innen in ihrer Wohnung beherbergt:
«Meine Wohnung ist wie ein Hotel. Nach wie vor bekommen wir beinahe jeden Tag Anfragen für Wohnungen, doch mittlerweile keine Angebote, null. Das ist zurzeit unser größtes Problem. Denn wie soll sich eine Künstlerin mit ihrer kreativen Arbeit beschäftigen und zum Beispiel eine Ausstellung planen, wenn sie keine Wohnung hat?!»
Finanziert.
Für den Zeitraum von März bis Juni betrug die Anschubfinanzierung 120.000 Euro für Gehälter, Infrastruktur, Übersetzungskosten und Drucksorten. Im Juni hat das BMKÖS seine Unterstützungstätigkeit bis Ende 2022 ausgeweitet. Parallel dazu stellte es zu Beginn ein Sonderfördermittel in Höhe von 300.000 Euro für Arbeitsstipendien und Projektförderungen ukrainischer Künstler:innen zur Verfügung. Das Budget wurde aufgrund des hohen Bedarfs Anfang Juni, als es bereits beinahe ausgeschöpft war, auf 500.000 Euro erhöht.
Koordinationsbüro und Sonderbudget-Topf sind zwei verschiedene Hilfestellungen, und doch sind sie unzertrennlich. «Wir verbreiten die Möglichkeit, Arbeitsstipendien und Projektförderungen aus dem Sonderbudget zu beantragen, unter den ukrainischen Künstler:innen einerseits und den Kunstorganisationen andererseits», sagt Ania Zorh.
Ob Menschen aus anderen Kriegsgebieten im Office Ukraine Hilfe suchen? Es komme vor, vor allem Menschen aus Russland. Doch der Auftrag des Office Ukraine ist, Künstler:innen aus der Ukraine, mit oder ohne ukrainische Staatsbürgerschaft, zu helfen. Gelegentlich bekommen sie zudem Anfragen von Menschen, die nicht im Kunst- und Kulturbereich tätig sind. Sie werden an andere Hilfsorganisationen verwiesen.
Über 400 Künstler:innen haben sich seit dem Start des Office Ukraine im März auf der Website eingetragen. Diese Zahl bildet jedoch nicht die reale Reichweite der Unterstützung ab. «Teilweise stoßen wir Kooperationen an, erfahren aber oft erst viel später, dass etwas geklappt hat», betont Susanne Jäger. Daher werde es der Arbeit von Office Ukraine nicht gerecht, diese lediglich auf Zahlen zu reduzieren.
Verkauft.
Die Vermittlung findet auch analog statt. Herwig Saxenhuber, Ausstellungskuratorin und Herausgeberin der Kunstzeitschrift springerin hat den Freiraum Ukraine organisiert und kuratiert. Drei Monate lang, von April bis Juni, solange der Raum zur Verfügung stand, haben Künstler:innen aus der Ukraine den Veranstaltungsort frei_raum im Museumsquartier bespielt. Regelmäßige Vernetzungstreffen, Ausstellungen und ein Kunst- und Handwerksmarkt fanden hier statt. «Der Markt war ein Erfolg», erinnert sich Saxenhuber. «Die Freude der Künstler:innen mitten in Wien ihre Kunst verkaufen zu können, war enorm.»
Die Unterstützungsarbeit des Office Ukraine beschränkt sich aber nicht auf Vermittlungen im Kunstbereich. «Wir vermitteln auch Wohnraum und bewegen uns auch zwangsläufig in den Feldern Sozialarbeit und Psychologie. Wir sind hier natürlich keine Fachkräfte, und sobald wir merken, dass es notwendig ist, stellen wir die Verbindung zu Expert:innen her», so Jäger. Ania Zorh ergänzt: «Die Arbeit wird privat, die Schicksale vieler Künstler:innen lassen uns nicht kalt, doch wir reißen uns zusammen, bleiben vor ihnen stark.»
Die ukrainische Künstlerin fährt fort: «Die Arbeit ist zwar stressig, aber es funktioniert.» Es hapert, beklagt sie, an sinnvollen und ausreichend strukturellen Rahmenbedingungen. Abgesehen vom Wohnungsmangel sind die Verdienstmöglichkeiten limitiert. Ukrainer:innen dürfen zwar in Österreich nach einer Registrierung als «Vertriebene» arbeiten, doch «wer mehr als 110 Euro in einem Monat verdient, verliert das Recht auf Grundversorgung». Die Alternative bedeutet, mit 110 Euro in Österreich leben zu müssen. Viele würden undokumentiert arbeiten, was zu prekären Arbeitsbedingungen und Ausbeutung führt.
Fast alle Künstler:innen, die sie unterstützt, so Zorh, wollen zurück in die Ukraine, sobald der Krieg zu Ende ist. So auch Zoya Laktionova. Sie möchte einen autobiografischen Film in Mariupol drehen, über das Azovstal-Stahlwerk, bei dessen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Großvater beteiligt war. Für sie ist das riesige Stahlwerk Symbol des totalitären Systems Russlands, auch wenn – oder gerade weil – wenig davon übrig bleibt.