Kurz – Android mit Missiontun & lassen

Kommentar

Experiment. Führt uns Donald Trump ­exemplarisch alle Unwäg- und Fehlbarbarkeiten der menschlichen Spezies vor, weist sein ­alpines Gegenmodell Sebastian Kurz in eine postanthropologische Zukunft. In Österreich hält ein technologisches Experiment Probe, das Kapital wie Wählerschaft gleichermaßen erfreut. Text: ­Richard Schuberth, Illustration: Silke Müller

Vor einigen Jahren gab der von der Hongkonger Firma Hanson Robotics konstruierte Roboter Sophia seine erste Pressekonferenz. Sophia verfügte über künstliche Intelligenz, war fähig zur Gesichtserkennung, Imitation menschlicher Gestik und Mimik, beantwortete Fragen und konnte im vordefinierten Setting sogar den Anschein geistreicher Konversation erwecken.
Besonders den anwesenden Saudis gefiel sie, und so wurde Sophia die erste saudi-arabische Staatsbürgerin, die keinen Schleier tragen muss. Als latexgewordener Wunschtraum von Männern, der Last des Patriarchats zu entkommen, ohne die Unterdrückung der echten Frauen aufgeben zu müssen. Sophia ist apart, hat weiche Haut und schöne Ohren.
So was wollen wir auch, schmollten Wirtschaftskammer und Österreichischer Industriellenverband. Und wurden fündig. Ein junger aufstrebender Android namens Sebastian Kurz hatte mit einer spektakulären Werbekampagne für die ÖVP, dem sogenannten Geil-o-Mobil, der flotten konservativen Jugend voll auf den Milchzahn gefühlt – und als Staatssekretär für Ausländerangelegenheiten alsbald «Humiliation Qualities» bewiesen, indem er migrantischen Schwerarbeiter_innen damit drohte, dass sie sich ohne Leistung die Integration in die Haare schmieren könnten.

Triumph der Ikone.

Das Modell Kurz erwies sich als wahres Prachtmodell, kam er doch mit den circa 20 Stehsätzen, die er landein, landaus von sich gab, schon recht nah an Sophias internationales Niveau heran. Nur Idealist_innen, welche noch immer der Illusion anhingen, Wähler_innen seien mündige, nach inhaltlichen Kriterien wählende Citoyens und unsere Demokratie ein fairer Ausgleich der Interessen, blieb der Erfolg dieser aalglatten Projektionsfläche ein Rätsel.
Wähler_innen wählen nun einmal das, was man ihnen – über Klassen und Schichten hinweg – seit Generationen als Ideal des Menschlichen suggeriert hat: den Triumph der Ikone über die Sache, der Ware über das Unverkäufliche, der Machtinteressen über die eigenen, der emotionalen Wahrnehmung über die skeptische Prüfung, des Reibungsfreien über das Sperrige, der gut geölten Funktionalität über die Freiheit, kurzum: der Barbiepuppe über jenen Ausschuss, als welcher der Kosten-, Risiko-, Konsum- und Lohnarbeitsfaktor Mensch per Selbstkonformierung seinen sozialen Ausschluss abzuwenden trachtet. Sie wählen nichts anderes als das, worauf sie von klein auf mittels emotionaler Bindungen an Gadgets, Must-Haves und Popstars in verwalteter Dauerinfantilität gehalten werden. Wie Phrasen mögen diese Ladenhüter der Kulturkritik des 20. Jahrhunderts klingen, doch sie klingen nur so, weil die Herrschaft der Phrase sie als solche markiert hat.

Leerlauf.

Kurz ist die ideale Anti-Individualität. Seine schaufensterpuppenhafte Aura entspricht der des Geil-o-Mobils, der aerodynamischen Maschine, die es stellvertretend für die noch fehlbaren Cyborgs an die Spitze geschafft hat, und um dieser nachzueifern gilt es die letzten störenden menschlichen Eigenschaften zu opfern. Kurz gibt mit seinen nichtssagenden Äußerungen allen Menschen Hoffnung, die auch nichts zu sagen haben, denn er hat es zum jüngsten Vollzugsorgan ihrer eigenen sozialen Deklassierung zugunsten der Reichen und Mächtigen geschafft; er ist sozusagen der erste vom Volk gewählte Diener im Staat, allerdings nicht des Volkes, sondern der angeblich alternativlosen Kapitalmacht.
Man sage jetzt bloß nicht, es sei arrogant und menschenfeindlich, Türkis- und andere Wähler_innen mit Androiden zu vergleichen. Im Gegenteil ist es ihre Ehrenrettung! Denn das freiwillige Votum für die Beschneidung des Sozialsystems, für Grauslichkeiten gegenüber Migrant_innen, fürs schamlose Paktieren mit Faschist_innen und die unverhohlene Lobbyarbeit für Unternehmer_innen, Banken und Immobilienbesitzer_innen kann Androiden als mildernder Umstand angerechnet werden, Menschen hingegen nur als Leerlauf der Irrationalität und Bösartigkeit.
Android Kurz kam im letzten Augenblick, mit der bedrohlichen Losung «Schwarz macht geil», denn das Kapital war schon bereit, eine veraltete ÖVP ohne Sexappeal und Popfaktor fallen zu lassen.

Streberin.

Die SPÖ als neoliberale Streberin und nachholende Rechtspopulistin witterte ihre letzte Chance. Aus diesem Grund erweisen sich auch die automatisierten Klagen, dass diese ihre sozialistischen Wurzeln verraten hätte, selbst als Robotergarn. Die Sozialdemokratie hat nun einmal ihre historische Mission, für welche die freien Marktkräfte sie auserkoren hatten, mit dem Untergang der Sowjetunion eingebüßt: als marktverträglicher Puffer gegen den Horror einer staatlich gemanagten Umverteilung von oben nach unten (also Kommunismus oder bloß Franklin D. Roosevelts Spitzensteuersatz von 79 Prozent). Tony Blair legte mit New Labour, Gerhard Schröder mit Hartz IV dem Kapital Besänftigungsgeschenke vor die Chefetagen, damit dieses es sich vielleicht doch noch anders überlege. Alpinsozialdemokraten wie Franz Vranitzky und Viktor Klima konnten gar nicht warten, die Rolle von Managern jenes fallengelassenen Engels namens Sozialdemokratie gegen lukrativere Jobs in Banken und Konzernen zu übernehmen. Drapiert mit anstandshalber linker Folklore und 1.-Mai-Wimpeln bot sich der wirtschaftsliberale Flügel der SPÖ als die linksliberale Alternative zum Rechtsruck feil, während sich ihr stärkerer rechter Flügel mit der FPÖ wie hungrige Straßenhunde um den fettesten Happen aus der Volksküche der Ressentiments balgte: die Fremdenfeindlichkeit. Wenn Pamela Rendi-Wagner im «TV-Duell» Kickl vorwirft, die EU-Grenzen nicht brutal genug zu schützen, und die Salzburger SP die Vergabe von Gemeindewohnungen wieder an Deutschkenntnisse knüpft, ist das bloß die übliche Fortsetzung eines jahrzehntelangen Kampfes um die Mördergruben, zu denen sich die Wähler_innenherzen verkrustet hatten. Dabei wäre die Kamikazetour im Geil-o-Mobil gar nicht nötig gewiesen, mit dem die SPÖ weit aus der Rechtskurve segeln wird. Sie hätte sich auch mit der Forderung bescheiden können, das übliche Zehntel der seit den 80-Jahren erfolgten Sozialkürzungen einzufordern, um den ihr zugewiesenen Platz als zahme Opposition im Demokratiespiel zu behalten.

Gar nichts.

Da war der junge Android kreditwürdiger, und dass Sebastian Kurz ein Android ist, kann nur ein Narr bezweifeln. Er ist nicht rechts, er ist gar nichts. Er ist die Summe seiner Funktionen. Als konzeptueller Schwiegersohn, neokonservatives Pin-up, sichtbares Händchen des freien Marktes und Bonnie Prince Burli der Reichen & Mächtigen. Irgendwo in seiner linken Flanke stecken auch ein paar USB-Buchsen für linksliberale und grüne Anschlüsse. Kein Widerspruch dazu, bei Bedarf weiter einen Orbánismus mit europäischem Antlitz, einen autokratischen Neoliberalismus zu erproben, der sich von Von der Leyen anerkennend ins Rotbäckchen kneifen lässt – als gemütlich-alpines Missing Link zwischen den Entdemokratisierungsmodellen Brüssel, Visegrád und Salvini.
Viele finden aber Kurz nicht wegen dieser Politik super, sondern diese Politik erst super, weil sie von einer so alerten Photoshopmaske wie Kurz exekutiert wird. Das hält zumindest die utopische Hoffnung am Leben, dass ein angemessen publikumswirksamer Android theoretisch auch eine Politik für Menschen, für Androide und für solche, die wieder Menschen werden wollen, machen könnte, eine radikale soziale, ökologische und humanitäre Politik. So rate ich der Linken, anstatt sich weiter unverstanden zu fühlen und wegen ein, zwei Sessel im Parlament mit den Rechten um Patriotismus zu rittern, ein paar Bestellungen bei Hanson Robotics aufzugeben.