Musikarbeiter unterwegs … traurig, trotzig, wütend, hilflos
Kurt Holzinger ist gestorben. Sänger der Linzer Band-Legende Willi Warma sowie leidenschaftlicher Redakteur der Versorgerin. Farewell für (m)einen Hero. Text: Rainer Krispel, Foto: Mario Lang
«Some day these augusts will kill me, I find them way too hot. I spend the whole day sleeping. I dream – you better believe me, I really can – I dream the book I always talk of, we´re gonna make it into a movie that moves us all to tears.» Im Refrain geht die Sonne auf, während später die «sad and lonely people» weiter herzwund «dying trying» durchs falsche Leben auf der Suche nach dem richtigen taumeln. Musikalisch stand die Sonne schon in dieser Strophe am Zenit. Damals, als Kurt sie sang, in einem kleinen Studio in Linz, dem Parkstudio. Für die erste, im Jänner 1991 erscheinen sollende Single von 7Inch12, einer Serie kleiner, monatlicher Vinyl-Schallplatten, die das damals musikalisch real existierende und hochlebendige Linz dokumentierten. Er machte aus den unausgegorenen Lyrics eine Geschichte, stellte den Weltschmerz eines Dreiundzwanzigers auf den Kopf und machte den Song zu weit mehr, als in ihm angelegt schien. Dadurch, wie er ihn sang, wie er die Worte mit seiner musikalischen und menschlichen Intelligenz auflud und transzendierte zugleich. Nach dem ersten unglaublichen Take kam er aus dem Aufnahmeraum in die Regie und sagte sinngemäß, dass das jetzt wohl Scheiße war. Ich weiß nicht mehr, wie viele Augenpaare – betränt – Kurt fassungslos und kopfschüttelnd anschauten.
Ich sprenge alle Ketten.
Für uns, die musikmachende, lebenshungrige Generation nach Willi Warma (Kurt wurde 1960 geboren und gründete die Band 1976 mit seinem Schulfreund Peter Donke), war er ein Ermöglicher, ein Vorbild, ein Idol (er war sexy und wild, nicht zu knapp, eat your heart out, Iggy!). Der mystische Frontmann einer 1983 aufgelösten Band, die wir gerade noch – und wie! – live erlebt hatten. Sophie Rois und Kurt, die auf der Bühne des Café Landgraf Save The Last Dance For Me singen, mein ewiger Rock ’n’Roll Heaven steht auf immer in Urfahr, und bitte, bitte darf ich mitspielen? Ich durfte – weil Willi Warma Exzellenz sowie Selbstermächtigung nachdrücklich zu buchstabieren wussten – und Kurt sang später mit uns. Der Mann, der mit Julius Zechner, Donke und Christian Uger den dissidenten Linzer_innen mit der Single Stahlstadtkinder/ Ich sprenge alle Ketten gleich zwei nachhaltige Hymnen gegeben hatte, verhalf der Band 7 Sioux zu einem Diskographie-Highlight. Die 1993er-10Inch Don’t Argue Any Longer mit seinen großen Songs Swim, Holiday und dem von ihm gesungenen Closer Than This verschicke ich gerne gegen Porto. Kurt gehört mehr gehört! (rainer.krispel@gmx.at, von Willi Warma gibt es via www.fischrecords.at eine zwingende Werkschau und mit Shy, die Stahlstadtkinder launig coverten, sang Kurt 2004 das Lied Nach der Weltrevolution, Album: 35 Sommer). Eine Kurztour – Linz – Innsbruck – Salzburg geriet zu etwas, über das Hunter S. Thompson eine eskalierende Story hätte schreiben können – Kurt wusste um die positive power of drinking, aber der Absturz, weil die Selbstmedikation für seine lebenslange Depression und die korrespondierenden Selbstzweifel zu hoch dosiert war, blieb immer Option.
Telefon nach Überall.
Dass Kurt am 27. Juni 2019 seinem jahrelangen Krebsleiden erlegen ist, tut außer weh nur weh, mit Worten ist dem nicht beizukommen. Dabei war Sprache so unendlich wichtig für ihn, ist die Aussage, er sei belesen gewesen, eine krasse Untertreibung. Seine leidenschaftlich bestellte Bühne der letzten Jahrzehnte war auch die Zeitungsarbeit. Die Versorgerin der Kulturvereinigung Stadtwerkstatt machte er mit einem erstaunlichen Team zu einer ebensolchen, diskursstarken Zeitung. Ein perfekter Ausdruck seiner suchenden, linken, humanistischen Menschenliebe. Seine musikalischen Vorlieben hatten sich von Ray Davis/Kinks oder Mark E Smith/The Fall hin zu Oper und Klassik bewegt.
Offene Liebe.
Nach seiner Verabschiedung wurde im Saal der Stadtwerkstatt Mahler gespielt, während er uns, seinen trostlos hinterlassenen Freund_innen, über die final divide hinweg, an eine Tafel zum Essen und Trinken einlud. Seine Grußformel L U V, von The Shangri-Las und New York Dolls adaptiert, war omnipräsent. Ungierige, offene Liebe und Begegnung als Gegengift zum kapitalistischen Irrsinn und dessen Beziehungslosigkeiten. Am Samstag nach Kurts Tod war die Albumpräsentation von EsRAP am Yppenplatz. Natürlich redet mensch sich so etwas in der eigenen Sprachlosigkeit ob des Todes nur ein, aber es hätte ihm dort gefallen. Die selbstverständlich durchmischten Communities, da eine lesbische Hochzeitsgesellschaft, dort ein großartiger Jugo-Rapper und dann EsRAP, die mit dem vielköpfigen Beschwerdechor diesen Refrain singen: «Die Tage werden besser, wer wird übrig sein?» Ich wünschte, Du wärst noch da, Kurt. L U V.
Kurt Holzinger:
www.fischrecords.at
versorgerin.stwst.at