Lacknergasse neutun & lassen

Michael Gassmann kämpfte erfolgreich für die Rettung eines Obdachlosenwohnheims

Ein bisschen hat auch die Berichterstattung des AUGUSTIN mitgeholfen, dass sich die Wiener Caritas-Führung doch entschloss, das Obdachlosenwohnheim Lacknergasse nicht zuzusperrren. Der „Held der Lacknergasse“ ist freilich Hausleiter Michael Gassmann….Zwischen Wut, Trauer, Resignation und Galgenhumor pendelte die Stimmung, als der AUGUSTIN im Februar dieses Jahres das „Haus St. Josef“ der Caritas besuchte. Die Mitarbeiter und die Benutzer dieser Obdachloseneinrichtung in der Lacknergasse (Wien-Währing) hatten eben erfahren, dass die Tage von „St. Josef“ gezählt sind. Für Heimleiter Michael Gassmann war das Gespräch mit dem AUGUSTIN eine Gratwanderung, an der er sichtbar körperlich litt. Einerseits konnte und wollte er seine Betroffenheit über die überraschende Entscheidung der Wiener Caritas-Führung nicht verleugnen. Andererseits musste er Polarisierungen vermeiden und distanzierte sich von der Polemik gegen die Caritas, zu der sich manche Mitarbeiter herausgefordert fühlten. Sein verbales Maßhalten war einer klugen Strategie untergeordnet. Gassmann wollte die Caritas-Chefs doch noch davon überzeugen: Die Entscheidung fürs „Aus“ ist suboptimal.

Und Gassmann gewann Verbündete und setzte sich durch.

„Nach der AUGUSTIN-Geschichte (im März 2000 titelte die Straßenzeitung auf ihrer Coverseite: „Caritas schließt Obdachlosenheim“ – die Red.) fand ein Gespräch mit Caritas-Direktor Landau und dem Verein `Obdachlosenhilfe Schwester Grata` statt. Dort schon hat Landau mitgeteilt, dass die Caritas wünsche, das Tagesheim zu halten“, erinnert sich Michael Gassmann. Das war zumindest ein Teilerfolg. Das Tagesheim, eine Art Wärmestube für Straßenmenschen, quasi eine kleine „Gruft“ im Wohlhabendenbezirk Währing, war besonders in den Wintermonaten übervoll. Die BetreuerInnen richteten dann Matratzen her, damit die Betroffenen nicht im Freien schlafen mussten. Mitte August erreichte den AUGUSTIN ein fröhlicher Anruf: „Das Tageszentrum sperrt am 6. September wieder auf!“

Inzwischen war jedoch das Wohnheim – die andere Hälfte des Hauses St. Josef – fast leer geworden. Die ausgesiedelten Bewohner waren sozusagen Opfer einer Standardanhebungs-Offensive geworden, zu der sich die Caritas gemeinsam mit der kommunalen Obdachlosenverwaltung MA 12 entschieden hatte. Mit dem gut gemeinten Argument, auch Obdachlose hätten ein Recht auf Privatsphäre, konnte ein fragwürdiges Vorhaben legitimiert werden: Die Liquidierung eines wegen seiner Mehrbettzimmer nicht mehr standardgerechten Obdachlosenquartiers.

Eine Alternative für die Belegschaft der „Ruine Guldengasse“

Heimleiter Michael Gassmann gelang es, dieses Vorhaben mit einer neuen Idee zu unterlaufen. Er brachte sein Konzept des „Unbetreuten Wohnheims“ ins Spiel. Etwas, was es bis dato im Bereich der Wohnungslosenhilfe nicht gab.

„Für die Nutzung der restlichen Räumlichkeiten der Lacknergasse gab es damit zwei Varianten“, erzählt Gassmann. „Die erste Idee war, das Haus iranischen Christen zur Verfügung zu stellen. Die Alternative war meine Idee des unbetreuten Wohnheims. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Kombination Obdachlosentagesheim und iranische Christen in einem Haus wirklich optimal ist. In einer Arbeitsgruppe wurde am Konzept des unbetreuten Wohnheims gefeilt. Es stellte sich heraus, dass sich auch sie Stadt Wien für diese Idee interessierte; tatsächlich subventioniert sie nun unser Projekt auf doppelte Weise: sie finanziert die Personalkosten, und die Bewohner können ganz normal Mietbeihilfe vom Sozialamt beanspruchen. Die Miete macht 2500 Schilling im Monat aus – das ist billiger als in der Guldengasse.“

Die Namen Guldengasse und Salisstraße stehen für Wiens erbärmlichste Armen-„Hotels“. Das Caritas-Wohnheim Lacknergasse soll – in seinem neuen Konzept – ganz bewusst ein Gegenangebot zu den beiden durch Fernsehberichte in Verruf geratenen Skandal-Angeboten eines privaten Eigentümers darstellen. Der Gemeinde Wien war in diesen Berichten vorgeworfen worden, dass sie den Betreiber der beiden Elendshotels indirekt unterstütze: werden ja die Mieten für diese desolaten Wohnzellen in der Regel vom Sozialamt beglichen. „Die Stadt Wien hat also ein politisches Interesse daran, den Bewohnern dieser Rattenburgen eine Alternative anzubieten“, vermutet Gassmann; auch deshalb unterstütze sie wohl die „Lacknergasse neu“.

Die Lacknergasse war zwei Monate lang – Juli und August – geschlossen. Von den ehemals 60 Bewohnern sind noch elf Bewohner im Haus, die auch im künftigen „Unbetreuten Wohnheim“ belassen werden. Ein Teil der Bewohner wurde vom Rupert Mayer-Haus in der Kirchstettnergasse (ebenfalls eine Caritas-Einrichtung) übernommen, ein Teil kam in die Gänsbachergasse, einige haben Startwohnungen bekommen. „Alle sind untergekommen“, unterstreicht Gassmann.

Kein Alkoholverbot und kein Therapiezwang in der „Lacknergasse neu“

Die Zielgruppe des „Unbetreuten Wohnheims“: Leute, die keine sozialarbeiterische Betreuung wollen oder brauchen. Sie werden von der „Gruft“ geschickt, vom Bahnhofssozialdienst, von anderen Einrichtungen der Wohnungslosenarbeit. Der alte/neue Heimleiter: „Wir hoffen, dass wir das Haus bis Ende des Jahres voll haben. Wir haben 32 Zimmer – Einzelzimmer, von denen einige so groß sind, dass sie auch als Doppelzimmer genutzt werden können. Also werden maximal 42 Personen hier leben können. Die Menschen wohnen unbefristet hier – mindestens die nächsten drei Jahre, weil das Projekt ja zunächst nur für drei Jahre gesichert ist. Die Frage ist, ob das Projekt sich bewährt. Es gibt nur einen Hausmeister. Das Anliegen ist, dass das Haus nicht so herunterkommt wie die Guldengasse oder die Salisstraße. Die Lacknergasse ist immerhin ein denkmalgeschütztes Haus – wir sollten verhindern, dass es desolater wird als es eh schon ist. Ob es funktioniert, werden wir in den kommenden drei Jahren sehen.“

Man könnte die „Lacknergasse neu“ auch als praktische Antwort auf die Zwänge und Disziplinierungen der traditionellen Obdachlosenverwaltung interpretieren. Michael Gassmann: „Es wird kein Alkoholverbot im Haus geben, wie in den betreuten Wohnheimen. Es gibt keinen Therapiezwang. Ein Bewohner kann auch seine Freundin übernachten lassen. Sie kann sogar ganz offiziell mit einziehen, wenn es die Zimmergröße erlaubt. Was man nicht darf, ist, die anderen Bewohner ständig zu belästigen, aber das darf man ja in einem normalen Mietshaus auch nicht. Unleidliches Verhalten kann ein Kündigungsgrund sein. Freilich: Es ist kein selbstverwaltetes Haus.“

Mittlerweile hat sich auch das Klientel des Tagesheims wieder eingefunden. Zwischen 55 und 60 Obdachlose nutzen diese Einrichtung. Es handelt sich zum größten Teil um das alte „Stammpublikum“ der Lacknergasse. Die volle Kapazität ist noch nicht ausgeschöpft. Einige sind abgesprungen, weil sie eine Neuerung nicht mitmachen: Die Benützer müssen nun ihr Tageszentrum selber putzen. Allerdings kommt jeder ohnehin nur alle vierzehn Tage dran.

Der AUGUSTIN hat im Kampf um die Rettung der Lacknergasse die Rolle gespielt, die Gassmann ihm wohl zugedacht hatte, als er (siehe oben) im Februar der Depression, als die Sache verloren schien, uns zum Recherchieren einlud: „Eure Berichterstattung war ein zusätzlicher Belastungspunkt für die Caritas-Zentrale. Die Sorge, ihren guten Ruf aufs Spiel zu setzen, hat sicher mit zur Überlegung geführt, die Zukunft der Lacknergasse zu sichern. Ein wichtiger Grund aber war auch, dass die Diözese für den Weiterbestand eintrat.“

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