Musikarbeiter unterwegs … über 2018 hinaus mit einer beiläufig gewachsenen Band
2014 für ein Charity-Projekt Familie Lässig Eigenleben entwickelt. Ihr Debütalbum: wunderbarer Song-Pop. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto)
Im Endspurt des Jahres, in dem ich drei Trauerreden gehalten habe, realisiere ich, dass ich kaum «neue» Musik gekauft habe. Mit hiesiger Musik werde ich dankenswerterweise versorgt, neben dem Rechner sind CDs von Matthäus Bär, Culk und Gutlauniger. Wie ein Nachwort zum Drecksjahr (Ende November stirbt Thomas Guth, Wiener Neustädter Szeneikone, am 6. Dezember Pete Shelley, Buzzcocks) kaufe ich das neue Album von The Good, The Bad & The Queen. Damon Albarn & Co brillieren künstlerisch, doch aus dem maroden Herzen des Brexit-Countrys lassen sich auf Merrie Land keine Erbauungslieder singen. The Last Man To Leave ist speziell erschütternd, so klingt Zerfall. Waltz me gentle into the Finsternis!
Glück. Zerfall?
Unlängst habe ich einen Tatort gesehen, die Darstellung der Hauptfigur beeindruckend. Manuel Rubey spielte in Der Mann, der lügt eben diesen; beklemmend, wie der von ihm porträtierte Mensch sich wegen seines moralischen Dilemmas bis zum Suizid aus dem Leben treibt und treiben lässt. Wenig später treffe ich Rubey in der Bim, ich halte mit meiner Begeisterung nicht hinter den Berg. Er erzählt vom Album seiner Band Familie Lässig, ich denke mir: Geschichte! Er schickt postwendend den Link zu Im Herzen des Kommerz, das am 14. Dezember bei Asinella Records erscheint. Asinella ist das Label von Clara Luzia, die bei der Band wie Manuel und Gerald Votava Gitarre spielt und singt, Cathi Priemer – die «Chefin» – spielt Drums, Gunkl greift zu Bass und Saxophon, samt Stimmnutzung, Boris Fiala ist der Multiinstrumentalist der Familie Lässig, bis 2010 mit Rubey bei der Indie-Pop-Band Mondscheiner.
«In diesen Zeiten ist es fast schon doppelt schön, wenn man lässig, liebevoll miteinander umgeht, das ist ein Gegengewicht zu vielem», formuliert Manuel Rubey im Gespräch ein Credo der Band, Gerald Votava ergänzt: «Da ist eine Grundgelassenheit, gelassen und lässig sind ja auch miteinander verwandt.» Das Duo lässt die vor fünf Jahren begonnene Geschichte der Familie Lässig Revue passieren. Erstmals manifestierte sich die Band, damals noch mit Kyrre Kvam im Line-up, als Andreas Fuderer vom Stadtsaal ein Neujahrskonzert der anderen Art zugunsten des Freunde Schützen Hauses organisierte. «Wir wurden mit sehr viel Liebe empfangen», erinnert sich Rubey an den ersten Jänner 2014. Das Programm mit Coverversionen, meist deutschsprachig und von entlegenerem Liedgut, traf einen Nerv, beim Publikum ebenso wie bei den ausführenden Musiker_innen und musikaffinen Schauspielern und Kabarettisten. Mit dem fixen Einstieg von Clara Luzia, die zuvor als Gästin der Famile Lässig wiederholt wahlverwandt war, deren private Partnerin Cathi Priemer von Anfang an deren rhythmischen «Herzschlag» angibt, wurde die Sache «ernster». Die Ambition, die Bandsache «so gut, wie ich kann» (Manuel), zu machen, intensivierte die Probenarbeit. Clara schrieb den ersten eigenen Song, auf Im Herzen des Kommerz finden sich acht (geschrieben in den unterschiedlichsten Konstellationen) davon, dazu die «wichtigsten» Cover, wo Rocko Schamonis Mond noch einmal aufgeht, mit Kid Kopphausen Das Leichteste der Welt besungen wird und Nils Koppruchs Kirschen (Wenn Der Sommer Kommt) uns daran erinnert, wie schön die Lieder des 2012 verstorbenen Hamburgers sind. Rubey nennt dessen Band Fink und Element Of Crime als große Einflüsse.
Kirschen.
Ja, das sind große Schuhe, die sich das Wiener Sextett da anzieht, aber sie haben zu einem souveränen eigenen Gang gefunden. Der Opener Kopf im Sand findet deutliche Worte zur Lage – «mit voller Kraft Rückwärtsgang» –, ohne auf Poesie und grundsätzliche Lebensbejahung zu verzichten, und – er rockt! Popgeschichtlich subtil referenziell ist 2000 Lightyears eine Schlaflosigkeitshymne, das ganze Album, mit Livemischer Philipp Nikodem-Eichenhardt in der Ottakringer Tonkombüse eingespielt, hat einen wunderbaren Sound. Eine weitere Qualität, es «wienerlt» nicht so neoprovinziell, Songtitel wie Asian Noodle Boutique erzählen davon, dass die Familie Lässig die Stadt weitläufiger erlebt, als uns manchmal suggeriert wird. Mit dem Album wird das Land mit dem A betourt, mit Grenzübertritt nach München, der Auftakt am 1. Jänner 2019 findet traditionell zugunsten anderer statt, sie spielen für die AÖF – Autonome Österreichische Frauenhäuser.
Trotz der vielen schönen Worte, die die Familie Lässig selber findet, sei es gestattet, hier ihr Cover von Kirschen als herzlichen Festtags- und Neujahrsgruß aufzugreifen: «Jeder Tag ruft deinen Namen, ich wünsch’ Glück an allen Tagen, nichts ist besser als eine Liebe auf der Welt. Kirschen gibt’s an Sommertagen nur, solang die Bäume tragen, und lebend gehen wir nicht mehr aus der Welt.»
Familie Lässig: Im Herzen des Kommerz
(Asinella Records)
Live: 1. bis 3. 1. 2019 Stadtsaal Wien
www.familielaessig.com