Lamesaleikum im Hort der Lameisenvorstadt

Zehnjahresvertrag für den Standort Sonnenpark Sankt Pölten

Der Kunst- und Kulturverein Lames bleibt im Sonnenpark. Der rechtlose Zustand der Duldung ist vorbei. Nun wurde ein Pachtvertrag für die nächsten zehn Jahre unterschrieben. Und schon droht die Vereinnahmung durch die Politik. Eine Bestandsaufnahme von Karl Weidinger (Text und Fotos).

Die Kornelkirsche (Cornus mas) wird hier «Dirndl» oder «Dirndling» genannt und gehört zur Gattung der Hartriegel. Durch die frühe Blütezeit ist sie eine wichtige Nährpflanze für Bienen. Das Holz ist so schwer, dass es im Wasser untergeht. Es ist das härteste Holz, das in Europa wächst. Daraus wurden in früheren Zeiten auch widerstandsfähige Spazierstöcke geschnitzt. Braucht aber heute mehr kein Mensch.

Im zeitigen Frühjahr (wie jetzt) ist der Dirndlstrauch übersät von goldgelben Blüten, die einen lieblichen Honigduft absondern. Sehr zur Freude von Land und Leuten, aber auch zur Freude der Bienen, die sich am Nektar genüsslich tun.

Lamesaleikum.

Der Sonnenpark am Traisenwerksbach produziert keinen Honig und auch keinen Dirndlbrand. Willkommen im fünf Hektar großen Areal. Der «Park der Vielfalt» dient der Naherholung und als Einflugschneise für den Crossover-Gedanken zwischen künstlerischer Ästhetik und ernährender Natur. Ganz gleich, ob es sich um Tanz-Performance, Skulpturen-Schweißen oder eine Audiowerkstatt der Fachhochschule handelt.

«Wir bespielen seit mittlerweile 18 Jahren diesen besonderen Ort und spannen einen Bogen von Workshops, Ausstellungen, Konzerten bis hin zu Streetart-Aktivitäten und Gemeinschaftsküchen», sagt Musiker Andi Fränzl, der beim Kulturexport «Bauchklang» seit 1996 mit dabei ist.

Der über die Landesgrenzen hinaus bekannte Musiker hatte hier mit seiner (derzeit ruhend gestellten) Vokal-Formation den Proberaum wie auch einen bleibenden Erbauungsort. Er schätzt die «Vibes» an diesem Naturjuwel, das im Einklang von Kunst und Natur schwingt. Bauchklang also. Fränzl verortet hier «ein kreatives Epizentrum unserer künstlerischen und kulturellen Arbeit. Die Schnittstelle zwischen Mensch und Kunst, Gesellschaft und Natur.»

In einer aus Beeten gefertigten Insellandschaft gärtnern beseelte Anwohner_innen. Viele fleißige Hände bauen hier Obst und Gemüse, Kräuter und Blumen an. Bäume und Sträucher wachsen von alleine. Das Regelwerk ist wie das Wurzelwerk vorgegeben: Keine Pestizide, keine chemisch-synthetischen Düngemittel und keine torfhaltigen Produkte werden eingesetzt.

«Die schönste Art, sich die Hände schmutzig zu machen», sagt Christa Seitz, im Vorstand seit einigen Jahren. Ihr Engagement begann, als ihr Sohn sie bat, mit Kaffee und Kuchen zu einem Festival nachzukommen. Das tat sie – und blieb.

Die beiden Vereinshäuser zeugen von einer bewegten Vergangenheit. Sie dienten im Laufe der Jahrhunderte als Schmiede, als Hackschnitzelwerk und später als Flüchtlingsheim. Hier wurden Pferde gezüchtet und Schrebergärten angelegt. Das Areal hinter den hohen Wildbäumen und Dirndlsträuchern geriet in Vergessenheit, bis es aus dem Dornröschenschlaf – und zu neuem Leben – erweckt wurde.

Parque del Sol.

Das interdisziplinäre Kunstsymposium tagt hier seit 2006. Sonnenparkfeste widmen sich seit 2011 unsicheren Besitzverhältnissen in Freiluft-Panels. Tausende Unterschriften wurden gesammelt, um das Gelände als interkulturellen Raum zu erhalten.

Seit Bestehen schwebte das Damoklesschwert der Absiedelung über den Köpfen der Aktivist_innen. Lames ist der Fixpunkt hier. Das Gardening-Kollektiv «Grund» agiert von der Graswurzel aus. Der Sonnenpark stellt die Hardware dar. Der Kulturverein Lames ist die Software, das Betriebssystem gewissermaßen, neben den zahlreichen anderen Initiativen, die hier wachsen und gedeihen.

Nun hat die Kommune Sankt Pölten endlich eingelenkt und sieht ein «erhebliches öffentliches Interesse» an der «Befriedigung des Bedarfs an Kulturveranstaltungen» sowie eine «abwechslungsreiche Gestaltung des Stadtbildes». Die Politik schwenkte um 180 Grad und zeigt sich nun an der Beibehaltung der bestehenden Nutzung interessiert.

«Der 19. März 2018 wird wohl im LAMES-Geschichtsbuch als bedeutender Tag für den Verein vermerkt werden. Wir haben gemeinsam mit unserem Partnerverein Sonnenpark Pacht-Verträge mit der Stadt St. Pölten für 10 Jahre unterzeichnet und erstmals eine sichere Grundlage für die Fortsetzung unserer Kulturarbeit. Auf zu neuen Ufern 🙂 Lamesalaikum!», heißt es im offiziellen Statement dazu.

Die Erleichterung ist zu spüren: «Wir können langfristiger planen und haben in der Funktion der Pächterin neben vielen Pflichten auch einige Rechte erworben, die auch in Bezug auf Förderungen neue Fenster öffnen könnten. Uns stehen spannende zehn Jahre bevor.» Auch die Positionierung als Kunst- und Ausstellungsraum für junge, noch nicht etablierte Künstler_innen aus St. Pölten und dem Umland wird weiter vorangetrieben. Vermittlungsarbeit in Workshops mit niederschwelligem Zugang ist genauso ein Steckenpferd wie die Behandlung von gesellschaftspolitischen Utopien anhand künstlerischer Mittel, wie sie das geplante volksbildnerische Theaterrevue-Gastspiel Endlich wird die Arbeit knapp darstellt.

Lames war ursprünglich ein handverlesenes Kollektiv, das es zum Kulturverein mit rund 80 Aktivist_innen brachte. Ein Biotop rund um Andreas Fränzl, Tina Tröstl, Thomas Richter, Matthias Engl und Markus Weidmann-Krieger, das – vorerst übergangsweise ­– seinen Stützpunkt am Spratzerner Kirchenweg bezog.

La Musique et Sun.

Die Bezeichnung Lames steht für La Musique et Sun. Regelmäßige Ausstellungen, Symposien, Workshops, Diskussionen und Screenings erreichen etwa 2000 Menschen im Jahr. Mit Bienenfließ gelang es, das Areal im Süden Sankt Pöltens als anerkannten Kulturort zu etablieren. Dabei fiel die Wortkreation eines Vereinsmitglieds, Alex Parzer, auf fruchtbaren Boden. Seither gibt es die Bezeichnung «Lameisen» für die hier aktiv Tätigen. «Das soll ausdrücken, dass wir als Kollektiv recht gut funktionieren und es fast immer schaffen, mit Gemeinschaftsgeist und der Gabe zur Improvisation Probleme zu lösen und förmlich gemeinsam Berge zu versetzen, ähnlich einem Ameisenvolk», bekennt sich Andi Fränzl dazu.

Lames und die Lameisen arbeiten interdisziplinär und verbinden den Dreiklang von Kunst, Natur und Menschen. Dem Sonnenpark drohte trotz seiner Beliebtheit stets die Absiedelung. Für das Refugium am Traisenwerksbach bestand die Kaufoption einer Wohnungsgenossenschaft und bedrohte die selbstgeschaffenen Freiräume innerhalb der Grünoase. Die Politik wollte die Gebäude vollständig abreißen und einen Ersatzort anbieten. Dieser Vorschlag wurde aufgrund der geschaffenen soziokulturellen Infrastruktur aber abgelehnt. Man verlangte von der Stadtregierung Klarheit über die seit 2007 existierenden Bebauungspläne des Sonnenparks. Nach einer Petition mit rund 2500 Unterschriften wurde 2016 dann in einem Gemeinderatsbeschluss der Kaufvertrag rückabgewickelt und somit die gemeinnützige Arbeit der Vereine anerkannt. Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) setzte einen Schlussstrich unter den Zustand der (rechtlosen) Duldung. «Wir wollen Initiativen, die direkt aus der Bevölkerung kommen und in so einem großen Maße Zustimmung finden, auch unterstützen.» Oder im Klartext: Sie konnten nicht anders, die Graswurzeln waren stärker und brachen den politischen Beton in Sankt Pölten auf. Ein Sieg im Kampf gegen die Gentrifizierung.

Der Schwebezustand ist nun aufgehoben. Die Ungewissheit ist gewichen. Das Provisorium der Duldung ausgelaufen. Der Sonnenpark wird nicht verbaut. Andi Fränzl firmiert auch als DJ Lichtfels. Mit Bauchklang musizierte er zuletzt im Jänner 2018 in Indien. «Wieder mit allen dabei. Eine Rückkehr ins Live-Geschäft ist aber (noch) nicht geplant.» Zurück zum Thema: Er plädiert dafür, «einen gewissen Freiraum-Geist trotz neuer Verantwortungen zu erhalten. Es ist wichtig, einen nicht kommerziellen Platz zu haben, an dem die Menschen kreativ sein können. Einen Ort für einen entspannten Austausch, an dem nicht alles vorgefertigt ist.»

Vereinnahmung droht.

Aufregende Zeiten stehen bevor. Sankt Pölten bewirbt sich als Kulturhauptstadt Europas 2024. «Lames rückt dadurch auch näher Richtung Stadt», sagt Andi Fränzl und ergänzt, «sollte es Sankt Pölten schaffen, europäische Kulturhauptstadt zu werden – die Chancen stehen eigentlich recht gut – wird es auch für Lames und den Sonnenpark spannend. Wir können unsere Erfahrung in Sachen Natur und Kultur und die Skills unserer freien Szene einbringen und gemeinsam mit der Stadt neue spannende Konzepte entwerfen. Es ist eine Möglichkeit, zu wagen und wirklich innovative, gesellschaftsverändernde Konzepte tatsächlich in die Tat umzusetzen. Es ist eine Riesenchance für die Stadt, die Region und auch uns. Energie!»

Nachhaltig, ein bleibender Eindruck für eine bleibende Einrichtung. Wasser auf den Mühlen. Den Vereinen droht jetzt die Vereinnahmung. Bis ins Jahr 2024 und bis zum Auslaufen des Pachtvertrages 2028 wird noch viel Wasser den Traisenwerksbach hinunterfließen und etliche Dirndlsträucher werden ins Kraut schießen. Sehr zur Freude von Land und Leuten, wie auch von Bienen und Lameisen.

Ein langjähriges Mitglied hat seine Funktionen bereits zurückgelegt und arbeitet nun als Projektmanager. Andi Fränzl bringt sich auch als «visionärer Denker» beim Bewerbungsteam ein. Im Projekt KulturhaupStart sind einige weitere Lameisen höchst (politisch) aktiv. Es stimmt schon: Aus den frühen Punks werden später oft die besten Politiker_innen. Lamesaleikum; Friede sei mit euch.

 

www.lames.at

www.sonnenpark-stp.at