Land der Rinder, Land der Schweinetun & lassen

Fleisch essen trotz Klimawandel? Lisa Bolyos (Text & Foto) hat sich am Bauernhof und in der Wissenschaft umgehört, was Fleisch mit Klima, Gesundheit und Wohlstand zu tun hat.

Rund 65 Kilo Fleisch essen Durchschnittsösterreicher_innen im Jahr, der Löwenanteil davon kommt mit satten 55 Kilo vom Schwein. War Fleisch früher ein Luxusprodukt – nicht umsonst sprach man vom «Sonntagsbraten» –, so wurde es durch Fleisch- und Futtermittelimporte, gezielte Agrarförderungen und die Esskultur der Fastfoodketten zur Alltagsnahrung. Wenn alle immer Fleisch essen können, ist das Lebensmitteldemokratie oder Verantwortungslosigkeit gegenüber Umwelt und Gesundheit?

Geschlachtetes Weidevieh.

In Österreich werden in 24.000 landwirtschaftlichen Betrieben 2,8 Millionen Schweine gehalten, dazu kommen – in über 60.000 Betrieben – 2 Millionen Rinder. 6 davon stehen gemeinsam mit ihrem Nachwuchs am Bergbauernhof von Lisa Hofer-Falkinger. Im Oberen Mühlviertel, auf rund 600 Metern Seehöhe, betreibt sie mit ihrem Mann einen Bio-Mischbetrieb, früher mit Milchkuh-, heute mit Mutterkuhhaltung. Das viele Grünland in den Bergen, sagt sie, stehe dem Menschen nicht direkt zum Verzehr zur Verfügung und werde erst durch grasfressende Tierhaltung «veredelt», also zum Lebensmittel gemacht.
Vor dreißig Jahren hat die ehemalige Krankenschwester hier eingeheiratet, dieses Jahr ist sie in Pension gegangen. Fleisch ist für die Bäuerin, die ihre Rinder am Hof schlachten lässt, ein wichtiges Lebensmittel «in Breiten, in denen man Winter hat und nicht das ganze Jahr über Gemüse anbauen kann». «Stressfrei schlachten» (für die vegetarische Journalistin gewöhnungsbedürftig) nennt Hofer-Falkinger die Schlachtung im vertrauten Umfeld des Tieres. «Wir wollen nicht, dass die Tiere vom Viehhändler zum Schlachthof transportiert und dort unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen geschlachtet werden.»
«Fleisch ja oder nein» ist nicht nur eine Frage der Quantität, sondern auch der Produktionsform. Intensivmastbetriebe haben direkt, über Flächennutzung und Methanausstoß, und indirekt, über Futtermittelimporte und Düngemitteleinsatz, einen hohen negativen Einfluss aufs Klima, während kleine Bergbauernbetriebe, die eine Kuh pro ein bis zwei Hektar halten, neben der Nahrungsmittelproduktion aktiven Klimaschutz betreiben können. «Wenn die Flächengröße stimmt und ökologisch gewirtschaftet wird, erhalten die Rinder Wiesen aufrecht. Wiesen sind mit ihrem hohen Humusgehalt ein wichtiger CO2-Speicher und auch ein wichtiger Wasser- und Erosionsschutz», ist die Biobäuerin Hofer-Falkinger überzeugt.

Die Kuh in der Klimakrise.

Doch nicht nur die Nutztierhaltung hat Einfluss aufs Klima, auch umgekehrt beeinflusst der Klimawandel die Tierhaltung. Hofer-Falkinger musste ihren Viehbestand heuer um vier Muttertiere reduzieren, weil die anhaltende Trockenheit zu Futtermangel führte. Das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus, früher bekannt als Landwirtschaftsministerium, beziffert den oberösterreichischen Rinderrückgang schon für den Hitzesommer 2018 mit 1,9 Prozent, das sind in Zahlen rund 11.000 Rinder.
Hofer-Falkinger konnte sich die wirtschaftlichen Einbußen leisten, weil sie «mit der Pension etwas wie ein Grundeinkommen» hat. Sie ist gesund, hat Lust auf ihre Arbeit und die Möglichkeit, durch kleinere Krisen durchzutauchen. «Ein Grundeinkommen wäre für alle Kleinlandwirte gut, dann braucht man in wirtschaftlich engen Zeiten nicht auf blöde Ideen zu kommen.» Eine solche «blöde Idee» sei Futterzukauf aus Importen. Rund 650.000 Tonnen allein an Sojaschrot und -bohnen werden jährlich nach Österreich importiert. In der nationalen Klimabilanz werden sie nicht abgebildet. Dass weite Flächen Lateinamerikas, Asiens und Afrikas den europäischen Viechern zum Fraße dienen, hat wiederum direkte Auswirkungen darauf, dass Bäuer_innen dort das Land für regionale Nahrungsproduktion genommen wird, oder dass im schlimmsten Fall der Amazonas brennt. «Öko-Bauern und Bäuerinnen wissen genau, welche Verantwortung in der Landwirtschaft liegt», sagt Lisa Hofer-Falkinger. «Und wir sind den Jungen dankbar dafür, dass sie das ganze Thema aufgreifen.» Angelehnt an Fridays for Future wurde darum die Initiative Farmers for Future gegründet.

Herz, Kreislauf, CO2.

Acht Prozent beträgt der Anteil der Landwirtschaft an den österreichischen Treibhausgasemissionen. Renommierte Klimaforscher_innen gehen davon aus, dass sich dieser Anteil um rund 70 Prozent verringern ließe, würde man den Fleischkonsum reduzieren. Und zwar nicht auf null, sondern auf ein Maß, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Obergrenze empfiehlt. «Der durchschnittliche österreichische Mann isst dreimal mehr», weiß die Ernährungswissenschaftlerin Petra Rust, die an der Universität Wien lehrt und den Österreichischen Ernährungsbericht mitverfasst.
Was Gesundheit mit Ernährung und Ernährung mit Klimawandel zu tun haben, erforscht Willi Haas am Institut für Soziale Ökologie. In Zusammenarbeit mit sechzig Wissenschaftler_innen hat Haas den Special Report: Gesundheit, Demographie und Klimawandel für das Austrian Panel on Climate Change (APCC) verfasst. Auf mehr als 300 Seiten werden die Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit erörtert – und Maßnahmen entwickelt, die nicht monokausal die Gesundheit sichern, sondern gleichzeitig dem Klimawandel entgegenwirken. Aufs karnivore Essverhalten heruntergebrochen heißt das: Weil übermäßiger Fleischkonsum, wie er in Österreich Tradition hat, Herz-Kreislauf-Erkrankungen ebenso verstärkt wie Treibhausgasemissionen, muss es der Fleischfresserei an den Kragen gehen. Ein bestimmter Teil des fleischproduzierenden Sektors (und dasselbe gilt für die Milch) wird damit hinsichtlich Produktionsweise und -mengen radikal in Frage gestellt, aber das tut Willi Haas herzlich wenig leid: «Wirtschaft ist da, um bestimmte Bedürfnisse abzudecken – die Wirtschaft an und für sich ist kein Bedürfnis. Freilich, Übergänge müssen sozial verträglich gestaltet werden», und er fügt hinzu: «Der Klimawandel stellt halt einiges in Frage.»

Esst’s was Gscheit’s!

Dass Fleischkonsum per se krankheitsfördernd ist, kann die Ernährungswissenschaftlerin Rust nicht bestätigen. «Es kommt immer auf das gesamte Ernährungsverhalten an. Jemand, der viel Fleisch oder Wurst isst, reduziert in der Regel gesundheitsförderliche Lebensmittelgruppen wie Obst oder Gemüse.» Korreliert solches Essverhalten mit wenig Bewegung, dann reagiert der Körper beleidigt. Aber wie kann man Menschen zu gesünderem Essen anhalten, ohne autoritär zu sein? Bund und Länder könnten im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung in Schulen, Kindergärten und Kantinen nur solchen Caterern den Zuschlag geben, die sich an die vom Sozialministerium empfohlenen Kriterien einer gesundheitsförderlichen Verpflegung halten, meint Rust. Die Autor_innen des APCC-Special-Reports schlagen unter anderem vor, die «Bio»- und «Regional»-Labels im Supermarkt zu ersetzen: «Nicht das Klimafreundliche und Gesunde muss ausgewiesen werden, sondern die klimaschädlichen und ungesunden Faktoren.» Die Kundschaft würde erfahren, wie viele Ressourcen verbraucht und zerstört wurden, bis der Apfelsaft oder die (Bio-)Banane im Supermarkt gelandet ist. «Aber auch eine Karbonbepreisung», meint Willi Haas, «könnte man in die Preisgestaltung integrieren und zugleich gesunde Lebensmittel stützen, die mit geringer Karbonemission verbunden sind». Dann würde über den Preis gesteuert, dass Klimakiller im Regal bleiben und regionales Gemüse verkocht wird. Ein Eingriff in die persönliche Wahlfreiheit? «Preise werden auch jetzt schon gestaltet», widerspricht Haas, «aber eben andersrum, sodass sie auch bei geringem Einkommen zum Fleischkonsum animieren».

Fleisch für alle?

Ist man ökonomisch schlecht ausgestattet, greift man, so Petra Rust, eher zu «energiedichter» Nahrung. Die macht aufgrund ihres hohen Fett- oder Zuckergehalts schnell satt. Fetthaltige Fleischprodukte gehören dazu. Höhere Preise könnten Arme davon abbringen, sich häufig Fleisch zu kaufen. Das mag gesundheitsfördernd sein, aber ist es sozial gerecht? «Man darf die ökologische mit der sozialen Frage nicht in Konkurrenz stellen», warnt Willi Haas. «Wenn man keine Klimapolitik haben will, kommt das Sozialargument immer recht. Aber eine verfehlte Sozialpolitik kann man so nicht reparieren.»
Die Diätologin Daniela Grach ist im Arbeitskreis Ernährungsarmut und Nachhaltigkeit des Verbands der Diaetologen Österreichs aktiv. «Ernährungsarmut kann unzureichend oder mangelhafte Ernährung bedeuten», erklärt sie, also zu wenige Kalorien oder zu wenige Nährstoffe. Darum sei es in der Ernährungsberatung von ökonomisch Benachteiligten wichtig, sich an leistbaren Lebensmitteln zu orientieren. Leistbar und gesund, das sei durchaus möglich.
Auch Lisa Hofer-Falkinger hat einen Weg gefunden, den Konsum ihres Fleischs klassenübergreifend zu gestalten: Gustostückerl à la Lungenbraten für die Betuchten und das Kochfleisch für die Großfamilie, das spielt’s auf ihrem Hof nicht, hier wird das selbst geschlachtete Rind in sogenannten Mischfleischpaketen vermarktet. «Manche Leute sagen, das ist nicht sehr wirtschaftlich», lacht sie, «aber ich mag diese Einteilung in Qualitätsstufen nicht.» Ernährungssouveränität würde für sie aber bedeuten, dass Menschen selbst entscheiden können, welches Essen sie sich kaufen – und über ein funktionierendes Sozialsystem auch die nötigen Mittel dafür haben. Dem stimmt die Diätologin Grach zu. Natürlich fehle oft das Wissen, wie man sich kostengünstig gesund ernähren könne. «Aber in erster Linie müssen die Ursachen für Armut behoben werden.»

Schlemmern for Future.

Fleischessen ist nicht schlecht für Gesundheit und Klima – unter der Voraussetzung, dass der Konsum sich an den Ressourcen orientiert, die Körper und Umwelt zur Verfügung stellen. Die Rahmenbedingungen dafür müssen Agrar- und Sozialpolitik schaffen. Würden Österreicher_innen maximal die von der WHO empfohlene Menge Fleisch essen oder sich gar auf den Sonntagsbraten beschränken, könnte der Konsumbedarf aus der einzigen klimafreundlichen Produktionsweise, der regionalen kleinbäuerlichen Landwirtschaft, gedeckt werden. Lisa Hofer-Falkinger könnte – ob’s uns Vegetarier_innen nun gefällt oder nicht – weiterhin ihre acht Rinder pro Jahr stressfrei schlachten und ihren Kund_innen klassennivellierende Mischfleischpakete verkaufen. Die Landwirtschaft würde sich dem Bild von der fröhlichen Bäuerin mit dem noch viel fröhlicheren Schweinderl, mit dem so gerne geworben wird, annähern. Und Österreich hätte eine Chance, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Wozu es übrigens verpflichtet ist.