Eine Autobahn durch den Nationalpark Lobau bauen? Die Idee ist nicht neu. Und auch der Widerstand dagegen nicht.
Text: Julia Grillmayr
Fotos: Jana Madzigon, Lobau-archiv
Zahlreiche Zelte, ein kleiner Hauptplatz mit Sesselkreis und Bühne, ein immer besetzter Infotisch und Schilder, auf denen «Baustopp jetzt» oder «Nein zu einer Lobau-Autobahn» zu lesen ist: Die Parkanlage Anfanggasse in Hirschstetten ist seit Ende August ein Protestcamp. Mehrere Initiativen und NGOs, aber auch viele Menschen, die keiner Organisation zugehören, kommen hier zusammen, um zwei geplante Großbauprojekte zu verhindern: die sogenannte Stadtstraße Aspern und die Lobau-Autobahn, samt Tunnel durch den breitesten Teil des Nationalparks. Mehrere Baustellen wurden von Aktivist_innen blockiert. «Wir sind mitten in der Klimakrise. Wer jetzt noch Autobahnen baut, versündigt sich gegen die kommenden Generationen. Es ist einfach nur fahrlässig», sagt Jutta Matysek und spricht aus, was viele der Menschen motiviert, sich an der wachsenden Protestbewegung zu beteiligen. Matysek ist Obfrau der Bürger_innen-Initiative «Rettet die Lobau – Natur statt Beton». Die wurde 2003 gegründet. Die Idee, eine Autobahn durch die Lobau zu bauen, ist also nicht neu – und auch der Protest dagegen nicht. Bevor ich kürzlich regelmäßiger Gast im Protestcamp in der Donaustadt wurde, streifte er immer wieder meine Biografie.
Zierfische in der Lobau.
Zeitsprung: Als Kind war ich mit meinen Eltern sehr viel in der Lobau. Hin und wieder besuchten wir auch das damalige Lobaumuseum, wobei ich nur ungern bei dem alten Holzhaus Halt machte. Mein Vater geriet nämlich jedes Mal in endlose Diskussionen mit dem Museumsbetreiber, und ich stapfte gelangweilt zwischen Naturfotografien und eher gruseligen ausgestopften Tieren herum. Heute weiß ich, dass der Museumsbetreiber Anton Klein war und es bei den hitzigen Diskussionen um die Lobau ging. «Er hatte einen missionarischen Eifer, die Leute zu überzeugen, dass die Au schützenswert ist», erzählt Christa Reitermayr. Die Lehrerin ist in Essling aufgewachsen und lernte Klein als Jugendliche kennen. Heute arbeitet sie mit dem Verein für Umweltgeschichte daran, das Lobaumuseum virtuell am Leben zu erhalten und etwas Neues aus den Beständen zu machen, die in einem Depot in Groß-Enzersdorf schlummern.
Anton Klein (1925–2013) war Zierfischzüchter. «Er ging in die Au, um Plankton für die Fische zu sammeln», erzählt Reitermayr, die ihn dabei manchmal begleitete. Den Wert der Au und ihrer Biodiversität habe er erkannt, nachdem einige der Tümpel, aus denen er seine Fische ernährte, einfach zugeschüttet wurden. Anfang der 1970er-Jahre transformierte Klein das Vereinshaus der Zierfischzüchter in das erste Lobaumuseum und ging mit dem Protestruf «Die Lobau darf nicht sterben» an die Medien. Die besondere Dringlichkeit dieses Aufrufs ergab sich aus der damals geplanten Errichtung eines Autobahnnetzwerks, das quer durch die Augebiete der Donaustadt führen sollte. «Da entstand eine erste Form der Bürger_innen-Initiative», sagt Reitermayr, die sich an das Vervielfältigen von Petitionsbögen mittels «Abziehmaschine» (einer Vorform des Kopierers) und an medienwirksame Aktionen wie Fallschirmsprünge und Hochradtouren erinnert. Die Autobahn durch die Au wurde nicht gebaut.
Die Nackerten und die Autobahn.
Erneuter Zeitsprung: Dreißig Jahre später, Anfang der 2000er-Jahre, kommt die Lobau-Autobahn, neu konzipiert, aber nicht minder massiv, zurück auf den Planungstisch. Und erneut gibt es Widerstand. «Wir haben Flugblätter an die Nacktbader verteilt, die ahnungslos in der Sonne gelegen sind», erzählt Gerhard von der Bürger_innen-Initiative «Rettet die Lobau». «Badestopp» war darauf zu lesen, denn mit dem geplanten Ausbau der Raffineriestraße hätte auch der FKK-Strand entlang der Neuen Donau dran glauben müssen. «Eine Zeitung hat sich damals ausgemalt, dass hunderte Nackerte vorm Rathaus demonstrieren werden», sagt der studierte Biologe und Wissenschaftsjournalist lachend. Gerhard hat ein privates Archiv angelegt, um die Kontinuität und Hartnäckigkeit der Protestbewegung abzubilden. Darin sind Zeitungsartikel, Flyer, Mails und Fotografien, die etwa Protestaktionen dokumentieren. «Da waren wir schon alle irgendwie jünger», sagt er lachend mit Blick auf ein Foto aus dem Jahr 2006.
Im November 2006 begann die ASFINAG Probebohrungen in der Au, woraufhin Aktivist_innen ein Protestcamp in Groß-Enzersdorf aufschlugen, um die riesigen Maschinen zu blockieren. Auch mein Vater und ich besuchten damals das Camp, beeindruckt von dem winterlichen Zeltlager und dem Durchhaltevermögen der Aktivist_innen. Man war schnell an die berühmte Besetzung der Hainburger Au im Jahr 1984 erinnert, die den Bau eines Wasserkraftwerks verhindert hatte. Auch hier waren die Umweltschützer_innen harschem Dezemberwetter ausgesetzt.
Sophia Rut schloss sich 2006 als junge Studentin dem Protestcamp an. Heute ist sie Sozialökologin, beforscht die Umweltgeschichte in Österreich und interessiert sich insbesondere für Hainburg. Auch in der aktuellen «Lobau bleibt!»-Bewegung wird diese Erfolgsgeschichte immer wieder aufgerufen. Auf Demoschildern liest man «Hainburg ist überall» und «Wird gebaut, wird besetzt!»
«In den 70er- und 80er-Jahren änderte sich das Verständnis von ‹Natur› in der Gesellschaft grundlegend», erklärt Rut. Die Natur wurde nicht mehr als Äußeres wahrgenommen, sondern als etwas, von dem der Mensch durchdrungen und Teil ist. «Diese neue Erzählung konnte mobilisieren. Das hatte viel Motivationskraft für die Protestbewegung.» Rut hält es für wichtig, die Umweltgeschichte aufzuarbeiten, auch um für aktuellen Protest zu lernen. Denn ein einfaches Kopieren der Aktionsformen sei sicher nicht möglich. «Die Grünen haben sich nach Hainburg gegründet, heute haben wir eine grüne Verkehrsministerin. Da braucht es andere Strategien», sagt Rut. Ihr ist es wichtig herauszustreichen, dass der medial präsenten Besetzung in Hainburg unglaublich viele kleine Arbeitsschritte vorangingen, die im Hintergrund blieben. Im Rahmen ihrer Recherchen sprach sie etwa mit Frauen, die jahrelang an jede Tür in Hainburg klopften, um zu informieren und Unterschriften gegen das Kraftwerk zu sammeln. Solche Bemühungen dürfe man nicht unterschätzen.
Internationale Schwerverkehrsachse. Eine solche langfristige und stetige Arbeit im Widerstand gegen die Verbauung der Au leistet heute Jutta Matysek, die sich gerne scherzhaft als «Wanderpredigerin» bezeichnet. Seit Jahren macht sie Infostände und hält Vorträge an unterschiedlichsten Orten. Nach wie vor sei das Gebot der Stunde, die Bevölkerung zu informieren, sagt Matysek: «Wien soll mit diesen Autobahnen zu einem Knotenpunkt der internationalen Schwerverkehrsachse werden. Das wissen die Wenigsten.» Damit sei auch klar, dass – wie viele Verkehrsplaner_innen betonen – der Straßenbau nicht die versprochene Entlastung, sondern noch mehr Verkehrsströme bringe.
Matysek und andere langgediente Aktivist_innen sind von dem aktuell explosionsartig wachsenden Protest begeistert. «Ich bin sehr dankbar, dass sich jetzt so viele Leute engagieren und gleichzeitig voller Wertschätzung dafür, dass schon so lange etwas für die Au getan wird», sagt Christa Reitermayr. Ein Blick auf die lange Geschichte und den beeindruckend langen Atem dieses Protests relativiert in keiner Weise die Dringlichkeit der aktuellen Aktionen. Die bald 20-jährige Bürger_innen-Initiative ist bereits ein Erfolg, denn mittels zahllosen Gerichtsverhandlungen und Einsprüchen wurde ein Baustart bis jetzt verhindert. «Es ist unglaublich, wir hätten nie gedacht, dass wir 2021 noch da sind», sagt Gerhard. Aber: «Diese rechtlichen Mittel sind bald ausgeschöpft», erklärt Matysek. «Jetzt muss das, was wir seit Jahren vorbereiten, endlich gelingen. Diese Autobahn muss verhindert werden, und dazu müssen noch massenhaft Leute aktiv werden.»