Toronto ist eine «Sanctuary City» - Wien ziert sich noch
Städtische Dienstleistungen müssen seit 2013 für alle Bewohner_innen im kanadischen Toronto zugänglich sein – gleichgültig, welchen Aufenthaltsstatus sie haben. In Wien steht das noch aus.
Illu: Tings Chak
Vor eineinhalb Jahren beschloss der Stadtrat von Toronto eine «Access Without Fear»-Politik. Öffentliche Dienstleistungen der Stadt müssen nun auch Stadtbewohner_innen mit prekärem Immigrationsstatus zugänglich sein: Damit wurde Toronto zur ersten «Sanctuary City» in Kanada. Lokale Migrant_innengruppen brachten diese Entscheidung seit den 1980ern in zahlreichen Kampagnen auf den Weg. Im «Solidarity City Network» zusammengeschlossen kämpfen sie nun darum, dass die Beschlüsse umgesetzt und auf weitere Orte ausgeweitet werden.
Don’t ask, don’t tell!
Schätzungen zufolge leben in Toronto rund 200.000 Personen mit unsicherem oder ohne Immigrationsstatus. Fast alle davon sind legal nach Kanada eingereist. In den letzten fünfzehn Jahren weitete die nationale Regierung Gastarbeiter_innen-Programme verglichen zu permanenten Immigrationsmöglichkeiten immer weiter aus. Gerade nach 9/11 verschärfte sie u. a. Asylgesetze und Einreisebestimmungen und erschwerte den Wechsel von temporären zu permanenten Aufenthalts- und Arbeitstiteln. Das führt nun dazu, dass immer mehr Bewohner_innen ihren Status verlieren oder zwischen temporärem und keinem Aufenthaltstitel pendeln. Wenn Bewohner_innen mit prekärem Status überhaupt Zugang zu öffentlichen Dienstleitungen haben, hindert sie oft die Angst, von der Polizei geschnappt zu werden, davor, diese auch in Anspruch zu nehmen.
In den USA organisierten sich seit den 1970ern Flüchtlinge und Arbeitsmigrant_innen ohne Papiere in sogenannten «Sanctuary Cities». Inzwischen gilt dort in 36 Großstädten, darunter San Francisco und Chicago, eine Politik des «Don’t ask, don’t tell» («Frag nichts, sag nichts») oder «Access Without Fear» («Zugang ohne Angst»). Bei städtischen Services wird nicht nach dem Immigrationsstatus der Nutzer_innen gefragt und wenn bekannt, wird er an niemanden weiter gegeben.
2004 brachte eine Koalition aus 23 Community-Gruppen eine solche «Don’t ask, don’t tell»- Politik als Teil einer Forderungsliste zur Armutsbekämpfung in den Stadtrat von Toronto ein – ohne Erfolg. Also konzentrierte man sich darauf, anhand konkreter Fälle eine solche Politik für bestimmte Einrichtungen einzeln durchzusetzen. Nachdem die Polizei begann, mehrfach Kinder in der Schule aufzugreifen, und den Eltern, die keine Papiere hatten, mit der Ausweisung drohte, setzte eine breite Solidaritätsbewegung ein, die 2006 «Don’t ask, don’t tell» als Grundsatz für alle öffentlichen Schulen in Toronto erreichte.
Ähnliche Kampagnenerfolge konnten jeweils auch für den sicheren Zugang zu Frauenhäusern, Obdachlosenheimen und Essensausgaben gefeiert werden. Damit war der Weg bereitet, «Don’t ask, don’t tell» oder «Access Without Fear» zur Leitlinie für alle städtischen Dienstleistungen erfolgreich durch den Stadtrat zu bringen. Dies geschah am 21. Februar 2013 fast einstimmig in einer Marathonsitzung des Stadtrates – allerdings unter heftigem Protest der nationalen Regierung.
Das solidarische Stadtnetzwerk in Aktion
Die eigentliche Arbeit begann dann allerdings erst. Durch mehrsprachige und selbsterklärende grafische Materialien und Community-Workshops verbreiteten Aktivist_innen des «Solidarity City Networks» Informationen über städtische Dienstleistungen. Eine Hotline half, unzugängliche Services zu finden. Die Aktivist_innen des «Solidarity City Network» kontaktierten hunderte Einrichtungen telefonisch und testete deren Zugänglichkeit. Mit einiger Verspätung beschloss der Stadtrat im Juni 2014 ein Maßnahmenpaket zur Umsetzung der «Access Without Fear»-Policy, allerdings noch ohne die nötigen Budgetmittel.
Um eine Sanctuary City zu erreichen, die ihren Namen verdient, braucht es noch kontinuierlichen Druck von Seiten der betroffenen Communities und eine Ausweitung der Kampagne auf weitere Städte und die Provinz Ontario. Denn die meisten wohlfahrtsstaatlichen Dienstleistungen und Transferleistungen werden in Kanada auf Provinzebene abgewickelt. Einige Städte in Ontario sind schon auf die Kampagne aufgesprungen. Letztlich ist das Ziel einer solchen Initiative, einen legalen Aufenthaltsstatus für alle Bewohner_innen zu erreichen.
Wien: vom «good will» abhängig
In Wien steht eine vergleichbare Politik derzeit nicht zur Debatte. Es gibt allerdings einige Einrichtungen, die für alle Bewohner_innen, unabhänig von ihrem Aufenthaltsstatus, zugänglich sind. Carin Spak, Leiterin von Ambermed, einer Einrichtung, die Gesundheitsdienstleitungen für Menschen ohne Versicherung bietet, erklärt, dass sie nur einen Namen und eine Telefonnummer erheben, um ihre Klient_innen zeitgerecht erreichen zu können. In Krankenhäusern werden Personen nicht der Fremdenpolizei gemeldet – außer sie haben schon hohe Schulden durch die Behandlung angehäuft. In Wiens Schulen sollten aufgrund der geltenden Unterrichtspflicht Schüler_innen auch ohne Status am Unterricht teilnehmen können. Spak beschreibt die Situation aber weniger zuversichtlich: «In der Praxis ist das aber oft vom «good will» der Dirketor_innen abhängig.»
Philip Taucher arbeitete und forschte zwei Jahre mit dem «Solidarity City Network» in Toronto.