Regierungen verschwinden, die schwarzen Blöcke bleiben / Teil 1
Nicht mehr zu zählen sind die innerlinken Debatten über Gewalt bei Demos im Allgemeinen und um den so genannten schwarzen Block im Speziellen. Umso mehr überraschte manche Leserinnen und Leser die Tatsache, dass der Augustin zum innenpolitischen Thema Nr. 1 des Jänners 2014 schwieg; dass er schmeeschdaad war nach der turbulenten Nacht, in der gegen den rechten Burschenschafterball demonstriert wurde.Es wurde schön und laut demonstriert, d.h. die in anderen Städten international sich durchsetzenden Rituale und Inszenierungen des Widerstandes passierten in Keimform nun auch in Wien. Schön und laut: Farbbeutel, Silvesterraketen, Silvesterkracher, bengalische Feuer, rollende Sound Machines und die unermüdlichen Samba-Trommler_innen ließen in Wiens Innenstadt, wo man normalerweise Straßenmusikant_innen den Gebrauch eines einzigen mickrigen Gesangsmikros per Straßenkunstverordnung verbietet, die Ahnung aufkommen, dass bald auch in Mitteleuropa die Unzufriedenen bereit zur Radikalisierung der Protestformen sein werden.
Die Selbstinszenierung des schwarzen Blockes als Avantgarde des antifaschistischen Protestes erlaubte den Mainstreammedien heuer noch mehr als in den vergangenen Jahren, von der Realität der zehntausend Demonstrant_innen abzulenken – und von ihrer Hauptforderung an die Regierung: In Zukunft kein Rechtsextremistenball mehr in der Hofburg! Den Medien kam entgegen, dass sie den Gesamtschaden von «mehr als einer Million Euro» breittreten konnten, der von den Vermummten angerichtet worden sei. Ich weiß nicht, ob irgendein Blatt, das diesen Millionenschaden kolportierte, sich die Mühe machte, die reale Schadenssumme zu recherchieren. Sicher ist, dass kein Blatt den durch die Demo verursachten Schaden mit den Kosten verglich, die durch die «Ausnahmezustands»-Operationen anfielen. Ich verwende diesen Terminus nicht im juristischen Sinn; gemeint ist eine vom Staat herbeigeführte Situation, die wegen der flächenmäßig noch nie gewagten Betretungs- und Aufenthaltsverbote (in diesen Zonen wurde auch die Freiheit der journalistischen Reportage außer Kraft gesetzt) und wegen der tausenden Polizist_innen, die zum Schutz der Rechtsextremisten engagiert wurden, finanziell relevanter ist als die paar eingeschlagenen Auslagenscheiben von City-Geschäften und die zersplitterten Polizeiauto-Fensterscheiben.
«30 verwüstete Geschäfte»
Der Augustin, der ein paar Tage nach dieser aufregenden Nacht erschien, enthielt tatsächlich nichts über die Demo – mit Ausnahme einer Bemerkung Grolls (der literarischen Figur in Erwin Riess‘ Folge «Herr Groll auf Reisen»): «Ich werde den Verdacht nicht los, dass der schwarze Block von den Glasermeistern des ersten Bezirks gedungen wurde, um für eine Umsatzbelebung zu sorgen.» Das Groll’sche Augenzwinkern zum zerbrochenen (und in der Regel versicherten) Glas hätte vor 20 Jahren auch noch der Falter geteilt (unglaublich, dass der einst ein subkulturelles nonkonformistisches Medium war); inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen, hat sich der Falter den Sprachregelungen angepasst, die ein Teil der Methoden der Diskriminierung linker Aktivitäten geworden sind: aus Läden, deren Fensterscheiben eingeschlagen wurden, werden «demolierte» Läden. «30 Geschäfte verwüstet» informierte Ingrid Brodnig in der Titelgeschichte. So braucht sie auch die Schadensmillion nicht in Frage zu stellen.
Ein paar Tage nach der «Krawallnacht» rund um die Wiener Hofburg kam es zu zwei Ereignissen, die nicht viel miteinander zu tun hatten. Beide aber provozieren Überlegungen zur Frage der Gegengewalt im zivilen Ungehorsam. In der ersten Woche des Februar kam es zu Arbeiter_innen-, Arbeitslosen- und Student_innenrevolten in den Städten Bosniens und in der Hauptstadt Sarajewo. Der Sitz des Präsidiums der Republik Bosnien-Herzegowina wurde von den Unzufriedenen genauso in Brand gesteckt wie regionale und kommunale Regierungs- und Parteigebäude. Polizeiautos wurden abgefackelt. Videodokumentationen zeigten Erwachsene, die Verständnis für die Radikalität der jungen Menschen hatte: «Sie haben nichts mehr zu verlieren».
Man darf wieder über Revolution reden
Ihre Gewalt gegen Sachen, die sich als Symbol des verhassten Systems anbieten, gefährdete auch Menschen (man konnte sehen, wie Leute sich aus den brennenden Etagen ins Freie stürzten), dennoch schien es an paternalistischen Zurechtweisungen von der Art «Ihr schadet der Bewegung», «Gewalt ist kontraproduktiv» etc. zu mangeln. Die «bosnische Revolution» als Nahziel der Proteste war in aller Munde, was insofern bemerkenswert ist, als in ex-kommunistischen Ländern die Termini der sich kommunistisch nennenden Verwaltung, die marxistisch-leninistischen Sprachcodes in der Regel unbeliebt blieben.
Wo gehobelt wird, fallen Späne, und eine Revolution kann man sich nicht anders als eine große Hobelei vorstellen. In Bosnien wusste jede und jeder, dass ohne die brennenden Regierungsgebäude erstens die Welt kaum erfahren hätte, wie die soziale Lage in diesem exjugoslawischen künstlichen Staatsgebilde ist; zweitens hockten die lokalen Politiker, die – überrascht über das Ausmaß der Unzufriedenheit – ihr Amt schleunigst zur Verfügung gestellt hatten, immer noch hinter ihren Schreibtischen.
Das zweite Ereignis war das überfallsartige Erscheinen eines Baggers einer deutschen Abrissfirma früh am Morgen am Bahnhof Hollenstein. Das ist eine Station der reizvollen Ybbstalbahn im niederösterreichischen Mostviertel – eine der niederösterreichischen «Nebenbahnen», die aus der Landschaft verschwinden sollen, wenn es nach dem Willen des Landesfürsten Erwin Pröll geht. Entgegen bestehender Vereinbarungen zwischen der Politik und den Pro-Bahn-Bürgerinitiativen begann der Bagger, die Gleisanlage zu demolieren. Trotz des Versuchs des deutschen Unternehmens, rasch vollendete Tatsachen zu schaffen, und trotz der frühen Morgenstunde gelang es herbeitelefonierten Bürgeraktivist_innen, die Abrissarbeiten zu unterbrechen. Ein Landtagsabgeordneter befahl jedoch die Wiederaufnahme der Demolierung und drohte den Blockadeteilnehmer_innen strafrechtliche Verfolgung an.
Schwarzer Block des Mostviertels?
Ein schwarzer Block des Mostviertels hätte vielleicht nicht lange gezögert und den Bagger unbrauchbar gemacht. Die Freude der Bahngegner_innen über eine solche nicht ausgesprochen pazifistische Intervention wäre nicht nur «klammheimlich» ausgefallen. Ein schwarzer Block des Mostviertels ist aber nicht in Sicht, und den wenig widerstandserfahrenen Bahnretter_innen fehlt das geeignete Ventil, um ihren Frust loszuwerden. Man kann ihre Wut erahnen, wenn man weiß, dass besagter Landtagsabgeordneter als Bürgermeister der Ybbstalregion den Wunsch der Bevölkerung nach Rettung der Bahn respektieren müsste, was aber seine Verflechtung mit den ÖBB nicht zulässt. Er verdient an ÖBB-Großprojekten: als Eisenbahntunnelmanager.
Das bosnische Beispiel zeigt, wie konstruktiv die Destruktivität der sozialen Bewegung sein kann, und das Ybbstaler, dass eine Bewegung unter ihren Möglichkeiten bleibt, wenn sie sich nicht traut, Gesetze zu übertreten und in Frage der Gewaltanwendung flexibel zu sein. Da auch die neuen sozialen Bewegungen aus Menschen bestehen, die sich irren können und nicht immer perfekt handeln, gibt es Übertreibungen in jede Richtung. Man kann die Gewaltlosigkeit übertreiben; das Resultat kann eine völlige Gängelung einer Demonstration durch die Polizeikräfte sein, eine Domestizierung, die die Aktion unwirksam macht und unter den Teilnehmenden ein demobilisierendes Gefühl der Ohnmacht aufkommen lässt. Andererseits: der «revolutionäre» Sinn des Angriffs auf eine Filiale der Café-Kette Aida, der ein kaputtes Schaufenster und zwei völlig verdatterte, kreidebleich gewordene Verkäufer_innen hinterließ, kann mir schwerlich vermittelt werden; diese Episode während der Demo gegen den rechte-Burschen-Ball drängte mich dazu, die Ambivalenz der Handlungen des schwarzen Blocks zu thematisieren. Die erwähnte Selbstinszenierung des schwarzen Blocks, die die Form eines durch eine lückenlose Stofftransparente-Wand gebildeten Rechtecks annahm, innerhalb dessen – als einzige uniformierte Einheit neben der Polizei – rund 200 schwarz Vermummte den Eindruck einer hermetisch abgeschlossenen Kampfzelle erweckten, verstärkte mein Unbehagen.
Freilich richtet sich dieses Unbehagen immer an die falsche Adresse. Die black blocks unserer Städte sind adresslos. Der schwarze Block existiert nicht als Organisation, der man beitreten kann – außer vielleicht in Ägypten, wo sich militante Linke definitiv so nennen. Es handelt sich vielmehr eine Methode des politischen Widerstands, eine gewisse Demonstrationstaktik. Die Grenzen zwischen dem schwarzen Block und den anderen Demonstrierenden sind immer verschwommen; nach meiner Beobachtung fand bei der Demo gegen den Rechtsball die Beschädigung von Polizeiautos und der Angriff auf eine Polizeistation auch die Zustimmung von Demonstrierenden, die selber keinen Hang zu angewandter Militanz besitzen. Ich denke, die meisten Demonstrierenden hätten eine Aufforderung von außen, sich von den Methoden des schwarzen Blocks zu distanzieren, strikt abgelehnt.