Lautlos Musik produzierenArtistin

Kunstfestival Fragmente des Vereins Im Raum im Zwischennutzungsprojekt Lautlos.haus. (Foto: © Carolina Frank)

Den Rückzugsgedanken des Biedermeier für sich nutzen: Während im rückwärtigen Teil des lautlos.haus junge Leute unauffällig ihren kreativen Ansprüchen nachgehen, stellt vorne die junge Truppe von Im Raum prächtige Kunst aus.

Vor der Türe des Biedermeierhauses junge Leute, die im Regen eifrig Pakete mit Saftflaschen in den Hof tragen. Alle arbeiten fleißig vor sich hin. Heute Abend wird ­Eröffnung der Ausstellung Fragmente des Kollektivs Im Raum sein. Das Haus wirkt wie ein alter Vierkantbauernhof mitten in der Stadt Wien, im grünen Innenhof hört man plötzlich die Autos auf der Nußdorfer Straße nicht mehr.
Mit lautlos.haus erhielt das denkmalgeschützte Gebäude einen eigentümlichen Namen von den jungen Musikproduzenten, die hier in Tonstudios eigentlich ständig Töne, Laute und Lautstärke erzeugen. Aber auch für Ausstellungen werden Räume vermietet. «Von den 130 Einreichungen auf unseren Call haben wir 55 Künstler und Künstlerinnen ausgesucht, die nun hier im Haus ­gezeigt werden», erzählt Julia Artmayr von Im Raum. Das zeige deutlich den Bedarf an Ausstellungsmöglichkeiten von zum Teil sehr jungen Künstler:innen aus der ganzen Welt. Das Kollektiv Gorsad aus Kiew ist mit frechen Gender-Style-Fotos ­dabei. Ein Fotograf aus Nigeria. So weit ging der Call herum. «Wir wollten möglichst unter­schiedliche Positionen haben und einen Austausch», erklärt Vinzi Herkner, «damit die Leute sehen, es funktioniert gemeinsam, nicht gegeneinander. Wir gehen den entspannteren Weg.» Dann rennt er davon, in seinem langen Rock über rutschige Holzpaletten. Irgendetwas Dringendes ist ihm eingefallen.

Best Friends

Ein genähtes Buch aus ­Papier voller Zeichnungen hängt am seidenen Faden von der Decke herunter. Im Nebenzimmer sind an roten Fäden Zahngebisse aus weißer Keramik verknotet. Alle Aspekte, die mit dem Gefühl von Zuhause zu tun haben, sind hier ausgestellt. «Findet Häuslichkeit nur ­Zuhause statt oder kann die auch woanders stattfinden?», steht an der Wand. In diesem Teil des Hauses sind noch die alten Tapeten und offener Backstein zu sehen, während unten die Farbkübel herumstehen, weil ­Pauline, Maya und Antonia von Im Raum extra ausgemalt haben. Ständig tun sich überraschende Ausblicke auf.
«Mathilde kann auch das Peace-Zeichen», lacht Julia Auly über ihre riesige Marionette, die man bespielen darf. Es sieht so aus, als erwache die Figur zum ­Leben, wenn die Künstlerin die Fäden zieht. Best Friends nennt sich die Installation. Daneben stehen hellblaue Keramikfiguren in einer Art Aushöhlung in der Wand. Die Badewanne ist voller Erde und Pflanzen, es riecht nach Natur. Im Stiegenaufgang hängt ein Gemälde voll heller Farben, das durch die Oberlichten der wechselnden Beleuchtung durch ­Sonne und Wolken ausgesetzt ist und stark strahlt. Fragmente ist erst die zweite Ausstellung von Im Raum, die erste fand in einem ­Gemeindebau statt und umfasste «nur» sechzehn Künstler:innen.

Kunst in Deckung

Im hinteren Teil des Hauses ist hingegen schon renoviert und das Studio schaut aus wie aus Hollywood in den 1950er-Jahren mit seinem Samtsofa, der antiken Lampe und dem Holzboden.
«Wie seid ihr auf uns gestoßen?», ist die erste Frage von Noah Kerbler, dessen Großvater das Gebäude vor zwei Jahren gekauft hat. «Wir halten uns nämlich eher bedeckt.» Es klingt etwas vorwurfsvoll. «Weil wir noch renovieren wollen, möchten wir jetzt nichts herausposaunen.» Noah ­wollte schon vor dem lautlos.haus mit Freunden einen Creative Space machen. Sein Großvater zeigte ihm den Ort und fragte: «Ist das was für euch?» Die vier Jungs, die sich zum Teil schon aus dem Kindergarten kennen, sagten sofort Ja. «Unsere Philosophie ist es, dass die ­Leute zu uns kommen, nicht wir zu ­ihnen. Das Haus soll langsam wachsen, auf natürlichem Weg», meint Noah. Sie hätten bisher nur «daydrinking events» gestaltet plus ein Konzert im Monat, weil sie ja «mitten im Wohngebiet» liegen. Von der ­Villa LaLa in Hietzing, in der ebenfalls Musik produziert wird, will er – «die hält sich noch mehr bedeckt als wir» –gar nichts erzählen. «Wir haben hier alles selber ­gebaut, das hat unsere ­Community sehr gestärkt. Biedermeier war die Zeit des Rückzugs, das nutzen wir für uns.»
Im vorderen Teil des zweihundert ­Jahre alten Gebäudes hängt gerade ­Nikita sein Gemälde mit lauter gekreuzigten ­Stewardessen auf, die für die «musterhaften Aspekte unseres Lebens stehen» sollen. Ein «Arbeiter, der Essen nach Rom liefert», fährt in Gegenrichtung der ­Stewardessen-Allee und schaut rückwärts zum Betrachter hin. Mit Kreuzstich gefertigte Bilder hängen im Durchgang an der Wand. «Respect existence or expect resistance» steht auf einem.

www.lautlos.haus

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