Gedichte
Wofür leben die Menschen? / Für die Arbeit, / Die Liebe, / Die Bildung? / Wofür lebst du? / Etwa, um zu leben / Oder um gelebt zu haben? / Wofür leben die Menschen / Weißt du, dass du lebst? / Kannst du sagen, dass du / «Für die Freiheit, gleiche Rechte, / Unabhängigkeit und ohne Folter / Leben willst», / Dann weißt du, dass du lebst …
Gemessen an diesen Fragen wusste Semra Ertan, dass sie lebt. Die 1957 in der Türkei geborene Lyrikerin und Arbeiterin, die als Jugendliche nach Deutschland kam, hat viel gekämpft: gegen Einsamkeit, Ausbeutung und den Rassismus, dem die Arbeitsmigrant_innen täglich ausgesetzt waren. So engagierte sie sich als freiwillige Übersetzerin, ging auf Demos und schrieb Gedichte. Über ihre Fragen an die Welt, ihre Kämpfe und von der Hoffnung, leben zu können. Aber auch von Liebe und Erinnerung. Zart, klar, direkt. Einen ersten Band in Deutsch und Türkisch haben Zühal und Cana Bilir-Meier, Ertans Schwester und Nichte, mit Mein Name ist Ausländer veröffentlicht. Betitelt nach dem berühmtesten Gedicht beinhaltet er Gedichte, Briefe und Fotos. Semra Ertan hat sich am 24. Mai 1982 aus Protest gegen Rassismus öffentlich selbst verbrannt. Ihre Gedichte sollen in Schulen gelesen werden, so wünschen es die Herausgeberinnen. Sie sind ein Stück Zeitgeschichte, erzählt von einer Position aus, die viel zu wenig gehört wird.
Semra Ertan:
Mein Name ist Ausländer
edition assemblage 2020
240 Seiten, 18 Euro