«Leckeres Essen»vorstadt

Lokalmatador

Hisham Hawat hat das Wiener Zuckerlgeschäft neu interpretiert. Er hat zuvor im Krieg studiert. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).

Kunafah! «Bitte kosten Sie», sagt der junge Geschäftsinhaber. «Es ist eine Nachspeise aus meinem Heimatland. Sie wird mit Nüssen, Teig, Käse und Zuckersirup zubereitet und warm serviert.» Kunafah? – Kunafah! Das Leben kann süß sein. Und lecker!

Hisham Hawat hat in Damaskus Wirtschaft studiert. Dass er einmal ein Süßwarengeschäft in Ottakring führen wird, hätte er sich im Jahr 2011 auch nicht erträumt. Damals begann in Syrien der Krieg, und er begann an der Universität mit dem Studium. Nebenbei hat er als Buchhalter und Financial Manager in einem Metall verarbeitenden Betrieb und einer Bank gearbeitet. «Um Erfahrungen zu sammeln und meine Ausbildung zu finanzieren.»

Der 27-Jährige wäre heute vermutlich ein angesehener Doktor der Ökonomie, hätten sich in seinem Land die Demokrat_innen durchgesetzt. Haben sie aber nicht. Als der Krieg vor drei Jahren sein Leben dramatisch bedrohte, verabschiedete er sich von seiner Frau, seiner Familie und seiner Karriere. Und es ist davon auszugehen, dass ihm das nicht leichtfiel.

Er wollte nicht fliehen, doch seinen Antrag für ein legales Auslandsstudium haben europäische Behörden abgewiesen. Seine mehrmonatige Odyssee führte ihn an den Orten des Schreckens vorbei: Er sah die geballte Aussichtslosigkeit in den Flüchtlingscamps im Libanon und in der Türkei, das Massengrab Mittelmeer und die gefürchtete Balkanroute von Athen bis nach Wien.

Hier angekommen, wurde er zunächst einmal zum Warten angehalten. Den Tag, an dem er nach sieben Monaten Anspannung seinen positiven Asylbescheid in Händen hielt, wird er so schnell nicht vergessen. «Das war unglaublich», erzählt er, während seine Mitarbeiter in mehreren Sprachen eine Kundschaft nach der anderen bedienen.

Das gute alte Zuckerlgeschäft ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts weitgehend aus dem Wiener Straßenbild verschwunden. Hisham Hawat hat es reformiert, nennt es «Taybat», was so viel wie «leckeres Essen» bedeutet. Sein Geschäft in der Thaliastraße Nr. 66 ist erst wenige Monate alt, aber es surrt so regelmäßig wie ein vitaler Bienenstock. Und es macht Lust auf mehr: In wenigen Tagen will der Jungunternehmer in der Quellenstraße in Favoriten seinen zweiten Laden eröffnen.

Liebe geht durch den Magen, sagt man in Wien. Und man hat für diese Form der Liebe ein feines Sensorium entwickelt. «Ich freue mich sehr, dass wir viele Komplimente bekommen», strahlt der amtlich anerkannte Flüchtling, der noch vor drei Jahren kein Wort Deutsch verstand.

Einen Teil seiner Ware bezieht Hawat von Landsleuten, die nach Istanbul geflohen sind, dort eine Fabrik eröffnet haben und zur Freude vieler für elf Filialen am Bosporus und zwölf Exportländer syrische Süßigkeiten produzieren. Ein genialer, ein friedlicher Deal, denn bei «Mabruma» (zu Deutsch «der Kreis»), «Ichalbulbul» («das Vogelnest») und «Koluaskor» («Esse und danke!») schmelzen auch die Menschen in Ottakring nur so dahin.

«Nüsse und Schokolade beziehe ich direkt aus Syrien», erklärt der in Wien erfolgreiche Geschäftsmann, dessen Großzügigkeit sich auch von seinem Vornamen ableiten lässt. Und er erklärt es auch ein wenig stolz. «Damit schaffe ich für Menschen in Syrien zusätzliche Einkommen.»

Gerne spricht Hisham Hawat auch über Wirtschaft und Politik. Und wir sollten ihm zuhören, wenn er zum 100-Jahr-Jubiläum der Republik präzise den Wert der Demokratie beschreibt: «Österreich ist auch deshalb reich, weil sich die Menschen hier frei bewegen und ihre Meinung sagen können.» Um diese Freiheit zu erlangen, hat er viel risikiert: Nach der Flucht aus Syrien war er von seiner Frau mehr als ein Jahr lang getrennt. Ein Wiedersehen mit seinen Eltern, Geschwistern, Freund_innen, Kolleg_innen ist weiterhin unmöglich.

Der Geschäftsmann und somit Steuerzahler sieht aber nicht nur den Honig in seiner neuen Heimat fließen. Zur aktuellen Politik hält er fest: «Wer andere in ihren Rechten einschränken möchte, zerstört die Demokratie.»

Lieber erzählt er von jenen, die ihn in seiner beruflichen Entwicklung entscheidend gefördert haben, etwa Mitarbeiter_innen des Integrationsfonds im Rahmen eines speziellen Gründer_innenprogramms: «Dort haben mich erfahrene Geschäftsleute gecoacht, sie haben mir bei allen wichtigen Entscheidungen geholfen.» Geholfen hat ihm auch ein Praktikum, das an der Wirtschaftsuniversität für Menschen mit Fluchterfahrungen eingerichtet wurde.

Seine Frau Zouhria, wie er Betriebswirtin, studiert am Technikum Wien. Im Lehrgang «Smart Homes» lernt sie, wie sie für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, mit neuen digitalen Werkzeugen möglichst viele Barrieren aus dem Weg räumen kann. Ein Wissen, das einem in Wien ebenso wie in einem Kriegsgebiet zugute kommen kann.

Dies führt zu der Frage, wo sie später einmal leben werden. Der junge Akademiker weiß das beim besten Willen nicht. Er kann im Augenblick nur hoffen: dass in seiner Heimat die Vernunft doch noch obsiegt. In der Zwischenzeit darf er sich freuen, dass bereits jeder Zweite in seinem Zuckerlgeschäft ein Hiesiger ist. Und dass seine Familie in Syrien sehr stolz auf ihn ist.

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