«Leichter verständlich»vorstadt

Maria Hengstberger wollte früh in ihrem Leben Ärztin werden, um anderen Frauen zu helfen. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)

Aktion Sonnenschein: Wenn Maria Hengstberger mit ihrem einnehmenden Lächeln das Café Westend betritt, geht die Sonne über Wien im Westen auf. Und sie geht oft im Westen auf. Das Kaffeehaus beim Westbahnhof wird zur Begegnungszone, wann immer die pensionierte Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Wien Station macht.
«Vor dreißig Jahren», eröffnet Maria Hengstberger bei einer Tasse Tee, «habe ich die ‹Aktion Regen› ins Leben gerufen». Dabei kramt sie in einer Tragtasche, um dann die von ihr ersonnene Geburtenkontrollkette auf den Tisch zu legen.
Geburtenkontrolle, ein brisantes Thema unserer Zeit: Die Tochter einer Meidlinger Sekretärin und eines Euratsfelder Landwirts hat es früh zu ihrer persönlichen Lebensaufgabe erkoren. Im Jahr 1989, sie ordiniert damals als gut ausgebildete Ärztin in Meidling, wird sie vom Schauspieler Karl-Heinz Böhm gebeten, nach Äthiopien zu fliegen und ein Monat lang für sein Hilfsprojekt «Menschen für Menschen» zu dienen.
Sie habe dort sofort erkannt: «Wir müssen unser medizinisches Basiswissen über Familienplanung und sexuelle Gesundheit leichter verständlich an die Frauen weitergeben.»

Auf einen Blick.

Zigtausende ihrer Halsketten wurden seither an die Frau gebracht. «Jedes Glied der mehrfärbigen Kette», erläutert die Frau Doktor, «soll einen Tag im weiblichen Zyklus symbolisieren, soll somit der Trägerin auf einen Blick anzeigen, wann sie ein Kind bekommen könnte.»
Die Kette verteilen inzwischen 600 «rain worker», längst nicht nur in Afrika. Sie wurden von der Wienerin ausgebildet. Ehrenamtlich tätige Ärzt_innen beraten indes Frauen in ihrer Muttersprache, um ihnen das Schicksal und die Armut einer beinahe lebenslang Gebärenden zu ersparen.
Anders als die männlichen Führer der römisch-katholischen Kirche verweist Maria Hengstberger auf alle Optionen der modernen Empfängnisverhütung. Der Gott, an den sie glaubt, hat damit kein Problem. Er stand ihr, wie sie uns im Café Westend anvertraut, früh im Leben zur Seite: «Erschienen ist er mir in der Person eines Meidlinger Kaplans, der meine inneren Zweifel ernstnahm, und der in mir das Feuer entfachte, Gutes in dieser Welt zu bewirken.»
Es waren auch andere irdische Wesen, die ihr den Weg zur Entwicklungshilfe wiesen. Zum einen ihre Mutter: «Ich habe als Kind unendlich viel Liebe von ihr erfahren. Als mein Vater in den Krieg einrücken musste, durfte ich bei ihr im Bett schlafen.» Zum anderen ihr Mann Herbert: «Ich erinnere mich noch genau an unseren Spaziergang durch den Rathauspark. Wir haben beide noch studiert. Ich habe ihm eröffnet, dass ich mich nicht für eigene Kinder, sondern für andere Frauen einsetzen möchte. Er hat sofort zugestimmt. Heute sind wir noch immer glücklich verheiratet.»

Mehr als eine Mission.

Heuer feiert Maria Hengstberger nicht nur 30 Jahre «Aktion Regen», sondern auch 78 Jahre Maria Hengstberger. Aus gegebenem Anlass beginnt sie sich mit dem Gedanken anzufreunden, langsam loszulassen und ihren Verein in andere, in jüngere Hände zu übergeben. Kein leichter Akt, wenn man bedenkt, mit wie viel Leidenschaft sie noch immer bei der Sache ist und wie viele ihrer Ideen sie als unerledigt erachtet.
Zum Beispiel ein Gespräch mit dem Papst: «Ich glaube, dass er meine Mission sofort verstehen würde, und dass es mit seiner Hilfe gelingen könnte, die Welt tatsächlich zu retten.» Die größten Bedrohungen gehen für Maria Hengstberger nach wie vor von der Überbevölkerung aus, sowie vom fortschreitenden Klimawandel: «Beide Problemkreise bedingen einander.»
Tumore in ihrem Bauch haben die agile Frau im vergangenen Jahr deutlich gebremst, aber nicht in die Knie gezwungen. Gut, trinkt sie halt im Westend einen Kamillentee statt einer Melange. Ihrer Krankheit begegnet sie jedenfalls mit einem ausgeprägten Willen zum Leben: «Ich achte noch besser auf mich als vor der Diagnose. Daher fühle ich mich sogar fitter.»
Hilfseinsätze in Entwicklungsländern erledigen längst andere: junge Frauen und Männer, die «rain worker». Ihre Botschaft bei Kongressen, Ministerien und in Krankenhäusern verbreiten darüber hinaus zehn «seed worker».
Deren Engagement beobachtet Maria Hengstberger mit viel Freude und Genugtuung. Sie selbst hat seit der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 mehr vor der eigenen Haustür zu tun. Diese befindet sich seit ihrer Pensionierung in einer kleinen Ortschaft im Bezirk St. Pölten. Ihr neues Betätigungsfeld dort: «Mein Mann und ich haben neben unserem Haus ein Grundstück gepachtet, auf dem Bedürftige und Flüchtlinge ihren eigenen Gemüsegarten anlegen dürfen.» Jetzt möchte sie den Bürgermeister für ihre jüngste Idee gewinnen: «Unsere Gemeinde könnte bedürftige Menschen als Gemeindehelfer_innen engagieren. Von ihrer Arbeit würden alle profitieren.» Mehr Informationen über ihr Hilfsprojekt:

www.aktionregen.at

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