Lektion für die Politikvorstadt

739.124 Berliner_innen stimmten für den Vorschlag der Bürger_inneninitiative, und damit ist es Gesetz: Damit bleiben 350 Hektar, eine Fläche im Ausmaß von 490 Fußballfeldern, in bester Innenstadtlage unverbaut. Wow!

Zur Abstimmung standen zwei Vorschläge. Die Bürger_inneninitiative «100 % Tempelhofer Feld» forderte, dass der Senat das Gelände weder verkaufen noch bebauen dürfe. Der zweite Vorschlag kam von der Stadtregierung und sah den Bau von 4700 Wohnungen und einer neuen Landesbibliothek an den Rändern des Gebiets vor. 64, 3 Prozent derer, die am Volksentscheid teilnahmen, stimmten gegen den Regierungsvorschlag und für die uneingeschränkte öffentliche Nutzung des ehemaligen Flughafens.

Zwei Jahre nach der Stilllegung des Flughafens Berlin-Tempelhof 2008 wurde das Areal der Öffentlichkeit zur temporären Nutzung freigegeben. Die Start- und Landepisten werden seither mit Rädern und Skateboards befahren. Auf dem Grün dazwischen sind Gemeinschafts-Gärten entstanden, ein Skulpturenpark, eine Kinderstadt. Manche veranstalten hier Autor_innenlesungen und spontane Unplugged-Konzerte.

Die Abstimmung war sicherlich auch eine gegen den vor einigen Tagen zurückgetretenen Bürgermeister Wowereit und seine Politik. Die Menschen in der hochverschuldeten Stadt sind misstrauisch geworden gegenüber angekündigten Großprojekten, die möglicherweise ebenso aus dem Ruder laufen wie der neue Flughafen. Dessen Eröffnung war für 2011 geplant, sie wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Kosten haben sich von 2,5 auf über 8 Milliarden mehr als verdreifacht.

Viele Menschen wissen inzwischen, dass vom Bauboom und solchen «Aufwertungsprozessen» nur wenige profitieren. Dass nicht – wie versprochen – günstiger Wohnraum entsteht, sondern Verdrängungsprozesse ausgelöst werden. Statt immer neue Prestigeprojekte zu bauen, sollte sich die Politik lieber darauf besinnen, bestehende Substanz zu sanieren. Das ist aber wenig attraktiv für Politiker_innen, die so gern medienwirksam inszeniert Eröffnungsbänder durchschneiden.

Martina Handler