Let’s DanceArtistin

Tanz, Performance und Behinderung

Im zeitgenössischen Tanz ist die Abwendung vom virtuosen Spektakel zu Gunsten einer intellektuellen Verarbeitung gesellschaftlicher Verhältnisse quasi Standard. Wie reihen sich Projekte ein, die unter «mixed ability» laufen? Mit den Performer_innen Michael Turinsky, Vera Rosner-Nógel und Katharina Zabransky hat Ruth Weismann gesprochen, Carolina Frank hat fotografiert.

Wer darf eigentlich tanzen? Nun, alle, würden wir sagen, hier in Österreich, wo jede Berufsgruppe ihren eigenen Ball gibt. Wirklich alle? Und vor allem wo und unter welchen Bedingungen? «Ich finde es nicht ok, dass gesagt wird, du darfst und du darfst nicht», sagt Vera Rosner-Nógel und bezieht sich damit auf Tanzausbildungen und die «großen» Bühnen. Sie und ihre Kollegin Katharina Zabransky sind Tänzerinnen, Choreografinnen und Workshop-Leiterinnen bei DanceAbility Wien. DanceAbility ist ein inklusives Community-Tanz-Konzept, das von Alito Alessi und Karen Nelson 1987 in den USA entwickelt wurde. Die Methode wird als erweiterte Kontaktimprovisation beschrieben, die nach dem Motto «Wer atmen kann, kann tanzen» arbeitet. Ziel sind gemeinsame Bewegungen von Menschen mit und ohne Behinderung, jung und alt, dünn und dick und egal, in welcher Verfassung. In Wien gibt die Gruppe regelmäßig Performances, gerne auf Plätzen und in Parks. Nicht nur, um die Verhältnisse von Minderheit und Mehrheit umzukehren, wie etwa beim jüngsten Projekt «Reduzierte Vielfalt» mit sieben Rollstuhlfahrer_innen und einem Fußgänger. Es geht auch darum, der zunehmenden Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes etwas entgegenzusetzen und gemeinsame Erlebnisse zu kreieren. Kunst für alle, Tanz für alle – der Raum als inklusives Projekt.

Apropos Inklusion


Inklusiver Tanz ist, wie auch Mixed Ability, eine Art Label, das verwendet wird, wenn die immer noch präsente «Norm» der Bühnentanzkörper nicht durchgehend gegeben ist. Michael Turinskys Stücke sind allerdings nicht immer so gelabelt. Der Philosoph, Tänzer und Choreograf hat sich in der zeitgenössischen Tanzszene einen Namen gemacht, er performt alleine oder mit Kompagnien, in und mit seinem Rollstuhl oder auch ohne, und hat schon ein breites Spektrum an Themen bearbeitet, mit zwei Fokuspunkten: «Es geht oft um Lust, lange habe ich immer die eigene Lust herauschoreografiert. Das andere ist die Frage der politisch-ästhetischen Widerständigkeit.» Mit seinen Stücken wie etwa «heteronomous male» und das relativ neue «Ravemachine», das er zusammen mit Doris Uhlich entwickelte und das in einer anderen Bearbeitung auch am heurigen ImPulsTanz-Festival zu sehen ist, wo er außerdem einen Workshop gibt, ist er in internationalen Theaterhäusern unterwegs. Die politischen Widerständigkeit sieht er unter anderem als Frage an die Möglichkeiten der Kunst und die Bedingungen ihrer Produktion. «Sie kann sich etablierten Produktionsregimen widersetzen», sagt Turinsky.

Eine große Rolle spielt dabei die Zeit. «Normalerweise muss ein etablierter Choreograf ein Stück nach dem anderen rausschießen, um nicht unterzugehen, Stücke werden in zwei, drei Monaten produziert. Da eine andere Zeitlichkeit zu beanspruchen, halte ich für ein politisches Statement.» Es geht dabei um Menschen, die eben nicht so schnell sein können, sei es aufgrund von körperlichen Behinderungen oder anderer Faktoren. Im Kapitalismus ist Zeit ja immer ein Faktor, der Geld bedeutet – und über Chancen am Arbeitsmarkt entscheidet. Turinskys Stücke handeln also immer auch von universellen zeitgenössischen Themen, egal ob die performenden Körper oder der konkrete Inhalt nun mit oder ohne «Behinderung» auf die Bühne kommen.

Von schwierigen Produktionsbedingungen erzählt auch Katharina Zabransky. «Einen Raum zu finden, wo sieben rollstuhlfahrende Tänzer_innen proben können, ist nicht leicht», erzählt sie. Es bedarf Zugangsmöglichkeiten, sanitärer Ausstattung und einer gewissen Größe.

Lables


Zur Widerständigkeit gehört für Turinsky auch die Frage, wer die Autor_innenschaft beansprucht. Denn behinderte Körper gebe es ja öfters auf Bühnen, aber wessen Name dann groß im Programm stehe, ist eine andere Sache, sagt er. Es geht also darum, nicht einfach nur zu performen, um irgendjemandes Stück aufzupeppen, sondern um die Anerkennung der kreativen Autor_innenschaft, die eine gleichwertige Produktion bedingt.

Begriffe wie inklusiv oder mixed ability sieht Turinsky zweischneidig: «Einerseits ist das gut, wenn etwas nicht extra benannt wird. Andererseits kann es auch entpolitisierend sein», findet er. Denn so zu tun, als wäre nichts einen politischen Kampf mehr wert, liefe ja genau in die andere Richtung. Normalisierung kann auch ungewollte Norm-isierung bedeuten, die im Endeffekt nur verschleiert – statt sichtbar zu machen. Konkrete Begriffe können auch wichtig sein, um bei Förderstellen anzusuchen, die für bestimmte Gruppen, Genres oder Minderheiten Geld zur Verfügung stellen. Eine direkte Förderschiene für mixed ability oder inklusiven Tanz gibt es in Österreich allerdings nicht. Turinsky fände es durchaus sinnvoll, wenn es eine solche gäbe. Denn für viele ist das Kulturschaffen zwischen Lohnarbeit, Stipendium und Mindestsicherung ohnehin nicht stressfrei.

Auch Katharina Zabransky und Vera Rosner-Nógel sähen darin Möglichkeiten zur Finanzierung. Ihre Vision ist es jedoch sehr wohl, dass es Bezeichnungen wie inklusiv irgendwann gar nicht mehr gibt. «Der Traum wäre, dass alle einfach nur tanzen. Ohne zu benennen, wer dabei ist» sagt Zabransky. Den Eindruck, dass Mixed-ability-Tanz in Österreich als wenig ernst zu nehmende Nische abgetan wird, haben sie dennoch nicht. Obwohl die Sichtbarkeit immer noch nicht genug gegeben ist und in anderen Ländern es mehr berühmte Profis in dem Bereich gibt. Es wäre zu einem großen Teil auch den Mixed-ability-Performances und Workshops bei ImPulsTanz zu verdanken, dass in den letzten 15 Jahren sich da viel getan habe, meint Rosner-Nógel. Wenn sie an einem anderen Workshop bei ImPulsTanz teilnehmen möchte, merke sie schon, dass einige Leiter_innen nicht wüssten, wie sie damit umgehen sollten. Aber sie erkläre dann einfach, dass man sich nicht extra um sie kümmern müsse, sie wisse ja, was sie tun könne.

Was also doch noch mehr gebraucht wird, ist zusammenkommen und Berührungsängste abbauen. Denn beim Tanzen kommen d’Leit zam. Ob auf der Bühne, auf der Straße oder beim nächsten schicken Ball.

Info:

Mit dem Augustin gratis zu ImPulsTanz

Mit einer aktuellen Ausgabe des Augustin können Besucher_innen die Vorstellung von Simon Mayers Stück «Sons of Sissy» am 24. Juli um 21 Uhr im Volkstheater gratis besuchen.

Und so geht’s: Einfach den aktuellen Augustin am Tag der Vorstellung an der ImPulsTanz-Tageskasse im Volkstheater zwischen 17 und 19 Uhr gegen ein Ticket tauschen. Begrenztes Kontingent – solange der Vorrat reicht.

Simon Mayer: Sons of Sissy

Umgeben von Volksmusik wuchs Simon Mayer an einem österreichischen Bäur_innenhof auf – was den 1984 geborenen, ausgebildeten Balletttänzer, Choregograf und Musiker auch in seiner experimentellen Bühnenarbeit inspiriert. Die Frage, was kulturübergreifende Elemente von Musik und Tanz sind, schwebt oft als roter Faden im Raum, etwa bei «Sons of Sissy», einer queer-ironischen, lustvollen Dekonstruktion von Volkstanz. Das Stück feierte letztes Jahr Erfolge bei ImPulsTanz und richtet sich heuer auch speziell an ein blindes und sehbehindertes Publikum. Das Angebot umfasst eine einführende Touch-Tour und eine Audiodeskription in deutscher Sprache. Um Anmeldung für das Angebot wird gebeten.

Tel.: (01) 523 55 58-19

Mail: info@impulstanz.com

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ImPulsTanz Tipps:

Michael Turinsky und Doris Uhlich: «Seismic Night»

19. Juli, 19 Uhr und 21. Juli, 21:30 Uhr

Odeon, 2., Taborstraße 10

Ich bin O.K. Dance Company: «Getrennt-Vereint»

27. Juli, 19:30 Uhr

Akademietheater, 3., Lisztstraße 1

Vera Tussnig: «The Palm of Your Hand #2»

30. Juli, 17 und 21 Uhr

Leopold Museum, 7., Museumsplatz 1, MQ

www.impulstanz.com

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