Lexikon der Sabotage, Teil 2tun & lassen

Auch der Chef ein Schwindler

Treten Sie ein in die verborgenen Regionen des Arbeitsalltags! Wagen Sie einen Schritt in die nebeligen Gegenden der kleinen Gaunereien, des notwendigen Aufbesserns, des ungenierten Mitschneidens, des raffinierten Fälschens, der unwiderstehlichen Gelegenheit, der nicht erlaubten Eigeninitiative, des gierigen Mitnaschens, des unauffälligen Abzweigens, des kindischen Unfugs, der sozialen Rebellion, des sanften Verweigerns, des cleveren Austricksens und des kreativen Schabernacks. Bernhard Halmer und Peter A. Krobath haben mit SaboteurInnen verschiedenster Provenienz gesprochen und ihre Geschichten aufgezeichnet. 90 Geschichten über Betrug, Verweigerung, Racheakte und Schabernack am Arbeitsplatz von den Tätern und Täterinnen selbst erzählt sind in dem soeben im Sonderzahl Verlag erschienenen Buch Lexikon der Sabotage versammelt. Ein paar davon drucken wir hier ab. Und dann geht es weiter: mit brandneuen Sittengeschichten aus den Graubereichen unserer Arbeitswelt.Ich arbeitete bei einem Großheurigen in N. Der Besitzer machte damit Werbung, dass er nur ausgesuchte Eigenbauweine aus den benachbarten Rieden ausschenkt. Das war natürlich ein Schwindel. So viel Wein, wie seine Heurigen benötigten, wurde in ganz N. nicht angebaut. Die Heurigen in N. lebten von den tausenden Touristen, die Tag für Tag in unzähligen Bussen herangekarrt wurden. Der Heurigenbesuch war im Tagesprogramm inkludiert, all inclusive, alle bekamen den gleichen Jausenteller und ihr Glas Wein, und ich bekam kaum Trinkgeld.

Der Wein, der dort ausgeschenkt wurde, stammte aus Bulgarien. Der kostete dem Besitzer nur 18 Cent pro Liter! Man erfuhr solche firmeninternen Details immer vom Sohn des Besitzers, der damit prahlte. Das Unverständliche daran war, dass er auch vor den ausländischen Bediensteten damit prahlte. Es arbeiteten fast ausschließlich Ausländer dort, vor allem aus den Ostländern, also auch aus Bulgarien. Aber es schien den Bulgaren nicht viel auszumachen, dass hier ihr heimischer Wein als österreichischer angepriesen und um ein Vielfaches verkauft wurde. Sie gehorchten nämlich aufs Wort, waren bienenfleißig und dabei immer gut aufgelegt, immer freundlich. Auch den Besitzer und seinen Sohn lächelten sie ständig an. Anfangs glaubte ich schon, ich sei bei einer Art Sekte gelandet.

Ich brauchte einige Zeit, um draufzukommen, warum die Mitarbeiter hier so fröhlich waren. Sie arbeiteten nämlich perfekt zusammen. Diese Verschwörung ging so weit, dass eine neue Bedienstete, die da nicht mitspielen wollte, so lange gemobbt und denunziert wurde, bis sie das Handtuch warf. Man verpetzte sie wegen Langsamkeit, weil sie angeblich zu den Gästen frech war oder sich die Hände nach dem Klo nicht wusch, egal, die Kolleginnen hatten da tausend Varianten. Im Allgemeinen dauerte das dann nicht länger als zwei, drei Tage, und sie waren ihre neue Kollegin los.

Warum das Personal auch bei den gemeinsten und abfälligsten Witzen des Junior-Chefs und seines Vaters herzhaft lachen konnten, lag schlicht und einfach daran, dass sie sich in diesem Betrieb wirklich nach Herzenslust bedienten. Jeden Abend marschierten da kiloweise Salamistangen, Schinkenbeine, Bratwürste, Käselaibe, Wein, Schnaps und alle möglichen Grundnahrungsmittel hinten aus dem riesigen Lager hinaus auf die Straße und dort sofort in den Kofferraum eines bereit stehenden Fahrzeugs. Bestes Teamwork!

Ich konnte das am Anfang nicht glauben, aber diese Heurigen waren eigentlich alle recht schlecht durchorganisiert. In diesem Fall war es so, dass die Sachen von den Stammbediensteten absichtlich durcheinander gebracht wurden. Ein perfekt organisiertes Chaos. Natürlich fiel dem Chef manchmal auf, dass Ware fehlte, aber die Lager waren so riesig, da brauchte man nur einen Posten mit einem anderen austauschen, schon hattest du die totale Konfusion.

Das heißt, wenn der Chef zehn Stangen Salami vermisste, rückte man eine hintere Reihe vom anderen Regal nach und behauptete, dass sie nun hier gefunden wurden und nur verreiht waren. Das wurde ganz gezielt so betrieben. Jemand vom Personal zum Beispiel beschwerte sich, dass kein Speck mehr da ist, der Chef kam und sagte: Ich habe ja gerade 100 Seiten Speck gekauft, der kann nicht weg sein. Und tatsächlich, nach langem Suchen tauchte er auch auf, vollzählig natürlich, er war nur verreiht. Solche Spielchen wurden ständig gemacht, bis der Chef aufgab, zu mutmaßen, dass wirklich etwas fehlte, da es scheinbar früher oder später doch immer wieder auftauchte.

Nach einiger Zeit kontrollierte er sein Lager nicht mehr, er schimpfte nur hie und da über die schlechte Lagerhaltung. Er hatte keine Ahnung, wie viel von seinen Sachen da Tag für Tag die falsche Abzweigung nahm und durch die Hintertüre verschwand. Ich glaube nicht, dass es an seinem Reichtum viel änderte. Und das Personal war ja so nett und letztendlich alles wunderbar. Dabei waren es riesige Mengen, die da täglich aus dem Lager verschwanden. Etliche Familien wurden damit ernährt. Das ganze Fleisch, das laut Speisekarte aus Österreich stammen sollte, wurde auch billigst aus den Ostländern importiert, und so kamen die Angestellten auf seltsamen Umwegen wieder zu den Nahrungsmitteln aus ihrer Heimat.

Selbstverständlich profitierte auch ich von den Vorgängen im Lager. Als Österreicherin hatte ich eine gewisse Sonderstellung. Ich war für eine ganz bestimmte Art der Kontrolle zuständig. Während die Ware in die Autos geladen wurde, war es wichtig, dass sich beide Chefs und seine Frau oben im Lokal aufhielten. Wenn einer von den Dreien sich anschickte, den Weg Richtung Lager einzuschlagen oder auf die Straße zu gehen, drückte ich sofort aufs Handy. Dort war die Nummer des im Lager befindlichen Kollegen bereits vorgelistet und die ganze Aktion wurde abgeblasen. Es gab viele Sicherheitssysteme, es wurden auch die Straßen und der Parkplatz kontrolliert. Und die Autos wurden immer wieder gewechselt, richtig professionell. Auch das Plündern hatte System: Man konnte richtige Bestelllisten aufgeben, auch für Nudeln, Reis, Mehl, Eier, Salz, Zucker, und so weiter. Als ich dort arbeitete, war ich jedenfalls nur noch selten im Supermarkt.

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