"Haben wir da nicht zu viel kassiert?"
Das umstrittene Buch Lexikon der Sabotage erschien im Sonderzahl Verlag. Der Augustin beendet hier seine Kapitelauswahl. Das Lexikon der Sabotage wird aber im Augustin fortgesetzt mit brandneuen Arbeitsweltberichten.
Eintrittpreise. Ein Reiseleiter berichtet
Was bei dem Job als Reiseleiter alles möglich ist, bekam ich erst nach und nach mit. Da war ich zum Beispiel mit einem Kollegen zusammen in Spanien, und am Anfang der Reise gab er mir eine Liste: Das sind die Eintritte, die zu kassieren sind. Und am Ende der Reise dachte ich: Komisch, warum bleibt mir so viel Geld in der Tasche? Da sind rund 250 Euro übrig geblieben.
Also prüfte ich nach, was die Eintritte gekostet und was wir von der Reisegruppe verlangt hatten. Ich kam auf einen Unterschied von rund 30 Prozent.
Ich fragte den Kollegen: Du, haben wir da nicht zu viel kassiert? Und er: Ist es dir zu viel? Ich: Ist das okay so? Er: Sicher, das Mindeste!
Bei dieser Firma war das damals auch so, dass die Leute ständig in irgendwelche Geschäfte geschleift wurden. Wir machten bei jedem blöden Souvenirstand einen Stopp. Das musste ich auch erst lernen. Auf meiner ersten Italien-Tour sagte der Chauffeur plötzlich Bleiben wir stehen, da hatten wir gerade eine dreiviertel Stunde vorher Pause gemacht. Ich fragte Wozu? und er meinte Na, da machen wir ein Geschäftl, und schon winkte uns dort einer in einen Extra-Parkplatz. Also kauften die Leute ein und machten zwanzig Minuten Kaffeepause, weil die Aussicht ist ja so super dort, und wir kassierten 20 Prozent von den Umsätzen.So etwas wird natürlich diskret überreicht: Sie geben dir ein Kuvert oder sie geben dir ein Prospekt mit und in dem Prospekt ist dann das Kuvert. Andere sind knausriger, bei der Portweinverkostung zum Beispiel, da bekommst halt ein, zwei Flaschen Portwein mit. Oder in manchen Restaurants im Osten geben sie dir dann eine Stange Wurst als Geschenk, völlig sinnloses Zeug.
Bei den Eintrittspreisen, die du von den Leuten extra kassierst, rundest du immer etwas auf. Nur dieses Etwas ist halt eine Definitionsfrage. Ein Kollege von mir schlägt da alle Rekorde. Der verlangte einmal bei einer einwöchigen Toskanafahrt an Eintritten und Führungen pro Nase 94 Euro, wobei das in Wirklichkeit rund 40, 45 Euro ausmachte. Das war natürlich über jedem Limit, da gab es Beschwerden, das Reisebüro musste jedem Kunden 50 Euro retournieren und sich für den Verrechnungsfehler entschuldigen.
Ich schlug meistens so zehn bis fünfzehn Prozent drauf. Das war an manchen Orten die Gruppenermäßigung. Die Leute zahlten so gesehen den Einzelpreis und ich kassierte den Gruppenvorteil, was eigentlich gerecht war, weil ich war ja auch der, der am meisten unter der Gruppe zu leiden hatte.
Hybridmais. Eine Biologiestudentin berichtet
Ich hatte einmal einen Sommerjob, da musste ich auf einer Plantage Maispflanzen befruchten. An jeder Maispflanze gibt es getrennte weibliche und männliche Blüten. Die männlichen Blüten, wo die Staubteile entstehen, die Pollen, waren von einem Papiersackerl umgeben. Seitlich am Stängel, wo der Maiskolben wächst, befindet sich der weibliche Teil. Da taten wir die männlichen Staubteile einer anderen Maisart hinauf. Diese Art Geschlechtsverkehr musste immer mit den gleichen Pflanzen passieren. Wenn diese Kreuzung einige Generationen lang gemacht wird, führt das zu mehr Vitalität und Leistungsfähigkeit. Du erhältst einen Hybridmais, der sehr große Früchte trägt. Für ein Saatgutunternehmen ist das interessant, weil die Hybride selbst nicht mehr als Saatgut verwendet werden können und die Bauern sich dann immer wieder neues Saatgut kaufen müssen.
Ich hatte mich damals auch politisch mit diesem Thema auseinander gesetzt. Da gab es solche Konzerne wie N., die dieses Zeug in Dritte-Welt-Ländern verbreiteten. Dieser Hybridmais machte den Boden kaputt und die Leute völlig abhängig von diversen chemischen Zusatzstoffen, ohne die solche Pflanzen nicht überleben. Da ich über solche Machenschaften informiert war, erkundigte ich mich vor Arbeitsbeginn, für wen ich da eigentlich arbeite. Die offensichtlichen Besitzer von diesem kleinen Saatbetrieb waren eine seriös erscheinende englische Adelsfamilie. Ich kreuzte also einen Sommer lang Maispflanzen, der Job schien mir in Ordnung, es war ein Zubrot zum Studium, und ich konnte die ganze Zeit draußen im Freien arbeiten.
Ich machte das also brav, ging von Pflanze zu Pflanze und bestäubte sie. Wie eine Riesenbiene. Eines Tages sprach ich mit meinem Vorgesetzten und meinte: Ich bin ja froh, dass das so ein kleiner Familienbetrieb ist und nicht so eine Monopolfirma. Da fragte er, was ich damit meine. Da sagte ich: Zum Beispiel N. Auf einmal richtete er sich kerzengerade vor mir auf und sagte: Sie stehen auf einem Feld von N. International!N. hatte die Firma von dem Familienunternehmen aufgekauft und den Namen behalten. Ich fühlte mich wirklich geneppt. Von da an kreuzte ich die Pflanzen einfach untereinander, ließ sie quasi fremdgehen. Die Maispflanzen hatten nun also querbeet miteinander Sex. Die Hybride zerstörte ich. Das war mein kleiner Sabotageakt gegen N., ich weiß nicht, inwieweit er fruchtbringend war.