«Liebenswerter Schnorrer»vorstadt

Lokalmatador

Hans Dokulil arbeitet – aus freien Stücken – für die Wiener Tafel auf dem Großgrünmarkt. Text: Uwe Mauch, Foto: Mario Lang

«Hosd wos für mi?» Es ist knapp nach 7 Uhr auf dem Großgrünmarkt in Inzersdorf. Hans Dokulil kennt die Gesetze des Marktes. Er hat 45 Jahre lang als Laborleiter für einen Pharmakonzern und dann als Verkaufsmanager für einen Wiener Medizinprodukthersteller gearbeitet. Er weiß daher, wie und wo er sein Gegenüber abholen muss. Redet jeden Menschen in seiner ihm eigenen Sprache an.
Der Fredl, Großhändler aus Großwiesendorf im Weinviertel, hat gute Gründe, warum er dem ehrenamtlichen Mitarbeiter der Wiener Tafel heute zum Salat noch eine Steige mit knackigen Äpfeln draufpackt. Natürlich, weil es für eine gute Sache ist (die Wiener Tafel versorgt täglich die Armen von Wien), aber auch: «Weil der Hans ein liebenswerter Schnorrer ist.»
Andere Obst-und-Gemüse-Händler_innen spricht Hans Dokulil mit «Salam» an. Womit bewiesen wäre, dass Nächstenliebe und Mildtätigkeit weit über das katholisch geprägte Weinviertel hinausreichen.

Ausgewählt höflich.

Seit 18 Monaten arbeitet der agile Pensionist für die Wiener Tafel, die 2019 ihr zwanzigjähriges Jubiläum feiert. Zwei Mal pro Woche, dienstags und mittwochs, steht er sehr früh im Norden der Großstadt auf, um hier ganz im Süden Obst, Gemüse und Gewürze vor dem Wegwerfen zu bewahren.
Auch Katharina, die ihre Großhandelsfirma «Hello Kathy» nennt, hat für den Ehrenamtsmann immer ein offenes Ohr. Sie bedient mit ihrem ausgewählt schönen Obst und Gemüse die Spitzengastronomie. Weil deren Gäste bekanntlich auch mit den Augen essen, kann sie mit reinem Gewissen jene Naturprodukte abtreten, die noch immer g’schmackig sind, aber vielleicht nicht mehr ganz fleckenlos.
Hans Dokulil, Jahrgang 1955, nimmt ihre feldfrischen Gaben – wie es seine Art ist – ausgewählt höflich entgegen. Sodann schwingt er sich auf sein Elektro-Lastenrad, das ebenso für die Hilfsorganisation gespendet wurde, und tritt damit im hohen Tempo zum nächsten potenziell Gebenden. Dass er in seiner aktiven Zeit Niederlassungen eines mittelständischen Wiener Export-Unternehmens in fast allen Ländern zwischen den Karpaten und der Adria gegründet und danach intensiv betreut hat, erleichtert seine heutige Aufgabe.
Die jungen Männer aus Serbien begrüßen ihn jedes Mal mit lautem Hallo, wenn er sich ihnen mit breitem Grinsen nähert. Ein «Leider nicht» gibt es für sie nicht. Irgendein Kistl wandert immer auf das Lastenrad vom Hans. Nur ein paar Meter weiter kündigt die Mitarbeiterin einer Floridsdorfer Markt-Familiendynastie für den nächsten Tag Grünzeug plus Gewand an.

Feine Fügungen.

Im «TafelHaus» in der Mitte des Marktgeländes freut man sich jedes Mal, wenn der Lastenradfahrer voll beladen um die Ecke biegt. Er bringt frische Ware zum Weiterverarbeiten. Eine motivierte Truppe aus Student_innen, Klienten_innen von «Jugend am Werk», Zivildienern und einem Freigänger aus der Strafanstalt Simmering putzt Obst und Gemüse, schlichtet kistlweise um und räumt alles in den bereitstehenden Transport-Lkw.
Hans Dokulil hat gute Gründe, warum er sich in seiner Pension zwei Vormittage pro Woche als Sozialspediteur engagiert. Er ist als Kind einer Brigittenauer Arbeiterfamilie aufgewachsen: «Mein Vater war ein Gerüster, meine Mutter Putzfrau. Wir haben zu viert in einer Zimmer-Küche-Wohnung in der Treustraße gewohnt.» Er musste nicht Armut leiden, hat aber nicht vergessen, wie es sich in bescheidenen Verhältnissen lebt: «Zum Essen haben wir genug gehabt, aber ein Urlaub in Italien war nicht drin.»
Darüber hinaus führt er seine schöne berufliche Karriere nicht alleine auf seinen Fleiß zurück, sondern auch auf feine Fügungen: «Ich hatte das Privileg, in zwei Unternehmen zu arbeiten, die mir viel abverlangt haben, die aber immer fair zu mir als ihr Angestellter waren.»
Ein gutes Los hat Hans Dokulil auch mit seiner Familie gezogen: Die Mutter des 64-Jährigen lebt noch, seine Großmutter ebenso. Er selbst ist zweifacher Vater, Großvater und mittlerweile auch Urgroßvater.
Deshalb kann der Ehrenamtliche, bevor er am Ende seiner morgendlichen Tour noch die Donuts von einer nahe gelegenen Großbäckerei abholt, sagen: «Ich möchte von dem Glück, das ich gehabt habe, etwas an jene zurückgeben, die es im Leben nicht so gut erwischt haben wie ich.»
Auch an diesem Morgen hat Hans Dokulil mehr als eine Tonne Lebensmittel für die Wiener Tafel eingebracht. Ein bisserl müde und doch entspannt begibt er sich nun auf den Heimweg – zu seinem mit viel Liebe eingerichteten Haus in Strebersdorf. Dort bilanziert er positiv: «Es ist schon ein gutes Gefühl, wenn du anderen Menschen mit deiner Arbeit helfen kannst.»

PS: Wer aktiv dazu beitragen möchte, dass die Mittellosen in Wien zu essen bekommen und gleichzeitig die Müllberge nicht weiter wachsen, kann sich bei der Ehrenamtlichenkoordinatorin der Wiener Tafel melden: (01) 236 56 87-005 oder theresa.seitz@wienertafel.at