Lieber Herr Chefredakteur Richard Schmitt!Allgemein

Betriff:: Kommentar in der Gratiszeitung "HEUTE" vom 2. Jänner 2009

Selbst wenn Ihnen die Schlagzeile Wien muss Athen werden“ oder ein feuilletonistischer Beitrag des Einbrecherkönigs E. W. St. in der Weihnachts- und Neujahrsausgabe des Augustin aufgefallen ist, wollen wir Ihnen nicht abnehmen, dass Sie ein eifriger Leser unseres Blattes waren. Ihr Urteil, die sympathische Zeit des Augustin sei vorbei, die Straßenzeitung habe sich nun ein bisserl viel geändert, und zwar in Richtung Steinzeitkommunismus, Gotteslästerung und Pushen von Kriminellen (diese drei Tendenzen werfen Sie in Ihrer Kolumne vom 2. Jänner 2009 dem Augustin vor), outet Sie geradezu als Augustin-Muffel. Wenn Sie das nicht wären, könnten sie den langen Atem der Unbotmäßigkeit wahrnehmen, die die Blattlinie prägt, beziehungsweise die Kontinuität unserer radikalen Gesellschaftskritik, dessen materielle Basis die absolute Unabhängigkeit von Bund, Stadt, Parteien und Kirchen ist; bekanntlich hat der Augustin noch nie einen Cent Subvention kassiert.Freudig dürfen wir Ihnen mitteilen, dass gerade jene Ausgabe, die für Sie so deutlich das Abweichen von einem seriösen Sozial-Journalismus signalisiert, in Rekordhöhe verkauft wurde. Die Nummer war sechs Tage vor dem Erscheinen der nächsten ausverkauft, was in unserem Vertrieb in diesen Tagen zu einer Notaktion führte, die Sie einigermaßen legitim mit Steinzeit(kommunismus) assoziieren könnten: Man konnte unsere SozialarbeiterInnen beim Zeitungsbügeln ertappen; die derart geglätteten Exemplare wurden denn auch von den ausgefuchstesten VerkäuferInnen unter dem Ausruf Frisch gebügelt! auf den Markt geworfen. Dazu muss man erklären, dass diesmal auch der Abfall zum Verkehr gebracht wurde, der zu einem bestimmten Prozentsatz unvermeidlich ist, nämlich die durch Bündelung und Transport zerknittertern und dadurch entwerteten Zeitungen. Außer diesem Bügeleiseneinsatz fällt uns nichts ein, was Ihr Etikett Steinzeitkommunismus verdient.

Wenn wir Sie richtig verstehen, deuten Sie vor allem unsere Sympathie für die soziale Revolte, die Griechenland im Dezember 2008 erfasst hat, als steinzeitkommunistischen Rückfall. Kann es sein, dass wir Sie aus der Falle Ihrer Branche holen müssen? Die Mainstream-Medien haben diese hoffnungsvollen Tage der Unruhe fast ausschließlich mit Bildern brutaler Konfrontationen zwischen Polizisten und Vermummten illustriert und einen alle Generationen und viele soziale Schichten erfassenden Protest als Krawallmacherei denunziert. Unsere Schlagzeile Wien muss Athen werden schrie nicht die Krawalle und die fliegenden Steine und die Brände herbei, sondern den Mut, den Willen und das Know How, gegen die Verursacher der kommenden Weltwirtschaftskrise zu handeln. Zuvor: Überall, wo wir hinschauten, ruhig gestelltes Denken, selbst dann noch, als viele Ihrer journalistischen Kollegen schon das Wort von der Kriminalität des Wirtschaftssystems in den Mund nahmen. Und in Griechenland funktionierte diese Ruhigstellung plötzlich nicht mehr. Sowas gefiel uns. Übrigens wetterten gerade die griechischen Steinzeitkommunisten gegen die Exzesse auf den Straßen Athens und anderer Städte. Nach einer am 14. Dezember 2008 veröffentlichten Umfrage der Zeitung Kathimerini aber sehen 60 Prozent der Griechen in den Unruhen, mit denen das alte Jahr so spektakulär zu Ende ging, nicht nur die Reaktion auf den Tod des Jugendlichen Alexis Grigoropoulos, sondern einen sozialen Aufstand – und nicht einen als Exzess einer kleinen Gruppe gewaltbereiter Krawallmacher. 76 Prozent kritisierten zudem das Verhalten der Polizei. Die war ja die eigentliche Krawallmacherin was aber völlig gegen die Sprachregelung der internationalen Mainstream-Medien verstößt, nach der Krawall immer nur das ist, was die bestehenden Herrschaftsverhältnisse in Frage stellt. Auch den Ex-Burgtheaterchef Peymann hat man als Krawallmacher bezeichnet und der hat darauf ihn zitierend setzen wir uns dem Risiko aus, von Ihnen als Freunde des Steinzeitkommunisten Peymann entlarvt zu werden gebührend geantwortet: So, ich mache also Krawall? Unsinn! Wer die Demokratie nicht benützt, schafft sie ab!

Früher, als Sie den Augustin angeblich noch gerne lasen, sei das Blatt voll gewesen mit Berichten über berührende Einzelschicksale von Mitmenschen, die im Hürdenlauf unserer Hochleistungsgesellschaft gestrauchelt sind. Viele ehemalige Häftlinge waren darunter und sind darunter, weil wir nicht stoppen, konkrete Menschen zu porträtieren. Sie wissen vielleicht, dass vergangene Haftstrafen zu jenen Stigmatisierungen gehören, die in der Regel zum Ausschluss der Betroffenen aus der Mitte der Gesellschaft führen. Einer von den so Porträtierten ist Ex-Einbrecherkönig E. W. St. Wie allen an den Rand Geratenen haben wir auch ihm Platz zur

Verfügung gestellt, um seine Sicht der Dinge unzensuriert darstellen zu können. Das ist Teil einer Resozialisierungsarbeit, wie wir sie verstehen. Und wie nennen Sie das? Der Augustin pushe Kriminelle, indem er dem verurteilten Einbrecher formulieren lasse, dass die Bezahlung von Parlamentariern Diebstahl sei. Aber der verurteilte Einbrecher hat nur ein paar Fragen gestellt, die sich eigentlich jeder Zeitgenosse stellen sollte, die Sie aber Ihren LeserInnen vorenthielten. Zum Beispiel diese: Kommt es nicht einem Diebstahl gleich, wenn sich in einem gemeinsamen Beschluss sämtlicher österreichischer Parlamentsfraktionen diese 15 Prozent mehr Fraktionsförderung aufdrängen, und das zu einem Zeitpunkt der allgemeinen Erwartung einer Weltwirtschaftskrise, die Massenarbeitslosigkeit, Lebensstandardabbau und allgemeine Unsicherheit bringen wird? Würden Sie so einen Gedanken, ausgesprochen von einem mit Vorstrafen Versehenen, in Ihrer Zeitung nicht zulassen? Weil Sie dann die Kriminalität förderten, wie das Ihrer Meinung nach der Augustin tut? Verzeihen Sie die Anfrage, Gratisblätter zählen nicht zu unseren Lektüren.

Freut euch auch in diesem neuen Jahr mit uns darüber, dass wir in so friedlichen Städten wie Wien, St. Pölten, Linz oder Wels leben, appellieren Sie zum Schluss an die Adresse des Augustin. Inzwischen sensibel geworden, hören wir da ein Wien, St. Pölten, Linz oder Wels darf nicht Athen werden heraus. Warum fällt uns bloß das Bild vom ruhig gestellten Denken überall, wo man hinschaut, ein, wenn Sie von Friedlichkeit reden ….

Robert Sommer

für die Redaktion Augustin

Sehr geehrter Herr Sommer,

danke für Ihre Reaktion. Nur ganz knapp: Erstens nehme ich doch an, dass sich jede Augustin-Nummer vor Weihnachten besonders gut verkauft, oder? Und inhaltlich werden wir uns vermutlich ohnehin nie treffen. Was ich nur mit der Kolumne aussagen wollte: Jede Radikalisierung der Gesellschaft ist äußerst gefährlich. Vor allem und ganz speziell für die Ärmsten in unserem Land (siehe Zeitgeschichte). Wenn wir, also HEUTE, bei Sozialprojekten helfen können, lassen Sie es mich wissen wir helfen gerne.

Weiter viel Erfolg und liebe Grüße,

Richard Schmitt

Chefredakteur Tageszeitung HEUTE