Liegen und liegen lassentun & lassen

Susi Gollner, Augustinverkäuferin, teste eine Liege auf der Nevillebrücke im 5. (Foto: Michael Bigus)

Früher gab es drei, vier Bankerlmodelle in Wien. Heute sind es über siebzig. Wie sitzt, liegt, schläft man darauf? Für wen sind sie gedacht und wessen Hintern wird vertrieben?

 

Die Bank im öffentlichen Raum ist Kommunikationsangebot und Rastplatz. Alle 100 Meter, fordert die Ini­tiative Geht doch, die sich für ein ­attraktiveres Zufußgehen in Wien einsetzt, sollte im öffentlichen Wegenetz eine Sitzmöglichkeit stehen. Dann wären mehr Leute veranlasst, für kurze Strecken aufs Auto zu verzichten: Wer gerne, aber nicht leicht geht, braucht Pauseninfrastruktur.

Gemeingut statt Gemeinheit

Doch je mehr ­diese Infrastruktur genützt wird, umso schneller wird sie wieder entzogen: «Es ist ein auffälliges Phänomen – werden ­Parkbänke ­genutzt, kommen sie weg», schrieb Matthias Winterer vor zwei Jahren in der Wiener Zeitung: «In der ganzen Stadt mehren sich Fälle verschwindender Bänke.» Kollege Schenk zum selben Thema vor zehn Jahren im Augustin: «Ich warne vor Bankraub!» «Sitzverhinderungsmaßnahmen» hieße das im Behördensprech und habe «vor einigen Jahren in den U-Bahn-Stationen begonnen. […] Aber auch in anderen öffentlichen Räumen und auf Plätzen werden die Banken geraubt: auf Einkaufsstraßen, in der Innenstadt, auf und vor Bahnhöfen. Bankraub heißt, dass Gratissitzen verdächtig ist.»
Es ist ein alter Hut, dass der öffentliche Raum mit seinen Banken und Sesseln für die einen öffentlicher ist als für die anderen. Das Wort gemein hat diese perfide Doppel­bedeutung: «für alle» und «bösartig». Und so ließe sich diese Art der Planung von öffent­lichem Raum und seiner Möblage, die in Architekt:innensprache «Hostile Planning» genannt wird, ganz gut mit «Gemeine Gestaltung» übersetzen. Eine Planung, die nicht nur offensichtliche Bösartigkeiten – Kameras oder Metallstacheln auf Fensterbänken – im Repertoire hat, sondern auch Subtileres, zum Beispiel die Bank mit den vier Armlehnen, wie sie am Opernring oder am Praterstern steht.

Bequemisierung des öffentlichen Raums

«Die Parkbank als Marterpfahl» titelte der Augustin im Jahr 2007 und berichtete von einer ­Aktion, bei der Student:innen der Universität für Ange­wandte Kunst gemeinsam mit der Gruppe ­(uuuaaargh!) teils sehr, teils weniger radikale «Adaptionen zur Bequemisierung» von Bänken im öffentlichen Raum vornahmen. Manche davon, könnte man sagen, hat die Stadt Wien übernommen: Es gibt heute breitere und längere Bänke, regelrechte Liegen und ergonomisch wertvolles Mobiliar, man investiert in Sitzgruppen und ganze Terrassen – immerhin eine von drei geplanten wurde im malerisch klingenden «Wiental» bereits realisiert, und sie ist sehr gemütlich und wird viel genutzt.
Einer Stadt, die wie Wien auf ihr Kulturerbe steht und damit bei Tourist:innen und Investor:innen gleichermaßen hausieren geht, sollte die Bank ohnehin heilig sein, denn sie ist antikes Gut. Schon im Alten ­Griechenland und im Alten Rom wurden Bänke an den Fassaden öffentlicher Gebäude aufgemauert, schreibt der ­Stadtwissenschaftler ­Vittorio ­Magnago ­Lampugnani in seinem Band ­Bedeutsame ­Belanglosigkeiten, der gerade neu aufgelegt wurde. Die Gartenbank für den Stadtraum ­wurde erst hunderte Jahre später konzipiert: Laut Lampugnani war es der britische Möbel­hersteller Thomas Chippendale, der im 17. Jahrhundert Stühle und Bänke für draußen produzierte, damit der Adel damit aufhören könnte, seine Hausmöbel in den Park zu tragen – oder tragen zu lassen. Apropos Möbel nach draußen tragen: Warum machen das Städter:innen eigentlich so selten? Ein Küchenstuhl, auf den Gehsteig gestellt, kommt billiger als die Wohnung mit Balkon. So wie den Fahrradraum ­könnte jeder gut ausgestattete Wohnbau einen Bankerlraum haben, oder jedes Wohnhaus ­seine Hausbank, eine Kultur, die man am Dorf viel eher pflegt.
Dass es «noch nie so etwas wie eine Kulturgeschichte der Parkbank gegeben hat», ist, ganz wie der Kolumnist Wolfgang Freitag schreibt, eigentlich nicht zu fassen. Freitag ergänzt mit seinem neu erschienenen Buch Nur in Wien Lampugnanis Kulturgeschichte um den ­lokalen Fokus. Auch die Ringstraße, erzählt er, habe mit Steinbänken begonnen und, wie auch die ­anderen europäischen Metropolen, erst im 19. Jahrhundert Gusseisen-Holzlatten-Bänke en ­masse aufgestellt. Die klassische Parkbank wie das Modell «Schönbrunn» (das in Schönbrunn gar nicht steht) wurde über die ­Jahrzehnte entlang sich hier- und dorthin entwickelnder ­Moden mal zarter, mal klobiger, mal vier-, mal zweibeinig, mal gemütlicher mal «gemeiner».

Homo legens

Verbringt man die Kindheit in Niederösterreich, dann lernt man erst beim Auszug in die weite Welt den Unterschied zwischen Banken und Bänken, denn auf jedem Kreditinstitut und auf jedem Bankerl im öffentlichen Raum steht schlicht «Raiffeisenbank». In Zürich ging ich einmal am Seeufer entlang und fand eine Bank mit der Aufschrift «Nur für Steuerzahler der Stadt Zürich». Das kleinere, westlichere Luzern geriet 2015 gar in Banknot. Die Stadt gab an, sich die Sanierung der Holzbankerl nicht mehr leisten zu können, sodass Tischler:innen und Malermeister:innen einsprangen und eine eigene Bankerneuerungskampagne starteten.
Natürlich kann man es auch mit dem Schlosser und Philosophen Hajo Eickhoff halten und das Sitzen als überbewertete und ­ungesunde Kulturtechnik betrachten. «Homo sedens» nennt Eickhoff in seiner Kulturgeschichte des Sitzens liebevoll-abfällig den Menschen, der sich von der aufrechten Gestalt zum Sitzenden weiter- oder rückentwickelt hat. Wirklich ­gemütliche, einladende und sich der behördlichen Vertreibung entziehende ­Stadtmöblage würde die Rückentwicklung des Menschen (und dabei durchaus nicht nur des wohnungs- und wohnzimmercouchlosen, sondern auch des durchreisenden, von der Arbeit ­pausierenden, temporär schlaferlbedürftigen) noch ein Stück vorantreiben: vom Homo sedens zum Homo ­legens-sich-doch-ein-bisserl-her-da. Dann wäre Wien vielleicht wirklich die ­lebenswerteste Stadt der Welt.

Vittorio Magnago ­Lampugnani:
Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum
Klaus Wagenbach 2019/2023
304 Seiten, 20,60 Euro

 

Wolfgang Freitag:
Nur in Wien. Von den kleinen ­Dingen, die die große Stadt bedeuten
Czernin 2023
240 Seiten, 25 Euro

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