Living Their LivesArtistin

Musikarbeiter unterwegs ... zu Punx und Fahrrädern

Im Dezember 2012 begann die Arbeit am Debüt-Album des Wiener Punk-Quartetts Demenzia Kolektiva. Endlich erschienen, punkrockt es phantastisch!

Foto: Mario Lang

Am Freitag, dem 20. 2. machte sich FPÖ-Gemeinderat Mag. Wolfgang Jung per Presseaussendung Luft. Jungs Ausführungen anlässlich der Auflösung des Bündnisses NoWKR lassen einen als besorgten Mitmenschen über «Realitätsverlust» nachdenken. Er endet mit dem rechten Klassiker, Ernst-Kirchweger-Haus und Amerlingbeisl als «Zentren des harten Kerns der Anarchos» zu identifizieren und die Forderung nach dem Streichen von deren Finanzierung zu stellen. Gähnen? Weinen? Lachen?

Die rasenden Musikreporter des Augustin hatten just an diesem Tag einen Lokalaugenschein im EKH, um sich dort mit der Band Demenzia Kolektiva zu treffen. Hart erschien uns dort eigentlich recht wenig, wobei die Einrichtungsgegenstände schon eine gewisse, zweckdienliche Festigkeit aufwiesen. Wenn die vielen freundlichen, kommunikativen Menschen, die dort herumwuselten, um letzte Vorbereitungen für den Bike Ball VIII, in dessen Rahmen Demenzia Kolektiva auftraten, Anarchos waren, dann möchte ich bitte auch ein Anarcho sein. Viele von ihnen waren übrigens mit dem Fahrrad da, vielleicht bietet sich das ja an als Feindbild für zukünftige F’sche Presseaussendungen …

Realidad

Dieter (Gitarre), Thomsn (Schlagzeug) und Mots (Bass) vertreiben sich das Warten auf den Soundcheck mit Plaudern mit den Musikarbeitern, zu ihrem «female fronted punkrock» fehlt noch Sängerin und Gitarristin Caro(lina), die aber erst zum Gig selbst kommen kann. Vor vielen Jahren aus Chile nach Wien gezogen, ist Caro ein umtriebiger Aktivposten der hiesigen Punk/Hardcore-Community und pflegt mit Bands wie Ruidosa Inmundicia (http://ruidosainmundicia.bandcamp.com) und den Suicidas (http://soundcloud.com/suicidas) unterschiedliche Formen stets heftig popokickender Musik. Die Suicidas absolvierten dabei erst unlängst eine mehrwöchige Tournee und reisen ab April mit ihren Songs durch die USA.

In der Arena, wo beide damals arbeiteten, verfielen Thomsn und Caro 2009 auf die Idee, eine Band zu gründen, mit etwas anderer Stoßrichtung als jene, mit denen sie bis dahin aktiv waren. Als «melodisch, 77er/Old School-Punk» umreißt der Schlagzeuger, der heute im oberösterreichischen Steyr, im Jugend- und Kulturhaus Röda kulturarbeitet, die musikalischen Ambitionen von Demenzia Kolektiva, die vielleicht nicht ganz zufällig die Initialen ihres Bandnamens mit den großen Dead Kennedys teilen. «Do schreits nur», fügt Thomsn noch – with all due respect – zum Gesangsstil seiner Kollegin bei Ruidosa … hinzu, bei Demenzia Kolektiva setzt sie ihre kräftigen Stimmbänder anders ein, das Energielevel bleibt dabei allerdings immer noch hoch. Komplettiert wurde die Band durch Mots am Bass, der zuvor mit Thomsn bei Skeptic Eleptic rotzigen Glam-Punk ’n‘ Roll pflegte, und Gitarrist Malus, wobei 2013 Dieter die elektrischen sechs Saiten übernahm. Mit Martin Schirec (früher bei den Ferkel-Metal-Extremisten Pungent Stench, heute bei Hollenthon) als Produzent begann Ende 2012 die Arbeit am Album. Warum genau sich das Erscheinen des Albums auf prächtigem Vinyl mit tollem Artwork von Don Rogelio so lange hinzog, darüber schweigen die drei Herren. Egal. Erschienen ist das gute Stück mit seinen 10 Knallern, die selten die 2-Minuten-Dauer überschreiten, schließlich bei dem renommierten deutschen Label und Mailorder Twisted Chords, die Platte fährt verdientermaßen begeisterte Reviews in den einschlägigen Fanzines und Magazinen ein. Kompakte, mitreißende Energieschübe mit hohem Wiedererkennungswert und Titeln wie «Realidad», «Live My Life» oder «Selfish», gesungen und getextet von Caro in Spanisch und Englisch, lassen nicht nur Punkerherzen befreit schneller schlagen, das hat in seiner formellen und inhaltlichen Logik eine zwingende Kraft und Qualität, die anderer Musik oft abgeht. Im Kontext der Freakbike-Kultur, die an diesem Abend selbstverständlich per Rad ins EKH zum Tanz anreist, fühlen sich Demenzia Kolektiva sehr wohl. Burned vom Bike Kitchen, einem Hangout und Treffpunkt der Szene (suchen Sie, dann finden Sie!) gewährt faszinierende Einblicke in Zusammenhänge, in denen Selbermachen, Kommerzskepsis und Kreativität Prinzip sind («du baust was zsamm und es funktioniert»), was natürlich hervorragend zum verinnerlichten Do-It-Yourself-Prinzip einer Band wie Demenzia Kolektiva passt. Er erzählt von Choppern, Fixies und Tallbikes, vom Aneignen des öffentlichen Raums, bis mensch fast schon glaubt, das Rauschen ganz vieler selbstgebauter Räder in einer autofreien und anderen Stadt zu hören, mit Demenzias rasendem Herz-Punkpuls als einem möglichen Soundtrack. Trotzdem macht sich ein müder Musikarbeiter, inspiriert bis in die Haarspitzen, vor Ballbeginn und Konzert auf den Heimweg. Noch ohne Rad.

Demenzia Kolektiva: «Same» (Twisted Chords)

www.twisted-chords.de

http://demenziakolektiva.bandcamp.com

demenzia@gmx.at

Im Foto: Punx ’n‘ Bike