Faiza Sadek-Stolz
Faiza Sadek-Stolz ist eine Akademikerin, die
sich für mehr Bildungsgerechtigkeit einsetzt.
Foto: Mario Lang
Bildtext: Vermittlerin: Faiza Sadek-Stolz ist Fellow bie «Teach for Austria»
Dritte Schulstunde, Geografie in der 4C: Die acht Buben und neun Mädchen erheben sich von ihren Stühlen, als die junge Lehrerin das Klassenzimmer betritt. Ihr freundliches Lächeln und die leicht tiefer gelegte Stimme holen selbst jene Lauser in den Unterricht zurück, die jetzt lieber ein Glaserl Wasser über das Make-up ihrer Mitschülerinnen leeren würden.
Eine vierte Klasse in der Neuen Mittelschule in der Glasergasse ist kein Kindergeburtstag, aber auch kein Drama. Faiza Sadek-Stolz weiß, wo sie die Kids abholen kann. Sie ist eine Quereinsteigerin – eine von 71 Fellows der Bildungsinitiative «Teach for Austria».
Die gemeinnützige GmbH, die sich zum überwiegenden Teil durch Spenden finanziert, rekrutiert junge Hochschul-Absolvent_innen, bildet sie kompakt aus und entsendet sie dann für zwei Jahre als vollwertige Lehrkräfte an Schulen, an denen besonders viele Kinder aus armen und armutsgefährdeten Familien unterrichtet werden.
Heute lädt «Frau Sadek-Stolz», wie sie von ihren Schüler_innen mit Respekt genannt wird, für eine Stunde in die USA ein. Und siehe da! Das Land der begrenzten Möglichkeiten geht den 14-Jährigen sofort nahe. In vielerlei Hinsicht.
Dem aufgeweckten Kevin lässt die freie Marktwirtschaft keine Ruhe: «Wie ist es möglich, dass ein Land pleite geht, wenn es seine Währung selbst drucken kann?»
Dann kommt die Rede auf den Schmelztiegel der Vereinigten Staaten. Victoria zeigt auf: «Schau uns an, wir sind auch ein Melting Pot. Wir sind alle Ausländer, mit Ausnahme vom Kevin.»
Sie gibt damit ihrer Lehrerin die Chance, den Unterschied zwischen Ausländer_innen und Menschen mit Migrationshintergrund zu erläutern: «Mein Mann ist Ausländer, Amerikaner, um genau zu sein.» Sie selbst sei die Tochter einer Gymnasiallehrerin aus Tulln und eines Geschäftsmanns aus Kairo. «Ich bin also Österreicherin und Ägypterin. Für mich ist das kein Nachteil, im Gegenteil.»
Ihr Vater und ihre Mutter haben sich in einem Studentenheim in Wien kennen gelernt, erzählt Faiza Sadek-Stolz in der Pause. Die Mutter hat für das Lehramt studiert, der Vater Volkswirtschaft. Der Onkel des Vaters war der letzte König Ägyptens. Das sagt sie nicht aus einem Dünkel, sondern zur Erklärung: «Mein Vater hat es nach dem Sturz seiner Familie nie leicht gehabt hat, weshalb er einige Jahre nach dem Studium nach Wien zurückkehrte.»
Sie selbst wollte gleich nach der Matura in einem Tullner Gymnasium mehr über ihre Wurzeln erfahren. Aus den sechs Monaten, die sie ursprünglich eingeplant hatte, um in Kairo Arabisch zu lernen und die Familie ihres Vaters kennen zu lernen, wurden sechs Jahre. Heute sagt sie: «Ich kam als Österreicherin an und als halbe Ägypterin wieder zurück.»
Dazwischen hat sie an der privaten Amerikanischen Universität in Kairo mit Stipendium Anthropologie und Umweltwissenschaften studiert – und ihre Leidenschaft für das Thema Bildungsgerechtigkeit entdeckt: «Wir haben junge Menschen unterrichtet, die entweder aus benachteiligten Regionen Ägyptens in die Hauptstadt kamen oder in einem Armenviertel Kairos lebten. Das war wirklich schön.»
Nach den erst friedlichen, dann blutigen Aufständen und Machtergreifungen in Ägypten musste sie mit ihrem Mann schweren Herzens das Land verlassen. «Das Leben war für uns zu gefährlich geworden. Ohne Pfefferspray habe ich mich nicht mehr aus dem Haus getraut. Und nach sieben Uhr am Abend bin ich gar nicht mehr auf die Straße raus.»
Ihr jüngerer Bruder hat dann in Wien, an der Wirtschaftsuniversität, ein Plakat von «Teach for Austria» gesehen und spontan gemeint: «Das ist was für die Faiza!» Ein Glücksfall. Für alle. Nach dem ersten Jahr an der Schule spricht die Direktorin mit Hochachtung über ihre junge Mitarbeiterin, deren Gehalt vom Stadtschulrat bezahlt wird. Ihre Lehrerkolleg_innen freuen sich über die tatkräftige Unterstützung. Und die Schüler_innen nehmen ihr ab, wenn sie ihnen erklärt, dass Gratis-Schulbildung ein großes Geschenk ist.
Das größte Kompliment kommt aber von ihrer Mutter, die selbst unterrichtet: «Sie sagt, dass ich an der neuen Aufgabe gewachsen bin.» Teach in Austria: Das hat auch zur Folge, dass ihre heute 18 Monate alte Tochter Salma Elizabeth ihrem ersten Namen entsprechend weitgehend in sozialem Frieden aufwachsen kann.
Sinnvolles bewegen! Lautet das Lebensideal ihres Vaters. Als selbstbestimmte Frau leben! Ist das Motto ihrer Mutter. Die 27-Jährige kommt den Leitmotiven ihrer Eltern bereits sehr nahe. Nach den Sommerferien beginnt ihr zweites Schuljahr. Es ist möglich, dass sie der Schule am Alsergrund noch länger erhalten bleibt. Dank ihrer Arabisch-Kenntnisse wurde sie hier zu einer wichtigen Bezugsperson für die Flüchtlingskinder.
Fix ist in jedem Fall, dass sich Faiza Sadek-Stolz weiterhin im Bildungssystem engagieren möchte. Gerne auch wieder in einem Armenviertel von Kairo: «Irgendwie zieht es uns wieder zurück nach Ägypten, auch wenn dort manches sehr schwierig ist. Aber wir konnten uns, als wir weg mussten, nicht einmal richtig verabschieden.» Mehr über die Bildungsinitiative unter: www.teachforaustria.at.