Fairbnb will den Städtetourismus reformieren
Airbnb war gestern. Im Mai startet die Ferienwohnungs-Buchungsplattform Fairbnb in fünf europäischen Städten. Paweł Kamiński über bewohnbare Innenstädte, bezahlte Steuern und Tourist_innen, die in Venedig Müll sammeln. Foto: Mario Lang
Jedes moderne Unternehmen braucht eine überzeugende Gründungsgeschichte. Emanuele Dal Carlos Geschichte beginnt mit der Kündigung seines Mietvertrags. Dal Carlo zog aus dem Venediger Stadtkern aufs Festland; aus dem Haus, in dem er gewohnt hatte, wurde eine Airbnb-Unterkunft. Das löste persönliche Betroffenheit, aber auch Interesse für dieses neue Phänomen aus, erzählt er. In der Stimme des Präsidenten der Fairbnb-Kooperative ist keine Spur der Verbitterung zu hören.
Verwüstung und Verdrängung.
Es überrascht, dass Dal Carlo mit so viel Begeisterung die positiven Entwicklungen von Airbnb beschreibt. Ganz angetan zeigt er sich von der neuen Qualität des Reisens – dem «Mittendrin-Dabeisein» und dem «Wie-zu-Hause»-Gefühl, das eine individuell ausgestattete Ferienwohnung einem neuen Ort verleihen kann. Alle weiteren Vorteile, wie praktische Unterkunftssuche, unkomplizierte Reservierung und hilfreiches Bewertungssystem, gehören heute zu den Standards des Online-Geschäfts. Bekannt ist mittlerweile aber auch die Kehrseite des Städtetourismus-Booms, die sich am einfachsten folgendermaßen beschreiben lässt: Weil Tourist_innen meist dazu bereit und in der Lage sind, mehr Geld als Stadtbewohner_innen auszugeben, werden Letztere verdrängt. Mietpreise steigen, Wohnungen werden dem Wohnungsmarkt entzogen, Nahversorgung und Dienstleistungen stellen sich auf die Bedürfnisse der Reisenden ein, durch den unterschiedlichen Lebensrhythmus entstehen Nachbarschaftskonflikte. Dies hat mit der ursprünglichen Airbnb-Idee, überschüssige Wohnfläche samt Luftmatratze und Frühstück, also «Air Bed & Breakfast», gegen ein wenig Geld anzubieten, kaum mehr etwas zu tun.
An manchen Orten ist die Lage besonders kritisch: Das überschaubar große Zentrum von Venedig mit seinen rund 60.000 Einwohner_innen besuchen jährlich mittlerweile etwa 30 Millionen Menschen, weniger als die Hälfte bleibt über Nacht. «Hier kann sich insgesamt niemand mehr wohl fühlen», stellt Dal Carlo nüchtern fest. Es fehlt an Bestimmungen, die die Lage entschärfen könnten: «Wer sich dafür entscheidet, an Tourist_innen statt an Bewohner_innen zu vermieten, hat davon viele Vorteile. An einem Ort, an dem es keine strengere Regelung gibt, kann das zu einer Verwüstung des lokalen Lebens führen», so Dal Carlo. Für ihn sind die Betreiber_innen von Airbnb und anderen Marktgrößen trotzdem keine Feind_innen. Sie seien selbst in einem risikokapitalgesteuerten Geschäftsmodell gefangen, welches sie zum ständigen Wachstum zwänge und das zu einer ausbeuterischen Bewirtschaftung führen müsse. «Was übersehen wurde und was wir mit Fairbnb verwirklichen wollen, ist, die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse des Ortes zu richten, an dem die Geschäfte gemacht werden.»
Steuern zahlen, Umwelt schützen.
Die ersten Fairbnb-Unterkünfte werden in Amsterdam, Barcelona, Bologna, Valencia und Venedig – allesamt beliebte und überlaufene europäische Reiseziele – angeboten. Grundbedingung für diese und zukünftige Standorte ist eine Kooperation zwischen interessierten Gastgeber_innen und ökosozialen Initiativen vor Ort. Und so funktioniert das in der Praxis: Reisende buchen auf fairbnb.coop eine Unterkunft. Die Hälfte der Buchungsprovision, die mit fünfzehn Prozent des Übernachtungspreises festgelegt ist, geht an ein Projekt, das der lokalen Bevölkerung und/oder der Umwelt zugute kommt. Wohin der Betrag konkret fließt, entscheiden die Reisenden selbst. Auf diese Art soll Tourismus zur Verbesserung der Lebensqualität aller beitragen. Damit die verschiedenen Interessenlagen ausgewogen bleiben, müssen Gastgeber_innen außerdem selbst in der Stadt wohnen und dürfen höchstens eine Unterkunft zur Vermietung anbieten. Verpflichtend für sie sind die Einhaltung der plattformeigenen Nachhaltigkeitsrichtlinien, die Registrierungspflicht und die Zahlung aller an die Kommunen zu leistenden Abgaben.
Zusätzliche Partner_innenorganisationen dienen als Vertretung der Plattform vor Ort: Sie bieten ein Gegenüber für die Behörden, sorgen für finanzielle Transparenz und sichern die Qualität der Projekte. Ein Garant, dass es bei Fairbnb nicht um schnellen Profit geht, ist die Form des Unternehmens. Hier hat man sich an einem traditionsreichen italienischen Modell orientiert, der Kooperative, auch Genossenschaft genannt. Genossenschaften werden von ihren Mitgliedern verwaltet, sie sind nicht teilbar, und ihr Kapital wird hauptsächlich in das Unternehmen reinvestiert.
Aufräumen, Boote bauen, nach Venedig ziehen.
Wer beispielsweise eine Unterkunft in Venedig bucht, findet mehrere Projekte, die er mit seinem Geld unterstützen kann. Bei dieser einfachen Spende bleibt es jedoch nicht, denn bei allen Optionen ist zusätzlich auch eine aktive Beteiligung vor Ort möglich. Ganz niederschwellig ist beispielsweise ein Projekt, das Freiwillige zusammenbringt, die gemeinsam in der Stadt aufräumen wollen. Zu tun gibt es mehr als genug. Stichwort: Plastikmüll in den Kanälen und verborgenen Bereiche der Lagune. Um einiges anspruchsvoller ist das Vorhaben, eine alte Werft zu renovieren, in der wieder Gondeln, Sandoli und andere traditionelle Bootsarten gebaut werden sollen. Das alte Handwerk und auch die spezielle Rudertechnik, beides Bestandteile der venezianischen Kultur, können dort in Zukunft von Tourist_innen und Einheimischen erlernt werden. Das dritte und mit Abstand größte Projekt sieht den Bau von neuen Wohnungen auf den Inseln von Venedig vor. Diese sollen unter dem üblichen Marktpreis an Familien vergeben werden, die dauerhaft auf die Inseln ziehen wollen. Auf diese Art soll das brüchig gewordene soziale Gewebe der Lagunenstadt wiederhergestellt werden.
Der Veganer der Tourismusbranche.
Die von Fairbnb in fünf europäischen Städten angebotenen Unterkünfte stehen derzeit noch in keinem Verhältnis zur riesigen Auswahl auf Airbnb, wo Zimmer und Appartements in über 190 Ländern vermittelt werden. Auf die Frage, welches Potenzial Emanuele Dal Carlo für seine Kooperative sieht, zitiert er einen Kollegen: «Wir sind wie Veganer_innen: Noch vor zehn Jahren war ein Veganer am Tisch der Freak, oder?» Inzwischen hätte der angesagte Ernährungstrend seinen Weg in die breite Bevölkerung gefunden. «Also werden wir auch dorthin gelangen», zeigt sich Dal Carlo überzeugt. Er glaubt daran, dass Fairbnb mit positivem Beispiel vorangehen kann. Die Tourismusindustrie werde schrittweise folgen. Nicht zuletzt, weil sie aufgrund der zunehmenden «Overtourism»-Kritik unter Druck steht.
Konkurrenz zwischen den Übernachtungsplattformen kümmert den Venezianer wenig. Es kann durchaus der Fall sein, dass eine Unterkunft gleichzeitig über Airbnb, Fairbnb und weitere Plattformen angeboten wird: «Das ist uns egal, denn der Unterschied zwischen unserem Gastgeber und seinem Nachbar ist, dass er nachhaltig agiert. Wir sind nicht exklusiv.» Von Konkurrenzgedanken scheint Emanuele Dal Carlo sowieso nicht viel zu halten: «Uns geht es eigentlich nicht um die Vermittlung von Unterkünften», sagt er. «Unser Ziel ist es, durch Tourismus lokale Projekte zu finanzieren.»