Lust am WiderstandArtistin

Über Schlurfkatzen, Zazous, Swings und Potapki

Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei,

zuerst geht der Hitler, und dann die Partei.

Es geht alles vorüber, die HJ wird vergeh’n,

doch der Schlurf, der wird immer und ewig besteh ’n!

Spottlied der Schlurfs

Mit dem Film Schlurf Im Swing gegen den Gleichschritt wird nur einer nachtaktiven Sendetermin 23 Uhr! Öffentlichkeit die Gelegenheit geboten, sich zu den Wurzeln der Halbstarken, Hippies oder Punks zu begeben. Der Augustin sprach mit dem Regisseur Wolfgang Beyer über historische Schlurfs und seine zeitgenössische Interpretation dieser Thematik.Die Schlurfs und Schlurfkatzen seien die UrahnInnen aller oppositionellen Subkulturen gewesen, behauptet der Regisseur Wolfgang Beyer, der mit Monica Ladurner und Katja Schröckenstein den ersten österreichischen Film über diese aufmüpfige Randgruppe von Jugendlichen und ihre Verfolgung durch das Nazi-Regime gedreht hat. Das Phänomen Schlurf war keine Wiener Ausnahmeerscheinung. In Berlin und Hamburg hießen sie Swings, in Paris Zazous und in Prag Potapki. Sie hörten Jazz, tanzten zu Swing und hatten ein Faible für auffällige Kleidung und Accessoires. So trug Schlurf und jetzige Radiolegende Günther Schifter stets einen Regenschirm mit sich natürlich nie aufgespannt, auch nicht bei Regen, wie er in der Dokumentation erzählt. Oder die Zazous, die nach verordneten Stoffsparmaßnahmen des Regimes erst recht übermäßig große und viele Taschen auf ihre karierten Sakkos nähten.

Diese lokalen Subkulturen waren nicht politisch gegen die Nazis aktiv, doch sie rebellierten im ästhetischen Sinne. Sie weigerten sich, ihre Affinität zur aufkommenden angelsächsischen Popkultur zugunsten der braunen Linie, also HJ-Uniform, kurz geschorene Haare und Marschmusik, aufzugeben. Erst ihre Fixierung auf ästhetische Individualität machte sie politisch und somit für die Nazis zum roten Tuch: Ihr Lebensstil wurde kriminalisiert und Swing zum rhythmischen Rauschgift im Rassenkampf degradiert. Hörte man amerikanischen Jazz, drohte das Arbeitslager oder gar das KZ.

Bis heute werden in Österreich Schlurfs nicht als Opfer des NS-Regimes anerkannt, und nach wie vor kursiert dieser Ausdruck als Schimpfwort, was die Arbeit zum Film erschwert hat: Bei den so genannten Schlurfkatzen, den weiblichen Pendants der Schlurfs, wirkt diese Diskriminierung noch stärker nach. Ich vermute, es liegt daran, dass die Nazis geschickt die behauptete Nähe zur Prostitution ausgenützt haben, so Wolfgang Beyer. In der Zwischenkriegszeit wurden nämlich auch Zuhälter mit dem Ausdruck Schlurf bedacht, also ein gefundenes Fressen für die Nazis, um Jazz hörende Frauen, die zudem noch ihr Haar lang und gelockt trugen und bei der Rocklänge zur kürzeren Variante gegriffen haben, als Prostituierte zu stigmatisieren: Wir waren im Gespräch mit einer Schlurfkatz, die dann doch nicht in die Öffentlichkeit treten wollte. Jetzt haben wir die Spur zu einer anderen, die in der geplanten Kinoversion vorkommen soll.

Der Schlurffilm ist somit nicht abgeschlossen, denn die Recherchearbeiten, mit denen Katja Schröckenstein vor zirka drei Jahren begonnen hat, brachten viel Material und noch längst nicht abgearbeitete Aspekte wie die Goldsteiner-Akten mit Nebenprozessen hervor, was für den Regisseur und seine beiden Kolleginnen noch nicht abgeschlossen sein kann. Sie befragten für den Film den Enkelsohn von Anna Goldsteiner, der sich seit Jahren erfolglos um eine Rehabilitierung seiner Großmutter bemüht, denn niemand möchte sich an sie erinnern. Anna Goldsteiner wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt, so steht es im Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 28. September 1944 geschrieben. Sie hatte das Verbrechen verübt, in Pulkau Schlurfs, die angeblich die gewaltsame Lostrennung der Alpen- und Donaureichsgaue vom Großdeutschen Reich bezweckten, ihre Wohnung für die konspirativen Treffen zur Verfügung zu stellen.

Herzogenburg Wien Hamburg

Wie viele Schlurfs es gegeben hat, lässt sich nicht mehr eruieren, da es nicht einmal einen Ansatz einer Organisation gegeben hätte, so Beyer, und er nennt als Beispiel den Herzogenburger Schlurf Emil Kickinger, der ihm ein Interview gab: Kickinger wusste von den Wiener Schlurfs überhaupt nichts. Er hatte bloß die Vermutung, dass die Spottlieder über die Nazis aus Wien kamen. Einzig die Hamburger Swing-Szene sei stärker aufgearbeitet. Dort gebe es Menschen, die bewusster dazu stünden und beispielsweise in Schulen darüber sprächen. Die Hansestadt betreffend gingen die Schätzungen in die Tausende, so der Regisseur. Stichwort Hamburg und Film. 1993 kam die amerikanische Produktion Swing Kids in die Kinos. Der Filmfachmann über diesen Streifen: Dieser Film behandelt die Hamburger, also die vitalste und stärkste Swing-Szene. Die Recherchen basieren auf damals noch lebenden Hamburger Swings. Ich finde diesen Film nicht grundsätzlich schlecht, nur hat er den üblichen Hollywood-Touch, also verstärkte Konflikte und die spezielle Art, Lovestorys zu erzählen, was ein wenig traumfabrikmäßig ist. In der Hamburger Swing-Szene ist diese Produktion eher auf Ablehnung gestoßen.

Schlurf Im Swing gegen den Gleichschritt von Monica Ladurner, Katja Schröckenstein und eben Wolfgang Beyer ist vieles, nur keine Dokumentation im klassischen Sinne. Den Hintergedanken zu dieser formalen Mischform, die zum Feature neigt, schildert Wolfgang Beyer: Wir wollten nicht den 397sten Gram-und-Elend-Film unter dem Titel ‚So schlimm war das 3. Reich‘ machen. Natürlich wollten wir die Verfolgungen zeigen und auf die KZ hinweisen, aber vordergründig sollte der Spaß am Widerstand transportiert werden.

Opulenz statt Trash

Den Kern bildet historisches Material, das im direkten Zusammenhang mit dem Thema Jazz steht, und noch lebende ZeitzeugInnen die bekannteren wären der bereits erwähnte Günther Schifter und der deutsche Jazz-Gitarrist Coco Schuhmann. Das Historische wird mit aktuellen und auch scharfen Kommentaren ergänzt. Damit der Blickwinkel von der Gegenwart aus noch verstärkt wird, bedient sich dieser Film eines Kniffs. So wurden die Livemusikpassagen nicht mit altväterischen Swingmusikern besetzt, sondern mit der erst seit wenigen Jahren bestehenden Formation Fatima Spar & die Freedom Fries. Die Sängerin Fatima Spar und ihre Musiker arrangierten teilweise Schlurfklassiker wie den Tiger Rag neu, spielen aber auch Swingnummern, die zur Gänze aus der eigenen Feder stammen. Die Tanz- und Musikszenen wurden bewusst opulent inszeniert: Ich wollte keine trashige Ästhetik das wäre mir zu billig gewesen. In diesem Zuge erinnert Wolfgang Beyer daran, dass die Tanzlokale in Berlin Paläste, glitzernde Kristalltempel waren. In diesem Punkt unterschied sich aber die deutsche von der österreichischen Szene. Die Swings gehörten dem bürgerlichen Milieu an, hingegen waren die Schlurfs und Schlurfkatzen ProletarierInnen. Wenn man es sich leisten konnte, war es nicht schwierig, an Jazzplatten zu kommen. Erst als der Rohstoff (während des 2. Weltkriegs, Anm.) immer knapper wurde, gab es Tauschaktionen, wo man für ein paar alte eine neue erhalten konnte. Bei diesen eingetauschten waren natürlich viele Jazzplatten dabei, da diese aus Angst, wie man auch jüdische Literatur weggeschmissen hat, abgegeben worden sind, so der Filmemacher.

Ein paar Händler rückten diese unter dem Ladentisch wieder heraus, oder man nahm den direkten Weg zu den Nazis, um zum schwarzen Gold zu gelangen, wie Günther Schifter im Film erzählt. Er ging mit Freunden zur Ausstellung Entartete Kunst, wo natürlich Schellacks mit Niggermusik vorgespielt wurden. Ganz klassisch verwickelte ein Schlurf den Nazi-DJ in ein Gespräch, während die übrigen die Tonträger austauschten und sich mit dem rhythmischen Rauschgift auf leisen Plateausohlen, ein Markenzeichen der Schlurfs, aus dem Staub machten.