Mach k(l)ein Theater!vorstadt

Einst Erika-Kino, seit 2002 Theater Spielraum: Klassische und zeitgenössische Stücke mit gesellschaftspolitischem Anspruch in der Kaiserstraße in Neubau (Foto: © Jana Madzigon)

Kleinbühnen. Rund 30 Theaterhäuser, die nicht groß sind und oft unter dem Radar der allgemeinen Aufmerksamkeit fliegen, sind über die ganze Stadt verteilt. Als kulturelle Nahversorger:innen haben sie eine wichtige Funktion.

Menschen, die ohne Subventionen auf eigenes Risiko etwas auf die Bühne bringen in der Hoffnung, dass Leute kommen», so beschreibt Michael Niavarani, Schauspieler, Kabarettist sowie Besitzer und Leiter des Kabarett Simpl in einem Gespräch mit der Kleinen Zeitung die Betreiber:innen von Privattheatern. Privat geführt, das sind fast alle der kleinen Theater in Wien. Aber was genau heißt «klein»?
Kleinbühnen, Mittelbühnen, Großbühnen – so geht die bekannte Einteilung. Das hängt mit Sitzplätzen zusammen, aber nicht mit Genres. Kleinkunst etwa ist eher Kabarett oder Varieté, kann aber durchaus vor 500 Zuseher:innen stattfinden. In kleinen Räumen, die in irgendeiner Form «Theater» über ihren Türen stehen haben, passieren sehr viele sehr unterschiedliche Dinge – auch von unterschiedlichem Anspruch.
Vielleicht ist die beste Definition für «klein»: einerseits die Anzahl an Zuseher:innen-Plätzen im Vergleich zu großen Bühnen wie dem Burgtheater, das mehr als 1.300 Leuten pro Aufführung Platz bieten kann, oder Mittelbühnen wie etwa dem TAG, in dem bis zu 212 Personen zusehen können. Andererseits die vergleichsweise kleine Menge an Menschen, die diese Theater kennen. Als drittes Kriterium gilt wohl auch, dass ihre Budgets meistens klein sind.

Theaterland

Wie viele Bühnen es insgesamt in Österreich bzw. in Wien gibt, ist nicht erfasst. Das «Theaterland Österreich» gilt aber als «mit festen Häusern hervorragend versorgt (ohne dass dies im Moment anhand einer harmonisierten europäischen Statistik belegt werden könnte)» schreibt Statistik Austria im Kulturbericht 2020/21. Dort sind die Bundestheater, die großen Wiener Privattheater, u. a. Josefstadt und Volkstheater, sowie die Vereinigten Bühnen Wien gelistet. Die überwiegende Zahl an Theaterbesucher:innen sei jedenfalls in der Hauptstadt zu verzeichnen.
Auf der Homepage der Stadt Wien gibt es eine Liste aller Wiener Theater in alphabetischer Reihenfolge. Rund 30 Theaterräume findet man hier, die man «klein» nennen kann.
Auch wenn sie nicht so bekannt sind wie Mittelbühnen á la Kosmostheater, Theater Drachengasse oder brut: Die Kleinen sind relevant für das Stadtleben, da sie verschiedene Nischeninteressen der Bevölkerung abdecken, kulturelle Nahversorgung sicherstellen und teilweise experimentelle Ansätze verfolgen. In vielen von ihnen haben selbst routinierte Theaterkenner:innen noch nie einen Fuß gesetzt, sei es, weil sie das Programm nicht interessiert oder weil sie es schlicht nicht am Radar haben.
Vom inklusiven Theater Delphin, über das «Letzte erfreuliche Opern­theater», das L.E.O., das in winzigem Ambiente neben Opern auch Liederabende darbietet bis hin zum Theater Olé, das auf «Clownerie» spezialisiert ist: High-Art und Boulevard, Varieté und ­Avantgarde, Skurril-Verstaubtes und hoch Zeitgenössisches, Brachialhumor und feiner Witz, Experiment und Improvisation, Lai:innen und professionelle Gruppen, Performancekunst und Musiktheater – es gibt scheinbar nichts, was es in Wien nicht gibt. Die Fassaden der kleinen Theater prägen das Stadtbild, auch wenn man manchmal achtlos vorbeigeht.

Kleinkunst

Der Wiener Theaterkeller ist so eines. An der Hausfassade des Zinshauses zeigt zwar ein großes Schild, worum es drinnen geht, das spezielle Flair deutet sich aber erst an, wenn man im Stiegenhaus steht und zur Kellertüre schaut. «Wiener Theaterkeller» steht in goldenen Klebelettern in Jugendstiloptik über dem Abgang. Unten sind die ­Gänge eng, die Wände mit Fotos von Aufführungen ­gepflastert, an der Bar stehen Brötchen und ­Getränke bereit. Eine Leuchtkette aus roten Herzchen hängt über der Schank, Wände und Decke sind in Rosarot und Himmelblau ausgemalt, man wähnt sich in einer heimeligen Dorfbar oder einem Heurigen.
Am großen Tisch sitzen schon ein paar Gäste, die auf die Vorstellung warten. Heute steht Für Dich, mein Schatz …!? Eine bittersüße Revue von und mit Regina Schörg am Programm – die launigen Erlebnisse einer Opernsängerin.
Der Bühnenraum selbst ist größer, als man in einem Keller vermuten möchte. 60 Plätze fasst er, erzählt Helene Levar, die Intendantin. Sie hat das Theater vor 22 Jahren gegründet und stand auch oft selbst auf der Bühne. Inzwischen führt sie vor allem Regie, macht aber noch Lesungen und Produktionen mit den Schüler:innen ihres Kurses.
Zu den Aufführungen im Theaterkeller – Kleinkunst, Varieté, Konzerte – finden Stammgäste, Freund:innen der Auftretenden, Nachbar:innen und Schüler:innen von Levar. Die meisten der knapp 30 an diesem Abend anwesenden Personen gehören den älteren Semestern an, aber auch ein paar recht junge Personen sind da und haben es sich in der fünften Reihe bequem gemacht. Für Helene Levar, die im Zuge ihrer Laufbahn und u. a. in Schulen spielte, ist es wichtig, dass ein Stück werktreu inszeniert ist, wie sie sagt. «Das Publikum hat ein Recht darauf zu wissen, worum es in einem Stück geht», findet sie. Viele zeitgenössische Inszenierungen würden dem nicht gerecht werden.
Die Kosten für den Erhalt des Theaters, das als Verein organisiert ist, sind in den letzten Jahren gestiegen, wie überall. Geld kommt von den Mitgliedern ­ihres Kulturvereins Ciarivari, von Spenden, Ticketverkäufen «und ich habe jetzt angesucht bei der Kultur im dritten Bezirk, dass wir Unterstützung bekommen», so Levar. Immerhin, es müssen auch ­Gagen für die Künstler:innen und die paar Mitarbeiter:innen gezahlt werden. Der Theaterraum steht außerdem für Vermietungen zur Verfügung.

Ein-Mensch-Bühne

Auch im franzjosefskai21 ist an diesem Abend Ende Mai nicht ausverkauft, «sonst aber meistens schon», wie die Mitarbeiter:in an der Kassa eine Besucherin auf ­Nachfrage informiert. Gegeben wird heute Die Verwandlung, passend zum Franz-­Kafka-Jahr, das heuer zum 100. Todestag des Schriftstellers ausgerufen wurde. ­Alexander Waechter hält einen eindrücklichen ­Monolog, dazu reduzierte szenische Gestaltung. Bühne und Raum fühlen sich nach literarischer Avantgarde an, Schwarz-Weiß dominiert, an den Wänden des Foyers hat der Intendant Zeichnungen von Kafka vergrößert und als Wandmalerei anbringen lassen. Im Barbereich links neben der Treppe sitzen schon einige Gäste, auch hier gibt es Brötchen und Getränke, Spenden erbeten.
Reguläre Besucher:innen treffen hier auf Menschen, die zum ersten Mal da sind. Eine junge Frau begrüßt einen jungen Mann mit den Worten: «Ich habe es zuerst nicht gefunden, es gibt ja noch ein anderes Theater am Schwedenplatz, eine Komödie.» Tatsächlich ist der Schwedenplatz fast eine «Theatermeile», denn nur wenige Meter weiter leuchtet die orange-weiße Fassade der Komödie am Kai – mit gänzlich anderem Programm.
Waechter, offiziell pensionierter Schauspieler, war Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt, spielte auf vielen Bühnen im deutschsprachigen Raum sowie bei Festivals, etwa den Salzburger Festspielen. Ein Festival leitete er zehn Jahre lang auch selbst: das Shakespearefestival auf der Rosenburg. Theaterunaffinen Menschen ist er vielleicht als Franzi aus der Kult-TV-Serie Ein echter Wiener geht nicht unter in Erinnerung.
In Pension gehen wollte Waechter ­jedenfalls nicht wirklich. Also mietete er einen Kellerraum in einem Wohnhaus, aber einen mit Tradition: Von 1970 bis 2006 war hier das Theater am Schwedenplatz von Herbert Lederer. 2014 eröffnete Waechter dann sein eigenes Theater – mit Kafkas Die Verwandlung.
«Es war die erste Produktion die wir gemacht haben vor zehn Jahren, damals haben wir sie auch sehr oft gespielt.» Zwei Produktionen pro Jahr sind seither angestrebt, manchmal geht sich aber nur eine aus. 42 Mal hat er das Stück in der aktuellen Saison bisher gespielt. Die Plakate aller franzjosefskai21-Aufführungen hängen im Raum vor der Tür zum rund 30 Sitzplätze fassenden Bühnengewölbe: Joseph Roths Radetzkymarsch, Elfriede Jelineks Der Wanderer, ­Thomas Bernhards Wittgensteins Neffe, ­Programme wie Komik & Noten, um nur einige zu nennen.
Einmal war etwa ein Pianist mit ­dabei, ansonsten ist Waechters Haus fast ­immer eine One-Man-Show. Er spielt selbst und alleine und verantwortet alles, von Ausstattung bis Textfassung. Gleich im ersten Jahr stand ein anderer Schauspieler mit ihm auf der Bühne. «Das war ein totaler Flop», so Waechter. «Dann habe ich das bleiben lassen.»

«Crowdfunding in Form von Kartenverkauf», sagt er auf die Frage, wie er sein Haus finanziert. Kulturförderungen habe er noch nie bekommen, nach Ansuchungsversuchen am Anfang habe er es bald aufgegeben. «Ich ­funktioniere halt so wie ein Kabarettist. Die müssen auch durch Kartenverkauf ihre Einnahmen machen.» Vermietet werden die Räumlichkeiten nicht. «Ich kann doch andere Schauspieler nicht leiden», sagt Waechter schmunzelnd. «Da sind allerdings zwei», ruft er und zeigt auf seine Bekannten, die auf der Couch neben der Kassa sitzen und lachen.

Der Kreis als Idee

Schauspieler:innen, die die Produktionen von befreundeten Kolleg:innen besuchen – ein Klassiker in der Theaterwelt. So auch im Theater ­Lalish in Währing, ein modernes, erst vor ein paar Jahren renoviertes, großzügiges Haus mit einem berührenden Kunstwerk an einer Wand des Theaterraums: Besucher:innen und Performer:innen schreiben Botschaften auf die Wand, die von Schrift in allen erdenklichen Sprachen nur so flirrt.
Nigar Hasib und Shamal Amin kamen, wie sie im Gespräch in ihrem Theaterhaus erzählen, aus politischen Gründen 1991 von Kurdistan nach Wien. Hasib hatte schon in Bagdad Theater studiert, sie ist Stimm- und Performancekünstlerin. Sie gründeten das Lalish Theaterlabor als «Forschungszentrum für Theater und Performance-Kultur», im Jahr 2000 konnte mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien ihr eigenes Haus eröffnet werden. «Wir haben eingereicht und Geld bekommen für den Umbau, aber wir hatten kein Geld mehr für die Miete», erzählt Hasib. Die Hausverwaltung stundete glücklicherweise, abbezahlt wurde noch lange. «Aber wir kommen beide aus Kurdistan, aus dem irakischen Teil. Wir haben 25 Jahre in diesem Land, sagen wir, unserem Land, gelebt, und es war nur Krieg. Wir sagen uns immer, wir haben fast drei Kriege überlebt. Wir können auch Schulden überleben», sagt Hasib.
In ihren eigenen Produktionen und auch jenen der Gastgruppen, die bei ­ihnen auftreten, geht es um Performances, Tanz, Körper, Stimme und Musik. Kein Sprechtheater also, im in Österreich als klassisch empfundenen Sinn. Sie sind mit eigenen Stücken weltweit auf Festivals unterwegs – gerade etwa ist Nigar Hasib von einem Festival in Kairo zurückgekommen – und wurden schon oft für ihre Arbeit ausgezeichnet. Speziell, und, wie Hasib sagt, in Österreich einzigartig, ist der Raum, in dem alles in Kreisform geschieht. Das Publikum sitzt rundherum, die Musiker:innen sitzen im Publikum, alles ist erleuchtet und auf ­einer Ebene. «Ich möchte mich in einem Kreis mit dem Publikum einfach wohlfühlen, sicher fühlen. Genauso soll auch das Publikum sich mit mir wohlfühlen», erklärt sie. Es geht um ein Zusammensein auf gleicher Ebene, darum, nichts zu verstecken. Und um Energieaustausch. «Diese Energie geht von uns, von der Mitte zum Publikum aus, und vom Publikum kommt sie wieder zurück. ­Unsere Performances sind wie ein Ereignis.»
Die Menschen, die Aufführungen im Lalish besuchen, kommen von überall in Wien und sprechen verschiedene Sprachen. Im Anschluss bleiben die ­Leute oft noch vor Ort, Besucher:innen öffnen sich und erzählen selbst ihre Geschichten, so Hasib.
Geschichten erzählen, auf welche Art auch immer, ist die ureigene Aufgabe von Theater. Die kleinen Theater in Wien erzählen auch noch eine andere Story: Nämlich eine vom Wunsch nach künstlerischer Community und Austausch. Und von der Aufforderung, aufmerksam durch die Stadt zu spazieren, und auch das wahrzunehmen, was man bislang noch nicht bemerkt hat. 

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