«Man darf nicht unterschätzen, wie essenziell Kreativität ist»Artistin

DJ, Perkussionist, Schauspieler, Radio Host – der elektronischen Musikszene bekannt vom Duo Afroschnitzel, vom Kollektiv Sounds of Blackness oder von Radio Orange 94.0: Ayo Aloba ist einer der vielseitigsten Künstler Wiens. Und einer, der herumgekommen ist. Ein Interview über eine Kindheit als Schwarzer Junge in Floridsdorf, Musikmachen auf Distanz, rassistisches Nachtleben und die Kraft der Kreativität

INTERVIEW: RUTH WEISMANN
FOTOS: JANA MADZIGON

Die Frage zur Lage: Wie geht’s dir als Musiker in Zeiten von geschlossenen Clubs?
Wir sitzen ja alle im selben Boot. Ich persönlich versuche Widerstand gegen die Regierung zu leisten, die uns keine klaren Antworten gibt. Ich schaue, dass ich weiterhin auf meine Projekte fokussiere, denn wenn die Industrie wieder hochfährt, möchte ich vorbereitet sein.

Du bist als Teil des Duos Afroschnitzel mit deinem Kollegen Moritz Pommer in der Dance-Musikszene unterwegs. Ein Track von Mai 2020 heißt «Window Blues». Eine Lockdown-Hymne?
Haha, ja, das kann gut sein. Vielleicht dauert das Veröffentlichen von neuen Tracks auch wegen des Lockdowns etwas länger, aber ich bin zurzeit auch im Prozess, mein Label zu gründen, das vor allem ethnische Minderheiten vertreten wird.

Moritz Pommer lebt ja in Frankfurt, ihr seid an das Arbeiten auf Distanz also gewöhnt. Wie schaut die Zusammenarbeit genau aus?
Manchmal ist es schwierig, was bürokratische Dinge betrifft. Aber da wir uns so lange kennen – seit unserer Schulzeit –, haben wir einen eingespielten Rhythmus. Meistens habe ich ein Konzept, Moritz findet dann Musik oder Beats dazu. Oder ich schicke ihm eine Collage von Samples, die ich selbst mache. Dann schauen wir, wie sich das entwickelt, und besprechen es. Wenn wir zusammenkommen, arbeiten wir gemeinsam live. Ich spiele ja Percussion, und das ist unser Herzpuls.

Habt ihr schon einen Award für euren Namen bekommen?
Meistens wenn Menschen Afroschnitzel hören, kommt am Anfang Stirnrunzeln, dann Lachen. Technisch ist Moritz ja Deutscher, dann kommt von den Leuten oft auch so ein kleiner Fingerzeig. Aber meistens wird es humorvoll aufgenommen. Ich mag das Zitat: «Man soll sich niemals ernst nehmen, aber seine Arbeit schon.» Das ist generell unsere Herangehensweise.

Wie hat sich euer Dance-Sound entwickelt?
Moritz hat mich in elektronische Musik wie Jungle und Drum and Bass eingeweiht. Ich habe, als wir 1997 mit Afroschnitzel begonnen haben, Hip-Hop, Soul, Jazz und afrikanische Musikrichtungen gehört – Künstler wie Fela Kuti, Ebo Taylor und Tony Allen. Moritz hatte einen Akai-Sampler, und wir haben von Platten Beats und Clicks genommen, ich habe als MC dazu gerappt.

Inwiefern spielen Hip-Hop, Soul, Jazz und afrikanische Musikrichtungen immer noch eine Rolle für dich, etwa auch bei deinem Soloprojekt Ayotheartist?
Meine Musik ist natürlich von Stilen, die es am afrikanischen Kontinent gibt, beeinflusst. Das inzwischen als World Music vermarktete Genre Afrobeat ist eine Abzweigung vom Afrobeat, den Fela Kuti geprägt hat. Wir haben in Westafrika das Trommelinstrument Dundun, das bedeutet sprechende Trommel. Sie wird als eine Art Nachrichtenübermittlung für Gedichte, Gebete und so benutzt. Für mich ist es ein einfaches Instrument, mit eigener Sprache und Tönen. Ich würde sagen, diese Trommel ist wie ein Wappen für meine Musik.

Die EP Melanin Cadence, die du als Ayotheartist herausgebracht hast, trägt das dunkle Hautpigment im Titel. Und auf der Nummer Yirapada hört man jemanden über Landraub, Sklaverei und Genozid sprechen. Würdest du sagen, es gibt immer einen politischen Aspekt in deiner Musik?
Absolut. Ich finde es extrem wichtig, dass Musik, die wir machen, etwas zu sagen hat. Es muss aber nicht immer Politisch mit großem P sein. «Yirapada» ist ein Wort in meiner Muttersprache Yoruba. Es bedeutet, etwas nimmt eine Wendung. Die Person, die darauf spricht, ist Ken Saro-Wiwa, er war Poet und politisch aktiv für seine Volksgruppe, die Oguni in Nigeria. Er hat sich gegen Shell gestellt, denn da, wo er her ist, gibt es Ölressourcen. Das hat Shell nicht gepasst. Er wurde schließlich zum Tode verurteilt und gehängt. Die ganze EP ist ein Tagebuch, mein eigenes Tagebuch über Nigeria und die Komplexität, die damit zusammenhängt. Erst jetzt merke ich, dass Leute, die sich das anhören, Parallelen ziehen, etwa zu «End SARS», also dem Aufstand, der heuer passiert ist (Anm.: eine Protestbewegung gegen Polizeigewalt in Nigeria). Historische und politische Elemente werden in meiner und anderen afrikanischen Kreationen immer relevant sein, das ist nicht einfach ein Trend.

Du bist in Nigeria geboren, nach Wien gezogen, dann in Tschechien in die Schule gegangen und hast schließlich in London Schauspiel studiert – was hat dich geprägt?
Ich bin mit neun Jahren nach Österreich gekommen. Dann war ich in der Hauptschule in Floridsdorf, das war keine multikulturelle Umgebung. Es gab sehr viele rassistische Auseinandersetzungen und Schlägereien, das Klima war nicht gut für Ausländer – das ist immer noch so, aber ich denke, es bessert sich etwas. Meine Eltern haben dann von dieser internationalen Schule in Tschechien erfahren, die war sehr multikulti. Aber man muss bedenken, das war 1995, also rund fünf Jahre nach dem Ende des Kommunismus. Für mich war das ein Schock, ich dachte, ok, Floridsdorf ist zwar arg, aber hier: Noch die alten Skodas, und um drei Uhr gab es die «Happy Hour», da hörte man immer kommunistische Werbung. Meine Schwester und ich waren unter den einzigen Afrikanern, es gab fünf im ganzen Internat. Die Menschen haben noch nie Afrikaner gesehen, außer vielleicht im Schwarzweiß-Fernsehen. Ja, da könnte man Geschichten drüber schreiben.

War es dennoch weniger rassistisch als in Österreich?
Also es war eher diese Neugier, nicht so diese «Ausländer raus»-Mentalität, sondern eher so: «Um Gottes willen, wie schaust denn du aus?» Ich weiß noch, wir hatten Fasching, ich habe mich als Dennis Rodman verkleidet und mir die Haare blondiert. Die Leute sind ausgeflippt. Ein Afrikaner mit blondierten Haaren, ich glaube das war zu freaky für die, die haben’s nicht gepackt. Und natürlich mussten wir dauernd erklären, dass man unsere Haare nicht ungefragt anfassen darf. In London war dann sozusagen mein Erwachen. Dort habe ich Schauspiel und Kunst studiert und 15 Jahre gelebt. Es gibt so viele multikulturelle Facetten, du hast die karibische Community, die nigerianische, die türkische, eine starke indische Community und so weiter. So habe ich mein kulturelles Erwachen auch in Hinsicht auf die Musik gehabt, denn London ist natürlich führend in Bezug auf Musik.

Aus welchem Grund kommt man von London dann wieder nach Wien?
Die Frage ist der Klassiker, aber es ist auch eine berechtigte Frage. Ich habe in London viel als Schauspieler gemacht, im Theater, Fernsehen etc., habe supertolle Freunde gefunden, Erfahrung gesammelt, aber irgendwann dachte ich: Der Lebensstandard ist nicht vergleichbar mit Wien. Für jeden ist das anders, aber für mich persönlich musste ich irgendwann realisieren: Jetzt ist es noch ok, aber wenn ich 40, 50 und älter bin, wie soll es dann ausschauen? Und da habe ich gedacht, na gut, wenn ich die österreichische Staatsbürgerschaft habe, habe ich auch ein Recht darauf, das Beste rauszuholen. Vor sechs Jahren bin ich also wieder nach Wien gezogen. Es war schwer – deswegen bin ich ja so lange weg gewesen. Das Positive daran ist, dass ich schon eine Änderung bemerkt habe, es gibt eine neue Generation. Früher in den 90er
Jahren war Rock der rebellische Standard, aber man merkt, dass sich auch die Trends ändern in Bezug auf Musik.

Inwiefern haben sich die kulturellen Trends in Österreich geändert?
In den 90ern gab es «Black Music» als Label im Virgin Megastore, irgendwo ganz klein. Aber jetzt, wo die amerikanischen Kollegen immer weiter expandieren, was man in der Hip-Hop-Kultur besonders gemerkt hat, wird es differenzierter und geht über Grenzen.

Wie ist es für dich als Musiker und Künstler, in Wien zu leben?
Also klar, Österreich braucht immer ein bisschen länger als manche anderen Länder, um nachzukommen. Es mangelt an Offenheit und Möglichkeiten. Das Schöne an Musik ist, wenn ich mit jemandem aus dem afrikanischen Kontinent kollaborieren will, schicken wir uns einfach digital Sachen. Da denke ich – auch durch die Pandemie gepusht –, werden wir mehr und mehr Investitionen sehen. Aber in Bezug auf die Musik selbst fehlt es für mich an Respekt für People of Color. Die Top 10 Hip-Hop-Künstler in Österreich sind alle weiß, aber es gibt viele Künstler of Color hier, die die Musik viel mehr mit ihren Wurzeln verbinden.

Ist es eine Idee vom Musik- und Kunst-Kollektiv Sounds of Blackness, da dagegen zu arbeiten?
Nein, dagegen ist nicht das richtige Wort, denn wir sind alle sehr bei uns. Wir feiern Musik, die aus der afrikanischen Diaspora kommt. Und weil wir das feiern, laden wir andere Leute natürlich ein, mit auf diese Reise zu kommen, aber es geht nicht um die anderen, sondern um uns. Das Problem ist, dass einige seit langem in der Szene etablierte Non-Black DJs sagen: «Warum heißt das Sounds of Blackness, das ist ja eine Begrenzung. Warum sagt ihr nicht einfach, dass es Multikulti ist?» Ich sage darauf: «Es ist nicht meine Verantwortung, etwas für dich zu erklären, damit es für dich schön verpackt ist. Es ist deine Verantwortung, du musst die Initiative ergreifen und recherchieren.» Der Gründergruppe, also Tonica Hunter, Rajanish Das, Thiago Rosa und mir, geht es darum, die Community von People of Color und auch die LGBTQ+ Community zu feiern.

Wie offen ist das Wiener Nachtleben diesbezüglich?
Meiner Erfahrung nach sind die Gatekeeper die Clubbetreiber, die haben ihre Stammkundschaft, und das sind viele Non-Black People. Wenn es zu Streitereien kommt, dann sind immer die Black People schuld, und es wird gesagt: «Ihr kommt nächstes Mal nicht rein.» Dann wird ein Black-Music-Abend gemacht, und Black People kommen nicht rein. Es gibt auch sehr viele Non-Black DJs, die zwar von Schwarzer Musik profitieren, aber nicht genug Arbeit machen, um sich dafür einzusetzen, dass es mehr Diversität gibt und dass alle willkommen sind.

Du bist ja auch als Schauspieler aktiv. Welche Rollen spielst du da am liebsten?
Mich ziehen immer wieder Menschen an, die eine komplett andere Wahrnehmung haben als ich. Als ich in Großbritannien mein Studium abgeschlossen habe, war das Problem, dass ich eine Minderheit war, und wir hatten Shakespeare, Marlowe, all diese großen, weißen Schriftsteller. Aber Schwarze Schriftsteller und Storys wurden nicht umgesetzt. Ich hatte dann 2006 die Möglichkeit, mit einer Schauspieltruppe, in der fast alle Schwarz waren, zu arbeiten. Es war sehr erfrischend, mit Schauspielern zu arbeiten, die aussehen wie ich. Und dass wir unsere Storys selbst erzählen. Es ging um eine Geschichte aus Kapstadt, und klar, ich bin kein Südafrikaner, aber der Punkt, den ich machen will, ist: Wir müssen mehr in Rollen sein, in denen wir uns spielen können. Ich kann keine weiße Person sein, das ist nicht meine Realität. Als Schauspieler ist es aber unsere Verantwortung, unsere Realität zu zeigen.

Schwarze und Schauspieler_innen of Color berichten öfters, dass sie in Film und TV oft mit Klischeerollen besetzt werden. Als Kriminelle etwa. Wie ist da deine eigene Erfahrung?
Natürlich, das kenne ich. Aber langsam ändert es sich, durch Menschen wie die Schauspielerin und Autorin Marie Noel oder Malina Nwabuonwor, Nancy Mensah-Offrei, David Wurawa, die auch Schauspielerinnen und Schauspieler sind, und andere aus der Community, die diese Paradigmen brechen. Die sagen: Anstatt dass wir uns für Rollen bewerben, schreiben wir unsere eigenen Rollen. Und das, glaube ich, ist der Weg nach vorne.

Du hast ja auch selbst als Regisseur gedreht.
Ja, ich habe vor einigen Jahren den Kurzfilm Spiral gedreht, der hat ziemlich gute Reviews bekommen. Aber wir brauchen viel mehr Stories, die mutig erzählt werden. Auf Plattformen wie Tik Tok und Instagram merke ich, dass wir in einer Zeit sind, in der es so viele Schwarze Influencer gibt, und so viel, was viral geht, prädominant von Schwarzen Menschen kreiert wird. Aber sie werden oft nicht gecreditet, sondern weiße Menschen machen es viral. Jetzt sagen sich viele: Ok, wie können wir auch selbst davon profitieren?

War das Performen schon immer dein Wunsch?
Ich höre immer wieder so Storys: «Ah, ich weiß noch, als du ein Kind warst. Sobald du Musik gehört hast, bist du auf der Couch herumgesprungen.» Also diese Aktivität sucht einen schon aus. Ich hatte natürlich auch Glück, dass meine Eltern mich sehr unterstützt und gesagt haben: «Sohn, egal, was du machen willst, schau, dass du das studierst!» Dafür bin ich dankbar. Jetzt im Lockdown haben so viele Leute Depressionen, aber ich bekomme immer wieder Rückmeldungen von Freunden, die sagen: «Ayo, ich höre mir gerade deine Musik an», und das hilft ihnen, für einige Zeit wiederbelebt zu sein. Ich glaube, man darf nicht unterschätzen, wie sehr die Kreativität, die ganze Kreativbranche, essenziell ist. Leider ist unsere Regierung voller Menschen, die nicht so einen Zugang dazu haben. Da entscheiden Menschen, die das nicht verstehen und den Wert darin nicht sehen.

Würdest du also sagen, dass eine Gesellschaft ohne Kunst und Musik auch nicht leben kann?
Absolut. Ob es die Graffitis von Neandertalern sind oder Musik von heute: Das sind die Sachen, die uns überleben.

ayotheartist.bandcamp.com
Afroschnitzel: afroschnitzel.org
Sounds of Blackness: sobvienna.com

Indigo Xmas. II, Ayotheartist, Album, Dez. 2020

Harmattan – Radioshow mit Ayo Aloba. Musik aus
Subkulturen von der afrikanischen Diaspora:
o94.at/programm/sendereihen/harmattan