«Man lernt von Kindern»vorstadt

Lokalmatador

Anna Leder setzt sich unermüdlich für eine höhere Wertschätzung der Pfleger_innen ein.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Mit einem Lächeln nimmt sie ihr Mobiltelefon aus der Tasche. Niemand hat sie angerufen. Ihr Lächeln gilt einer entspannten Schwanen-Mutter, die soeben mit ihren fünf Jungen am naturnahen Ufer des Floridsdorfer Wasserparks vorbeischwimmt.
Die Jungen! Sie waren ihr immer schon wichtig, die eigenen zwei Kinder ebenso wie all jene, die während ihres gesamten Berufslebens buchstäblich durch ihre Hände gegangen sind.

Glücklich.

«Ich hatte das große Glück, dass ich immer einen Sinn in meinem Beruf gesehen habe, und dass mich die Arbeit mit den Kindern nie erschöpft hat», sagt die Jung-Pensionistin Anna Leder im Wasserpark rückblickend. Sie selbst ist ein Kind des Gemeindebaus, aufgewachsen dort drüben, in einem traditionsreichen Revier Transdanubiens, im Paul-Speiser-Hof, als Jüngste von vier Geschwistern. Der Vater war Kommunist, die Mutter Religionslehrerin, für sie kein Problem: «Beide hatten immer das Ziel vor Augen, die Welt ein Stück besser zu machen.» Auch Anna Leder wollte und will das noch immer. Ihre Geschwister wurden Ärzt_innen, auch sie tendierte bald in Richtung eines medizinischen Berufs: «Nach der Matura und meiner Ausbildung zur Physiotherapeutin habe ich begonnen, in Krankenhäusern zu arbeiten, die letzten 25 Jahre durchgehend im Sankt-Anna-Kinderspital, mit krebskranken Kindern ebenso wie mit Säuglingen.»
Seit Oktober 2020 ist sie im Ruhestand, aber keineswegs untätig. Eine verlässliche Anpackerin wie sie ist überall sehr gefragt.

Autonom.

Dennoch findet sie jetzt öfters Zeit, ihren Blick einfach nur auf die Alte Donau zu richten und ihren Gedanken zu folgen. Über ihren Beruf als Kinderphysiotherapeutin, den sie weiterhin stundenweise in freier Praxis ausübt, sagt Anna Leder: «Man lernt von Kindern, dass sich Menschen alles selbst beibringen können, sofern man ihnen den Raum und die Zeit dazu lässt. Man spielt mit ihnen, und sie sind total neugierig, wollen experimentieren, imitieren, autonom werden.» Die Emanzipationsversuche der Kinder korrespondieren mit dem politischen Verständnis der Anna Leder, Prozesse der Selbstermächtigung und der sozialen Fantasie zu unterstützen. Schön ist für sie auch, «dass ich bei meiner Arbeit mein Hirn, mein Herz und meine Hände einsetzen kann». Von Anfang war die im Jahr 1960 Geborene Therapeutin und Aktivistin im Pflegebereich. So engagiert sie sich schon als junge Mitarbeiterin für eine selbstorganisierte europaweite Bewegung, die versucht, die von gefühlskalten Kostenrechner_innen vorangetriebene Aushöhlung der Gesundheitsversorgung für alle zu verhindern. «Das ist uns leider nur zum Teil gelungen.» Es ging und es geht um sehr viel Geld: «Seit Ende der 1980er-Jahre werden Krankenhäuser nicht mehr nach Belegtagen, sondern nach Fallpauschalen finanziert, was in der Praxis bedeutet: Je mehr Fälle sie abarbeiten, je schneller sie Patient_innen entlassen, desto besser ihre Ausfinanzierung. Krankenhäuser werden damit zu Fabriken.» Anna Leder hat als Therapeutin immer ein anderes Ziel verfolgt: «Mir geht es darum, mit den Patient_innen gemeinsam und mit meinen Kolleg_innen ganzheitlich zu arbeiten, ohne Zeitdruck, ohne Mangel an Pflegepersonal, ohne Unterbezahlung, ohne Gefahr, ein Burn-out zu erleiden.»

Preisgekrönt.

Seit gut einem Jahr engagiert sich Anna Leder auch in der IG 24, einer Interessensgemeinschaft für die 24-Stunden-Betreuer_innen. Anders als Gewerkschaft und Wirtschaftskammer drängt die IG darauf, die prekären Arbeitsverhältnisse der Betreuer_innen endlich abzuschaffen und ihnen jene finanzielle Wertschätzung zu gewähren, die ihnen zusteht. Vor kurzem durfte die Mitbegründerin der IG in Wien stellvertretend für ihre Kolleginnen den ersten Preis der «Sozialmarie» entgegennehmen: «Eine schöne Bestätigung für unsere bisher geleistete Arbeit.» Vor allem Frauen aus Osteuropa haben sich der Initiative angeschlossen. Ihre beiden Kolleginnen, eine aus Rumänien und eine aus der Slowakei, haben viele persönliche Erfahrungen protokolliert: «Über Ausbeutungsverhältnisse durch Vermittlungsagenturen, unmenschlich lange Arbeitszeiten, widerwärtige Situationen bis hin zu sexuellem Missbrauch an ihren intimen Arbeitsplätzen.»
Ihr Engagement in der IG 24 fällt ihr nicht schwer, sagt Anna Leder am Ende im Wasserpark: «Als ich gehört habe, dass es da eine Gruppe gibt, die sich traut, sich zu wehren, war für mich sofort klar, dass ich da Zeit und Energie reingeben möchte. Erfolgversprechender Widerstand ist nur möglich, wenn sich Menschen, die sonst keine Stimme haben, selbst organisieren.»

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