(Manche) Beschwipste Nächte halten langeArtistin

… in Sachen Jubiläum, in jubelfreien Tagen

Feuchtfröhlich auf den Weg gebracht, bewegt sich Siluh Records seit 15 Jahren. Und wie! Ein substanzielles Wiener Indie-Label
mit eindrucksvollem Programm. Text: Rainer Krispel, Foto: Mario Lang

Culk klingen durch einen Raum, der mich jetzt lange halten muss. Begierde/Scham, ein eindrucksvoller, beklemmender, gleichzeitig befreiender Album-Opener. Vor den Fenstern liegt ein frühlingshaft sonnenlichtsatter Innenhof, menschenleer. Zwei Stunden später gibt der arme Erfüllungsgehilfe der verbotsgeilen Hausverwalterin Absperrband um Spielplatz und Bäume, sehr beruhigend und deeskalierend. «Lähmung setzt ein, ohne schreien, niemand da, niemand, der schweigt, niemand, der bleibt.» (Faust)

I brauch ja ka Göd.

Dieser Satz von Bernhard Kern, Siluh-Records-Betreiber, steht im Notizblock mit der Mitschrift unseres Telefonats. Ich höre dabei noch das Lachen in der Stimme des Vierzigers. Er war ab 1998 bei der Band Jugendstil an der Gitarre und hat sein Label 2005, gegründet mit dem Schauspieler und Musiker Robert Stadlober, ins Leben gerufen, um eine Vinyl-Single von Gschu zu veröffentlichen. Berauscht, auf einer Party, (auch) von der Musik, den Möglichkeiten, waren Robert und Bernhard einig, dass das riesengroß werden muss. Riesengroß wird meistens wenig, aber Siluh Records hält 15 Jahre später mit dem neuen Bulbul-Album Kodak Dream bei 94 Katalognummern, wobei Vinyl und CD-Versionen jeweils eine eigene Nummer haben. Robert widmet sich anderen Dingen, Bernhard macht seit 2009/2010 «ernst» mit dem Label, «mit Buchhaltung und so weiter». Einen hilfreichen Impuls gab eine Departure-Förderung, sein Büro betreibt Bernhard Kern als zu besuchenden Laden, wo eigene Releases und die befreundeter Labels direkt zu erwerben sind, zusätzlich arbeitet er in der Musikpromotion, und findet so ein – siehe oben – hinreichendes Auskommen. Was, so wie womöglich das Labelfest zum Jubiläum am 16. 4. im WUK mit Culk, Dives, Half Girl und Jolly Goods, und die Erwerbs/Lebenssituationen vieler Musiker_innen dieses Umfelds, in Frage gestellt ist. Weil die Einnahmen (Gagen, Direktverkauf …) durch die Veranstaltungen verunmöglichende Reaktion auf den Coronavirus komplett wegbrechen. Vorerst sieht er das – jahrelange Übung – gelassen, freut sich, dass digital doch immer wieder etwas geht (etwa bei der seit sechs Jahren aufgelösten Band Francis International Airport), und arbeitet mit der Plattform Signale an einer politischen Aufladung von Musik, 2020 ohne großes Fest, dafür mit Workshops zu Awareness und Safe Spaces.

Verschließ’ mich bis dann.

Als mensch sich noch frei bewegte, trafen die Musikarbeiter Sophie Löw (Stimme, Gitarre, Synth) von Culk (Johannes Blindhofer, Gitarre, Benjamin Steiger, Bass und Gitarre, Christoph Kuhn, Drums), die 2019 ihr gleichnamiges Debüt bei Siluh veröffentlichten und geplanterweise im WUK bei der Jubiläumssause als Teil eines beachtenswert selbstverständlich frauenlastigen Line-ups spielen sollen. Die 24-Jährige lebt und arbeitet (als Grafikdesignerin) seit Jahren in Wien, bejaht das feministische Selbstverständnis ihrer Band-Arbeit («auf jeden Fall!»), von den Männern mitgetragen. Dabei nahm der Text des Album-Openers Begierde/Scham mit einem Roman von Simone de Beauvoir seinen Ausgang. Themen, die Sophie Löw beschäftigen, finden ihren Niederschlag sowohl in ihrer optischen Arbeit als auch in ihren deutschen und englischen Lyrics («ich habe schon als Kind Texte geschrieben»), die im Herzen einer Musik stehen, die als abstrakter, raumgreifender Postrock/Pop zu beschreiben wäre. Wobei sich die Band nach Möglichkeit dem beliebten «Wir-Hören-Und-Mögen»-Assoziationsspiel verweigert. Ihr Name ist dazu passend ein geschöpftes Wort. Die Härte, Kühle und Klarheit von Culk korrespondiert mit ihrem Sound, der, wenn mensch sich darauf einlässt, Zärtlichkeit und Wärme entwickelt und ausdrückt. Sophie und Culk wollen dezidiert mit ihrer Kunst nicht über oberflächliche Dinge sprechen, wollen gleichzeitig nicht zu platte Signale schicken. Aktuell arbeitet das Quartett am zweiten Album, bei dem laut Sophie die Texte noch mehr Raum einnehmen werden und mit dem sich – in einer hoffentlich zumindest bezüglich des Virus genesenen Welt – hier gerne beschäftigt werden soll, weil die Substanz von Culk, die Balance von Form und Inhalt, die Reflektiertheit des Tuns schon jetzt beeindrucken.

Culk: Same (Siluh Records)
Siluh Records
Wallensteinstraße 4/5, 1200 Wien
www.siluh.com