Manifest gegen die Wohnungsnottun & lassen

Sachbuch: Deutschland ohne Dach

«Als Einkäufer für Fliesen und als Baustellen-Kontrolleur habe ich schon einiges gesehen. Aber damals bin ich überall durchgerauscht, hab nie angehalten. Habe mir nie die Sehenswürdigkeiten rechts und links der ­Straße angeschaut. Arbeit, Leistung, Umsatz, ­Termine, da war kein Platz für Freizeit.» 2012 ist ­Markus dann nochmals ­losgefahren. An ­einem Tag, als der Tod seiner großen ­Liebe plötzlich in ihm hochkam. Er hat all die Stränge zu seinem vorherigen Leben gekappt und ist aufs Fahrrad gestiegen. Nach zwei Wochen schon sei ihm das Geld ausgegangen. Ab da war Markus auf der ­Straße, vier Jahre lang.
Diese Geschichte ist eine von vielen, die im Buch Deutschland ohne Dach Platz finden. Es zeigt vermeintlich ungewöhnliche Schicksale der Wohnungslosigkeit: Asylwerbende ohne Unterkunft, Frauen ohne Wohnung, rumänische Roma, welche ihre Kinder und eine Transsexuelle, die ihr Haus zurücklassen musste/n. Das Buch erzählt aber auch die Geschichte von Jürgen, einem Armutsaktivisten ohne eigenes Obdach.
Wohnungslose bekommen Gesichter, Geschichten und manche von ihnen auch Handlungsmacht. Das ganze Buch ist Ergebnis von Selbstermächtigung, auch ­einer der Herausgeber:innen hat Erfahrung mit Obdachlosigkeit. Damit wird Deutschland ohne Dach zum Manifest gegen die Wohnungsnot, vereint viel Trauriges und Ermutigendes zugleich.

Richard Brox, Sylvia Rizvi, ­Albrecht Kieser (Hg.): ­Deutschland ohne Dach. Die neue Obdachlosigkeit
Rowohlt 2023
288 Seiten, 13 Euro