Margaretas Profession oder: Arbeit macht das Leben süßDichter Innenteil

Arbeit macht das Leben süß, Faulheit stärkt die Glieder, denkt Margareta oder muss sie denken. Was für ein dummer Spruch, und doch kann sie beiden Sentenzen etwas abgewinnen, überlegt sie weiter, während sie ihre schwarze Franzosenkappe zurechtrückt, die sie seit mehr als zehn Jahren Winter für Winter und Regentag für Regentag mit Gleichmut trägt, ebenso wie ihre grauschwarzweiße Beutelhandtasche, die – zugegeben – nicht ganz so alt ist, aber nun auch schon ein paar Jahre den Dienst an ihrer Hüfte versieht. 

Margareta versieht ihren Dienst als Produzentin von Texten aller Art, dafür hat sie sich eine perfektionistisch zu nennende Grundhaltung zugelegt, was ihr in ihrem bisherigen Leben ebenso förderlich wie abträglich gewesen ist, und sie hat sich an ihren Perfektionismus gewöhnt wie an ihre Franzosenkappe, ihre Beutelhandtasche und die dummen Sprüche, und Margareta findet, sie lebt gut mit ihrer Franzosenkappe, ihrer Beutelhandtasche, ihrem Perfektionismus und den dummen Sprüchen.

Gut oder zumindest auf eine Weise, die ihr erträglich ist, denn auch wenn sie ab und an danach sucht, hat sie noch immer keine andere Kopfbedeckung oder Tasche gefunden, die ihr besser stünde oder praktikabler in der Verwendung wäre als ihre Kappe und ihre Tasche, und das gleiche gilt für ihren Perfektionismus, der ihr für die Arbeit, die im Leben zu tun sie sich entschieden hat, nur ebenso zugute kommen kann wie auch die dummen Sprüche.

Margareta wirft einen letzten Blick in den Spiegel und kontrolliert den Sitz der Franzosenkappe, bevor sie sich aus ihrer Wohnung an der bezeichnenden Adresse «Einsiedlerplatz» hinaus in die Welt wagt, was sie so selten wie nur möglich tut, ja Margareta hat das Innen schon immer dem Außen vorgezogen, und das mag auch ein Grund dafür gewesen sein, warum sie, als sich auch für sie die Frage, mit welcher Arbeit sie ihr Leben bestreiten wollte, gestellt hat, beschlossen hat, ihr einziges Talent in die Waagschale zu werfen, um dem Markt als freie Textproduzentin in der Einsiedelei ihrer Single-Wohnung so zu dienen, dass auch für sie Miete, Gas, Strom, Lebensmittel und ab und zu ein neues Kleid dabei herausschauen, wie man so sagt, eine neue Tasche oder Kappe hingegen nicht, nein, das nicht.


Ein sogenannter Wissenschaftspapst



Arbeit macht das Leben süß, sagt sich Margareta verbissen vor, als sie die Wohnungstür hinter sich schließt, um den Weg zu ihrem Termin mit einem so genannten Wissenschaftspapst anzutreten, einem eitlen Mann, den sie in ein Gespräch verwickeln will oder soll, auf dass er ihr möglichst interessante Details aus seiner zweifellos hochbezahlten Tätigkeit an der Universität erzähle, die sie dann wiederum kraft ihres unbestreitbaren Talents zu geschliffenen Worten machen wird, Worten, die sowohl dem eitlen Wissenschaftler als auch Margaretas peniblem Auftraggeber so zu Gesichte stehen sollen und auch werden, dass sie eigentlich unbezahlbar sind, doch Margareta weiß um den Wert der geschriebenen Wörter in der Welt, und sie gibt sich also diesbezüglich schon seit langem keinen Illusionen mehr hin.

Faulheit stärkt die Glieder, versucht Margareta sich schon an ihren Abend heranzuträumen, als sie auf der Gasse angekommen gegen Wind, Regen und Kälte ankämpfen muss, und sie ärgert sich, dass sie ausgerechnet heute mit diesem dummen Spruch, der sie nun den ganzen Tag begleiten wird, aufgewacht ist, doch andererseits weiß sie, dass der Spruch des Tages durchaus noch dümmer sein könnte, ja, darin hat sie jahrelange Erfahrung, und sie fragt sich immer wieder, woher sie all die Sprüche hat und wie unerschöpflich das Reservoir, aus dem sie gespeist werden, sein mag, doch jetzt kommt die Straßenbahn und damit Margaretas erste echte Konfrontation mit der Spezies Mensch, die zu vermeiden sie sonst so peinlich sucht.

Die Straßenbahn ist voll besetzt und kein Sitzplatz frei, Margareta presst ihre schwarzweißgraue Beutelhandtasche an ihren Körper, übt ihre Auflösung in der Menschenmasse, übersteht die Fahrt, jetzt noch ein paar Schritte, dann ist sie schon in dem respekteinflößenden Gebäude, in dem der Wissenschaftspapst residiert, ein paar weitere Schritte führen sie in das Vorzimmer seiner Wirkstätte, eine zuckersüße Empfangsdame geleitet Margareta in ein wahrhaft herrschaftliches Zimmer, hinter einem riesigen Schreibtisch thront hinter Aktenbergen der allseits gern zitierte Wissenschaftler, der die für ihn übliche schlechte Laune zu haben scheint.

Margareta kennt das, sie hat keine Angst, nicht mehr, nein, vielmehr fühlt sie sich schon jetzt gelangweilt, doch Arbeit macht das Leben süß, und Margareta packt das Tonbandgerät aus ihrer Beutelhandtasche und zückt ihre Visitenkarte, die sie ihrem nunmehrigen Gesprächspartner ein wenig frech vielleicht unter die Nase hält, und umgehend beginnt sie, ihm Fragen zu stellen.


Ungewöhnliche Satzpartikel



Der renommierte Wissenschaftler seinerseits beginnt, zunächst die Fingerspitzen seiner linken Hand mit den Fingerspitzen seiner rechten zusammenzuführen, woraufhin er seinen wohl schon ein Dutzend Mal vorgetragenen Text abspult, Margareta weiß, dass damit für sie noch nichts gewonnen ist, doch sie lässt ihn gewähren, während sie ihm kaum zuhört, sich stattdessen nur an einzelnen, aus seinem Mund fallenden Wörtern, die in ihren Ohren nachklingen, berauscht, denn selbst der sprachlich nicht allzu gewandte Wissenschaftspapst kennt zumindest einige ungewöhnliche Satzpartikel, mit denen sich im Kopf herrlich spielen lässt, und Margareta malt sich aus, wie sie daheim an ihrem Schreibtisch in ihrer Einsiedelei damit verfahren wird, denn das ist doch immer noch das schönste Spiel für sie gewesen.

Ja, Margareta versteht es, auch den Sprachlosesten Sprache zu geben, sie weiß, wie man Geplapper und Gestotter in klare Sätze verwandelt, wie man Ungenauigkeiten mit fedrigen Worten vergessen macht, ja selbst wie man eindeutiges Nichtwissen durch schöne Formulierungen kaschiert. Das hat sie für sich selbst als ihre Brotarbeit definiert, und wenn sie auch die persönlichen Begegnungen mit ihren Gesprächspartnern zutiefst hasst, so kennt sie andererseits keine schönere und angenehmere Beschäftigung als das Spiel mit der Sprache, das solchen Begegnungen folgt, und das sie für sich allein, in ihre Wortverliebtheit versunken, spielt, ohne dabei auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie schlecht bezahlt diese Tätigkeit ist, denn wenn auch so manche ihrer so zur Größe gemachten Zitatengeber ihr in tiefer Dankbarkeit verbunden sind, hat sich ihre Dankbarkeit noch nie monetär niedergeschlagen, und so lebt Margareta von den nicht mehr als bescheiden zu nennenden Texthonoraren ihrer Auftraggeber, die, nebenbei gesagt, in den langen Jahren, da Margareta diese ihre Tätigkeit nun schon ausübt, noch nie den neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten der anhaltenden Erhöhung der Güterpreise bei gleichzeitiger Minderung der Kaufkraft des Geldes angepasst wurden, doch Margareta ignoriert diese Tatsache ebenso konsequent wie sie sich darauf konzentriert, ihre Arbeit so perfekt und so schnell wie möglich zu erledigen, auf dass sie daraufhin die Zeit habe, sich jener Muße hinzugeben, die ihr, wie man eben so sagt, die Glieder stärkt, denn starke Glieder braucht Margareta, um wenigstens ab und an auf langen Wegen durch Billigläden ein neues Kleid für sich erstehen zu können, das sie dann bei den persönlichen Begegnungen, die sie so verabscheut, als eine Art Ritterrüstung zu ihrem Schutz verwendet, denn ein schönes Kleid ist immer noch in vielen Fällen Garant für Wohlwollen des Gegenübers, zumindest dann, wenn dieses männlich ist, und äußerst männlich gibt sich auch ihr heutiges Gegenüber, der Wissenschaftspapst, der nun begonnen hat, von der Mühsal seiner Arbeit zu sprechen.


Sachkenntnis und Fleiß



Die Wissenschaft an sich und seine Wissenschaft im Besonderen sei eine außerordentlich herausfordernde Aufgabe, Sachkenntnis und Fleiß seien dabei unabdingbar, und die Gesellschaft habe der Wissenschaft Dank und Anerkennung zu zollen, sagt der Wissenschaftspapst nun, und Margareta stellt sich vor, wie sie diese seine Worte in ein pathetisches Schlusswort ihres Textes fließen lassen wird, ein Schlusswort, das den Zitatengeber wie auch den Auftraggeber zu Tränen rühren wird, sie freut sich schon darauf und hat mit den Worten des Mannes auch das ersehnte Stichwort zum Abschalten ihres Tonbandgerätes und zur Beendigung des eigentlich überflüssigen Gesprächs erhalten, denn was der Wissenschaftspapst sagen würde, hat sie schon erahnt gehabt, bloß dass er nun von «überbordener Arbeit», Überlastung seiner Person und mangelndem Arbeitseifer seiner Mitarbeiter zu schwadronieren beginnt, erstaunt sie ein wenig, doch als sie ihre Sachen zusammenpackt, blitzt der dumme Spruch des Tages wieder in ihrem Kopf auf. «Arbeit macht das Leben süß», sagt Margareta mit maliziösem Abschiedslächeln und tippt sich an die Franzosenkappe, und wie aus dem Automaten erfolgt die Antwort des Wissenschaftspapstes: «Faulheit stärkt die Glieder» ergänzt er dümmlich und versteckt sich schnell hinter seinen Aktenbergen. 

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