Margarete(n) – eine MigrationsgeschichteArtistin

Elektronische Oper

Wussten Sie, nach wem der fünfte Wiener Bezirk benannt wurde? Die Kurzoper Margarete und die Reise zur Insel der Seligen klärt nicht nur ­darüber auf, sondern ist auch ein zeitgenössisches Märchen, das von Flucht und Migration erzählt. Von Andreas Fellinger (Text) und Mario Lang (Foto)

Eine Reise von Syrien nach Österreich? Da war doch etwas. Geschürte Hysterie; Ängste, die zuerst mutwillig verursacht wurden, um danach ihre messiasgleiche Beseitigung zu versprechen; ein Bundeskanzler, der mit dem gebetsmühlenartig wiederholten Unbegriff der «illegalen Migration» die blanke Menschenverachtung salonfähig machen will; ein Regierungspartner, der Menschen, die ihre Heimat verlassen, um ihr Leben zu retten, «konzentriert unterbringen» will. In Syrien werden sie vom Krieg beherrscht, in Österreich finden sie keinen Frieden.
Unter diesen Prämissen drängt sich die Namenspatronin des 5. Wiener Gemeindebezirks als historische Parallele geradezu auf: Margarete von Antiochia lebte im 3. Jahrhundert in einem Gebiet Syriens, das heute auf türkischem Staatsgebiet liegt. Sie wuchs als Tochter eines nicht-christlichen Priesters auf, wurde später christianisiert, zog sich die Feindschaft des Stadtpräfekten zu (der in anderen Überlieferungen als Drache dargestellt ist) und wurde deswegen durch Enthauptung getötet. Im Christentum gilt die posthum Heiliggesprochene als Schutzpatronin der Schwangeren und Gebärenden. Auf einer Wolke sitzend, ein grüner Drache unter ihr liegend, ziert sie bis heute das Bezirkswappen von Margareten.

Republik Reinprechtsdorf.

In der Version der gleichnamigen Märchenoper gelingt Margarete die Flucht aus Syrien, die sie auf einer abenteuerlichen Reise bis nach Österreich führt, auf die vermeintliche Insel der Seligen. Wie die Inselbewohner_innen mit ihr umspringen, ist freilich alles andere als feierlich. So viel verrät die Opernproduzentin Haldis Scheicher. Sie ist Schmuckkünstlerin und hatte einst u. a. mit AUGUSTIN-Mitbegründer Robert Sommer die Republik Reinprechtsdorf gegründet. In deren Anfangsjahren fungierte sie sogar als Präsidentin. Diese Republik, die von Scheicher als «Bürger_innen- und Kunst-Initiative» charakterisiert wird, tritt nun als Produktionsteam auf und mobilisiert für die elektronische Märchenoper so manche Aktivposten des Grätzels.
Darum wollte sie unbedingt auch das hier beheimatete «Universum Augustin» involvieren. Schließlich wurde hier die Republik Reinprechtsdorf ausgerufen, eine Verfassung erstellt und propagiert. Haldis Scheicher macht als Gründungsmotiv eine «konstruktiv-subversive», zum Teil auch dadaistische Protestaktion geltend, die sich damals gegen die Schließung der Buchhandlung polycollege und gegen den darauffolgenden lokalen Wildwuchs an Wettlokalen richtete. An derer Stelle installierte man die 1. Margaretener Bücherschank (ohne «r»). Mit einer dezenten Portion Sarkasmus kann man es durchaus zeitgemäß nennen, dass die VHS Stöbergasse, in deren Eigentum sich die genannte Buchhandlung befand, demnächst selber dem Erdboden gleichgemacht und damit ein weiterer Baustein des (ehemals) roten Wien entfernt wird. Berücksichtigt man sowohl diese illustre bis heroische Vorgeschichte als auch das Naheverhältnis zum «Universum», ist es alles andere als ein Zufall, dass der von Mario Lang geleitete Chor Stimmgewitter Augustin eine tragende Rolle in Margarete(n) spielt.

Computer-Komposition.

Komponiert hat die elektronische Märchenoper ­Alessandro Vicard, ein Sizilianer in Wien, der seit Jahren im Umfeld der improvisierten, aber auch in der klassischen und folkloristischen Musik für Aufsehen sorgt – zumeist am Kontrabass, immer öfter auch als Elektronikmusiker. Seit einiger Zeit leitet er ein eigenes Quintett (mit Irene Kepl, Stefanie Schoiswohl, Villy Paraskevopoulos und Mark Holub), ist seit Jahren im Trio mit der Perkussionistin Elisabeth Flunger und dem Trompeter Thomas Berghammer zu hören und kuratiert in seinem sizilianischen Herkunftsort Palazzolo Acreide das jährliche RARA-Festival für zeitgenössische improvisierte Musik. «Momentan bin ich aber mehr Komponist als Performer», erzählt Vicard.
Aus Versatzstücken alter und neuer Musik, aus Anklängen an Barockmusik einerseits und Minimal Music andererseits hat er aus seinem Archiv Samples am Computer komponiert, die in der rund eine Stunde dauernden Oper erklingen werden. «Meine wichtigsten Inspirationsquellen», sagt er, «waren ­György Ligeti, Antonio Vivaldi und Igor Strawinski», also sowohl zeitlich als auch stilistisch durchaus unterschiedliche Klangschöpfer. Zu gewissen polyrhythmischen Elementen der Oper hätten ihn wiederum die komplexen Strukturen inspiriert, wie sie der amerikanische Saxofonist Steve Coleman etabliert hat. Nur für die Ouvertüre habe er sich vorwiegend der Musique concrète bedient, von der manche Passagen später wiederholt vorkämen. Selber musizieren wird er indes nicht. Immerhin benötigt er seine Hände zum Dirigieren des Chors und der beiden Sänger_innen, für die er traditionelle Partituren geschrieben hat.

Märchen-Onkel und Puppendesignerin.

Sopranistin Julitta Dominika Walder hat die Titelrolle inne, Tenor Radmilo Petrović schlüpft gleich in vier Rollen. Sie kommt ursprünglich aus Polen, er aus Serbien, insofern handelt es sich, bedenkt man noch die Herkunft des Komponisten, bei der ersten Oper für den 5. Bezirk nicht nur inhaltlich um eine Migrationsgeschichte. Als zusätzliches Element zu Gesang und Schauspiel kommen Puppen zum Einsatz, gestaltet von Christine Mayerhofer, der Co-Betreiberin von ipsi-Design. Schau- und Puppenspieler Klaus Schwarz und Marion Steinbach bedienen sich aller Regeln der Kunst. Fast überflüssig zu erwähnen ist, dass ein Märchen, das etwas auf sich hält, auch eines Erzählers bedarf: Rudi Lehner, Schauspieler im Augustin’schen 11% K.Theater, übernimmt diesen Part in Margarete.
Das Libretto wiederum ist eine Gemeinschaftsproduktion der Journalistin und Historikerin Marliese Mendel mit Haldis Scheicher und Klaus ­Tschabitzer. Manfred Michalke vom Wiener Vorstadttheater – dem intergrativen Theater, in dem sich Menschen, die üblicherweise vom professionellen Kulturbetrieb ausgeschlossen sind, künstlerisch artikulieren – macht die Regie.
Einen Tag nach der Premiere am Siebenbrunnenplatz (bei freiem Eintritt) wird man eine Vorstellung im Caritas-Laden carla geben, und zwar originellerweise im Sessellager, das fürs Publikum passend arrangiert wird. … und weil die Reise zur Insel der Seligen ein Märchen ist, endet die Geschichte Margaretes etwas anders als in der historischen Realität. Mit Enthauptungen ist nicht zu rechnen, mit einem Drachen sehr wohl. Mehr wird aber jetzt noch nicht verraten, selber anschauen dient der Aufklärung – und der guten Unterhaltung.

Margarete und die Reise zur Insel der Seligen
Kurzoper in 4 Akten

Musik: Alessandro Vicard
Regie: Manfred Michalke
Eine Produktion des Vereins Republik Reinprechtsdorf

Termine:
5. Juni, 19.30 Uhr
5., Siebenbrunnenplatz,
(bei Schlechtwetter: carla, ­5., Mittersteig 10)

6. Juni, 19.30 Uhr, carla, Mittersteig

12. Juni, 19.30 Uhr
Arena Bar, 5., Margaretenstraße 117

Die Produktion von Margarete und die Reise zur Insel der Seligen ist Teil des Bezirksfestwochen-Festivals Wir sind Wien
www.wirsindwien.com

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