Maturazeit. Der Mohn und der Holler blühen einmal im Jahr, dann wenn tausende SchülerInnen für die Matura lernen und schwitzen. Die Alpträume haben jedoch immer Saison, das ganze Jahr hindurch. Alptraum Matura: Ein kollektives Trauma? Es braucht keinen Krieg und keine untergriffigen Pfarrer, es braucht keine Verletzungen und Verwundungen, um Alpträume auszulösen. Unsichtbar sind die Spuren, die in unserer Festplatte Erinnerung eingebrannt sind. Betroffen sind die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Biografien, betroffen sind jene, die die Matura geschafft haben. Sie haben an sich keinen Grund für schlechte Träume und doch stellen sie sich regelmäßig ein.Meine Maturazeit ist mehr als 30 Jahre her, 30 Mal Mohnblüte und Gräserallergie, in den letzten Jahren sind die schlechten Träume zwar seltener geworden, aber letzte Woche war es wieder einmal so weit. Ich habe geschwitzt und mir den Kopf zerbrochen, wie ich es schaffen könnte, wie ich das Unmögliche erreichen sollte, ich stand wieder kurz vor der Mathematik-Matura. Und ich hatte keine Ahnung, die Grundrechnungsarten und Prozentrechnen sind zu wenig für Integral und Kegelvolumenberechnungen. Die Matura ist nur der Beginn, denn wenn diese Mathematikprüfung nicht geschafft wird, dann ist alles was danach gekommen ist, hinfällig, alles aberkannt. Mit den Alpträumen ist man meist alleine. Irgendwann habe ich meine mathematischen Angstträume in Gesprächen mit FreundInnen und Bekannten einfließen lassen und siehe da. Eine Legion von Sisyphos-Maturanten, die immer wieder aufgerufen werden, sich in Mathematik zu versuchen, ist in Österreichs Betten unterwegs, unabhängig von der Mohnblüte. Meist ist es die Mathematik, die uns Kopfzerbrechen bereitet. Ein kollektives Trauma. Das sollte uns zu denken geben. Ich kann nicht sagen, woran es liegt, aber das wäre doch eine Studie wert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich bloß um ein österreichisches Phänomen handeln soll. Vielleicht ist es das nutzlose Wissen, das uns quält. Viele von uns brauchen die gelernte Mathematik nicht mehr, vielleicht ist es das, das uns beschäftigt und beunruhigt.
Ob mein Neffe auch von der Mathematik-Matura träumen wird in fünf, sieben oder fünfzehn Jahren, das wird sich zeigen. Seine Maturaaufgaben waren keineswegs weltfremd. Das Volumen des Pokals für die Fußball-WM war zu berechnen, das Gewicht, wenn er tatsächlich aus reinem Gold wäre. Die Malaria-Erkrankungen in Afrika waren mit exponentiellem Wachstum zu bestimmen und dann war noch der Winkel des Scheinwerfers im Stadion, wo das Endspiel stattfinden wird, zu definieren, damit das gesamte Spielfeld ausgeleuchtet wird.
Und doch wäre Mathematik so wichtig in unserer Zeit, denn wie sollten wir die Geldvernichtung, die Defizite verstehen und einordnen können. Doch halt. Dafür wäre eine andere Wissenschaft notwendig, die den Zahlen eine gesellschaftliche Bedeutung wiedergibt. Denn Zahlen sind längst wichtiger als Menschen geworden. Angesichts dieser Realität sind die Matura-Alpträume fast ein wohliges Gute-Nacht-Lied.