Max und Mixnitzvorstadt

Nix außer einer Bärenschützklamm

Kennen Sie Mixnitz? Wenn nicht, dann kennen Sie auch nicht die Bärenschützklamm, was ein Bildungsschlagloch ist. Sie sollten dort gewesen sein – wie Chris Haderer (Text & Fotos).

Es gibt Ortsnamen, die man das ganze Leben nicht mehr vergisst – wenn man es geschafft hat, sie sich überhaupt einmal zu merken. Wie zum Beispiel Mixnitz. Das ist ein kleines Dorf in der Obersteiermark, an der Mur gelegen und kurz nach Bruck an derselben. Wenn Sie einen Einheimischen nach der Herkunft des Namens fragen, erhalten Sie mit großer Wahrscheinlichkeit einen kleinen Vortrag, das Wort stamme aus dem Slawischen, bloß das «X», das bleibe ein Rätsel. Warum Mixnitz wirklich so heißt, weiß also entweder niemand oder es ist so peinlich, dass es keiner sagen will. Davon abgesehen, dass Mixnitz die pure Landidylle ist, gestört von gelegentlichen Feuerwehrsirenen, ist der Ort ungefähr genau so, wie er klingt: Da ist nix. Gut, es gibt mindestens fünf Lokale, aber keine Greißlerei, keine Bäckerei, einen leicht entlegenen Würstelstand, keine Kebab-Hütte, kein offizielles Bordell, keinen Bankomaten, keinen Zigarettenautomaten.

Bekannt ist Mixnitz allerdings für die wirklich schöne Bärenschützklamm, die jährlich von etwa 40.000 Wanderer_innen durchschritten wird. Knapp 1400 Meter ist sie lang, bei einem Höhenunterschied von etwa 350 Metern. Vom Bahnhof Mixnitz bis zur Hütte «Guter Hirte» am Ende der Klamm und an der Kreuzung zur Teichalm braucht man laut Wanderkarte etwa zweieinhalb Stunden. Das stimmt, aber nur wenn Sie ein Steirer sind oder auf einer Enduro sitzen. Der Durchschnittsraucher geht etwas entspannter an die Sache heran, denn zum Einstieg müssen vom Bahnhof aus allein schon gute fünf Kilometer Botanik überwunden werden, und auch der gute Hirte hat sein Lager nicht unmittelbar am Ausstieg der Klamm aufgeschlagen. Insgesamt sind es etwa zehn Kilometer Weg in der Vertikalen und etwas über 750 Meter in der Horizontalen, die zurückgelegt werden wollen. Jede_r Kettenraucher_in wird Ihnen problemlos vorrechnen, dass sich das in zweieinhalb Stunden gar nicht ausgehen kann – schon wegen der eineinhalbstündigen Pause, die als Pflichtübung in der Schutzhütte des Alpenvereins etwa in der Mitte der Klamm absolviert werden muss. Warnung: Die Alpenvereinshütte ist durch und durch blau. Glücklicherweise ist es aber das gute Blau aus Puntigam, wo aus Hopfen und Malz ein isotonisches Getränk hergestellt wird, das den müden Wanderer_innen zwar keine Flügel, aber zumindest geschmeidige Waden verleiht.

Selfie-Sticks, Hunde und der Bergstutz.

Wir brechen im Morgengrauen auf, knapp nach halb zehn, denn es ist Wochenende, und wir wollen nicht von Tourist_innenkolonnen in unserem alpinen Ansinnen gebremst werden. Tatsächlich kugeln am Parkplatz, kurz vor dem wunderbaren Gasthof Grassauer, schon die ersten Wanderer und Wanderinnen aus einem Bus. Die meisten sind den Umständen entsprechend ausgerüstet: Sandalen, Kinderwagen und Selfie-Stick. Manche haben auch den Hund dabei, vermutlich weil Hunde bekanntlich nichts lieber tun als auf Leitern über Schluchten zu kraxeln. Nach einer knappen Stunde Forstweg, vorbei an der Aussicht auf den ältesten Baum der Gegend und dem Kaskaden-Fall, erreichen wir den Einstieg zur Klamm, wo ich von meiner Wanderwegabschnittsbegleiterin Doris mit einer Zigarette reanimiert werde. Dort bekommt man übrigens auch einen dieser wunderbaren Kühlschrankmagneten, durch die eine Wanderung erst wirklich unvergesslich wird.

Es geht aufwärts. In die Felswand hinein. Über Schluchten und Wasserfälle. Ein wunderschönes Szenario, falls Sie schwindelfrei sind. Der längste Teil des Aufstiegs auf die umgerechnet etwa 140 Gemeindebaustockwerke erfolgt über Holzleitern. Links die Schlucht, unten der Mixnitzbach, der sich durch die Klamm fräst und die Plastikflaschen von einigen Natur-Trüben in die Mur spült. In dieser Gegend soll einmal der Bergstutz gesichtet worden sein, berichtet eine Legende im Buch «50 Sagen und Geschichten aus den Tälern des Rennfelds und des Hochlantsch» von Gert Christian: «Er ist ein halbmeterlanges Tier mit Schlangenleib und Eidechsenfüßen, dass den Wanderer mit Pfauchen und Basiliskenblick erschreckt.» Wir begegnen allerdings nur einem dackelgroßen Hund, der sich mit seinem Besitzer die Leitern hinaufkämpft und ein bisserl erschöpft wirkt. Keiner hat ein Handtuch dabei.

Dann, ganz oben, kommt die Hütte «Zum Guten Hirten». Franz betreibt sie seit 25 Jahren: Ein bisschen rustikal sei es schon noch dort, wo Wolken und Berge einander umarmen und der Rest der Welt weit weg ist. Weite Wege, und die üblichen Reibereien des Menschen mit der Natur, wie beispielsweise Wasserprobleme. Aber «es kommen eigentlich immer Wanderer, auch wenn das Wetter schlecht ist», sagt er. Seit halb sechs in der Früh ist er im Einsatz, zuerst bei den Pferden auf der Koppel, dann in der Hütte. «Das muss man mögen, sonst geht es nicht.» Von Mai bis Ende Oktober ist er im Dienst, dann deckt der Winter die Gegend zu, und der Tourismus versteckt sich. Eine Jahreszeit, in der die Gegend von den Jesustretern der Feiertagsalpinen gesäubert werden kann.

Beim «Guten Hirten» darf man kontemplativ werden und sich den weiteren Weg überlegen: eine Stunde relativ flach zur Teichalm oder den Prügelweg zurück nach Mixnitz. Letzterer heißt nicht umsonst so: Früher wurde dort Holz von Fuhrwerken ins Tal gebracht – und glauben Sie mir: Hufe wären hier eine gute Sache. Beim Abstieg zeigt mir Karl, ein anderes Urgestein, die Spuren der Räder, die sich über Jahrzehnte in den Fels gegraben haben. Man spürt die Kraft und Arbeit, die das gemacht hat, im Vergleich zu unseren schmuseweichen Nike-Schritten. Aber man kommt wieder ins Tal und freut sich – wenn man unten ist – vor allem über den Gasthof Grassauer. Erfreulicherweise gibt es in Mixnitz ein gutes halbes Dutzend Lokale – die allerdings nicht immer nahe sind. Das «Bosna», per Definition eigentlich ein Würstelstand, aber mit beschwingt großen Schnitzeln, liegt beispielsweise an der Bundesstraße nach Graz. Und dass es in Reginas Eiscafé, gegenüber dem Bahnhof, hauptsächlich Pizza gibt, muss man auch von irgendwoher wissen.

Immer schon ein Durchzugsgebiet.

Abgesehen von Ausflugsbussen war die Gegend auch historisch gesehen ein ziemliches Durchzugsgebiet. Antike Funde gibt es von der Urzeit bis zur Hallstadtzeit. Etwa 200 vor Christi kamen die Kelten vorbei, 150 Jahre später dann die ersten italienischen Urlauber aus Rom. Die frühe Hochblüte des Tourismus fand 375 nach Christi statt, als der halbe Kontinent im Zuge der Völkerwanderung das mittlere Murtal besichtigte. Eine Landkarte aus dem Jahr 1678 belegt, dass Mixnitz und Pernegg (der nächstgelegene Ort mit einem Zigarettenautomaten) schon vor der Bärenschützklamm da waren. Aber auch ungebetene Gäste kamen: 1598 war es der «Schwarze Tod»; knapp 350 Jahre nach der Pest kamen dann die Nazis. Es gab Todesmärsche jüdischer Ungar_innen vom Lager Graz-Andritz nach Mauthausen, die über Pernegg und Mixnitz führten. Darüber ist in Mixnitz aber nur schwer etwas zu finden, wie in vielen österreichischen Dörfern. Eines der folgenschwersten Ereignisse für die Region fand allerdings schon viel früher statt, nämlich 1867 mit der Entdeckung von Magnesit im nahen Breitenau. Seit 1906 wird das Erz dort industriell abgebaut und verhüttet. Die Auslieferung erfolgt seit 1913 unter anderem durch eine zehn Kilometer lange Schmalspurbahn, die im Lokalbahnhof in Mixnitz ihren Endpunkt hat. Außer Magnesit werden dann und wann auch Ausflügler_innen und Tourist_innen transportiert; zu besonderen Gelegenheiten, beispielsweise wenn bei Pernegg ein Zugüberfall mit waschechten Cowboys aus der Obersteiermark geplant ist. Das älteste Relikt der Gegend ist übrigens die Drachenhöhle, die schon von den Maler_innen unter den Urmenschen (den sogenannten Stoasteirern) als Galerie genutzt wurde. Pernegg, die Muttergemeinde der Gegend, hat ihren Namen übrigen tatsächlich wegen eines Bären, der von einer beherzten Mutter, die ihr Kind verteidigte, in die Flucht geschlagen wurde. Die Burg des Geschehens wird seit damals Bärnegg oder Berneck genannt.

 

Bärenschützklamm geöffnet von Mai bis Oktober. Mixnitz ist mit der ÖBB einfach erreichbar, mit dem Auto oder auch im Kajak von Bruck die Mur entlang.

baerenschuetzklamm.at