Medienprofi MichiHeroes

Das Mozartjahr ist für ihn geschäftsschädigend

26 Jahre ist er jung, doch auf mehrere Jahre Obdachlosigkeit, teilweise gemeinsam mit der Mutter, muss Michael Sturm schon zurückblicken. Aber im letzten Winter sagte der Augustinverkäufer mit Arbeitsplatz nahe dem Musikverein dem Leben auf der Straße adieu.

Pressetermin für Michi Sturm um siebzehn Uhr in der Künstlerhauspassage am Karlsplatz, seiner Verkaufsstelle. Fotograf und Reporter verspäten sich trotz rasendem Radeln um heiße fünf Minuten, was der zu Porträtierende als leichten Affront auffasst: Noch einmal Glück gehabt, ruft er uns mit selbstbewusster, aber auch heiterer Stimme zu, um viertel fünf hätte ich in der Redaktion angerufen – Michi weiß, wie mit Pressefuzzis umzugehen ist. Tags zuvor wurde er schon vom Augustin-TV-Team zum Thema Liebe befragt, doch seine Routine im Umgang mit Medienleuten hat er sich bei der öffentlich-rechtlichen Anstalt geholt. Schon zweimal wurde er in die Barbara Karlich Show geladen, dort ist die Atmosphäre sehr angenehm, findet der Straßenzeitungsverkäufer. Und somit ist auch Lampenfieber kaum Thema für ihn – spätestens wenn er auf die Bühne gehe sei alles weg.

Medien und Sport, das sind für den Sechsundzwanzigjährigen sehr wichtige Bereiche, denn Erstgenanntes erlaubt ihm, seine Stimme zu erheben und Letztgenanntes seinen Körper. Der Twen, dessen Eigenattest lautet, zu stark zu sein, hegt einen Masterplan: Seiner Gesundheit mittels Bewegung wieder auf die Sprünge zu helfen, und zwar bei der Fußballtruppe SW Augustin. Doch dem Fußballcomeback nicht genug möchte er gleich eine volle Ernte einfahren, indem er das Team der Straßenzeitungskicker nur als Sprungbrett in den Vereinsfußballsport betrachtet.

Dieses Ziel ist in Anbetracht seiner derzeitigen körperlichen Verfassung ein verdammt hoch gestecktes, kann aber als Indikator für Michael Sturms Frühlingserwachen gedeutet werden, obwohl er aufgrund seines unterirdischen Arbeitsplatzes nicht so direkt den Jahreszeitenwechsel mitbekommen konnte. Das störe ihn aber nicht im Geringsten, denn es braucht nur zu regnen anfangen – ich stehe unter dem Dach kommt es wie aus der Pistole geschossen. Michael Sturm scheint ein großer Pragmatiker zu sein – nicht nur des trockenen Arbeitsplatzes wegen, sondern auch wegen der Nähe des Daches seiner Verkaufsstelle zu einem arrivierten Hause – nämlich dem Musikverein.

Der freieste Mitarbeiter des Musikvereins

Michis Geschäft des Straßenzeitungsverkaufes profitiert indirekt von dieser erhabenen Institution, denn ihre BesucherInnen, die mit der U-Bahn zum Hochkulturtempel andampfen, müssen auf ihrem Marsch zu den Konzerten Michi passieren. Dieses Klientel ist auch sehr gewillt, den Augustin zu kaufen, aber viel eher nach den Konzerten, vorher schauen sie griesgrämig, einige hochnasert, aber wenn sie von den Konzerten zurückkommen, dann schmunzeln und lachen sie und kaufen die Zeitung. Um zu erfahren, an welchen Tagen und zu welchen Uhrzeiten die schmunzelnden und lachenden Menschen anzutreffen sind, besorgt sich Michi das Monatsprogramm.

Sollte diese Informationsquelle versiegen, sprich verloren gehen, dann führt sein Weg direkt zur Garderobe des Musikvereins, um von den dort Arbeitenden aus erster Hand mit den heißen Infos versorgt zu werden. Michi schätzt diese Nähe zum Musikverein und seinen BesucherInnen. Die Art und Weise, wie er darüber erzählt zeigt, dass er sich eigentlich schon zur Belegschaft zählt: Ich habe gestern nur ein Konzert im Brahmssaal gehabt, aber dabei zehn Zeitungen weggebracht! Der wohl freieste Mitarbeiter des Musikvereins spart aber auch nicht mit Kritik, die ganz gezielt auf das Mozartjahr gerichtet wird. Bei solchen Monsterprojekten wird von kulturpolitischer Seite immer die Umwegrentabilität als Rechtfertigung für die hineingebutterten Unsummen herangezogen.

Doch dass jemand wie Michi Sturm durch den Mozartwahnsinn gar Geschäftseinbußen hinnehmen muss, daran stößt sich wohl niemand: Die vielen Mozartkonzerte wirken sich schlecht auf meinen Zeitungsverkauf aus. Diese Veranstaltungen ziehen besonders viele Touristen an, doch bis auf wenige Deutsche kauft natürlich niemand den Augustin.

Zu den NachbarInnen aus Deutschland hat er ein gespaltenes Verhältnis. Einerseits sind sie ab und an KundInnen, anderseits ist sein Vater ein Piefke. Diese abschätzige Formulierung benutzt Michi um mitschwingen zu lassen, dass ihm sein Vater ein Trauma verpasst hat. Doch diese unappetitliche Geschichte ist ebenso wie die Umstände für Michis Gefängnisaufenthalt nicht druckreif: Das ist abgehakt, darüber möchte ich nicht mehr reden!

Aufgewachsen ist er im 22. Wiener Gemeindebezirk bei seiner Großmutter, die ihn auch adoptierte, denn seine Mutter sei bei seiner Geburt minderjährig und nicht in der Lage gewesen, sich ausreichend um ihn zu kümmern. Aber ein Kontakt zu ihr sei noch vorhanden. Mit dem Eintritt in die Hauptschule wurden auch die Ressourcen der Großmutter überstrapaziert. Michi blieb nichts anderes übrig, als ein Internat im zweiten Bezirk zu beziehen, doch an den Wochenenden ging es immer zurück in die Pension Oma zum Wäsche waschen und so weiter. Mit und so weiter meint Michi Sturm aber nicht nur die großmütterliche Infrastruktur und Dienstleistung, sondern auch die familiäre Bande. Der Tod seiner Groß- und auch Adoptivmutter vor zwei Jahren war für ihn ein schwerer Hammer, noch dazu in einer Phase, wo Michi selbst große gesundheitliche Probleme hatte und von ihrem Tod im Krankenhaus erfahren musste. Wie Michis Krankheit genannt wird, weiß er nicht so genau, doch so viel steht fest, dass er sich leicht die Knochen brechen kann und schon als Jugendlicher ohne Aussicht auf Jobs die AMS-Batterie durchlaufen hat: Wegen der Knochenverkalkung in meiner rechten Hand kann ich kein Handwerk ausüben. Versuche in anderen Arbeitsbereichen Fuß zu fassen scheiterten ebenso. Dazu kam auch noch die prekäre Situation in seiner Familie, und somit begann Michi bereits im jugendlichen Alter, sich irgendwie durchzuschlagen: Ich lebte phasenweise sogar mit meiner Mutter auf der Straße, aber heuer habe ich mir gedacht, ich kann nicht länger auf der Straße leben, ich brauche einen festen Schlafplatz.

Barbara Karlich, die Dritte

Eingerichtet hat er sich im Februar in einem Doppelzimmer im Männerwohnheim in der Wurlitzergasse. Die Monate zuvor verbrachte er noch der Liebe wegen in Kärnten. Dieses Intermezzo in Villach währte nicht lange, doch Michi blickt nicht trübselig auf diese gescheiterte Beziehung zurück, sondern konzentriert sich nun voll und ganz auf das neue Lebensglück in seiner alten Stadt Wien, die er über alles schätzt. Den Schritt zurück in ein strukturierteres Leben betrachtet er auch als das Beste, was er hat tun können. Auf die Frage hin, was die nahe Zukunft noch an Annehmlichkeiten bringen würde, antwortet Michi Sturm nach längerem Überlegen mit dezentem Schmunzeln: Ich bin ein drittes Mal zur Karlich Show eingeladen worden. Doch wann der genaue Aufnahmetermin ist und zu welchem Thema gesprochen werden sollte, das wisse er noch nicht. Ist auch nicht so wichtig, denn für ihn scheint der olympische Gedanke Dabeisein ist alles auch im medialen Bereich seine Berechtigung zu haben.

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