«Mein Ebo ist nicht ganz perfekt»Artistin

Mussa Babapatl, 23, Kfz-Techniker, Musiker und Performer in Wien

Der Rapper, Musiker und Performer Mussa Babapatl wurde vor 23 Jahren in Yola, Nigeria, geboren. Seit 2006 lebt er in Österreich und hat noch im selben Jahr mit dem US-Starregisseur Peter Sellars sein erstes Theaterprojekt bei den Wiener Festwochen begonnen. Im Brotberuf absolviert er eine Lehre als Kraftfahrzeugtechniker am Flughafen Wien. Eva Brenner engagierte ihn für zwei ihrer Projekte: für das Straßentheater «Auf Achse» und für die Jura Soyfer-Produktion «Eine fremde Stadt». Mit seiner afrikanisch-österreichischen Band Obi Nwanne Cultural Music bringt er demnächst die erste CD «Ambassador Social Club of Austria» heraus.

Foto: Eva Brenner

Du bist seit circa zehn Jahren in Wien, machst Theater, Performance, Musik, spielst in einer Band, komponierst und präsentierst deine eigenen Songs. Woran arbeitest Du im Moment?

Derzeit mache ich meine erste CD mit «African High-Life» in Ebo, eine unserer nigerianischen Sprachen. Die meisten Lieder für mein erstes Album sind fertig. Es ist ein musikalischer Mix auf Basis traditioneller Musik, aber gemischt, so verwenden wir anstatt Trommeln Schlagzeug, Elektro-Gitarre, Triangel.

Zu welchen Anlässen wird «High Life»-Musik in Nigeria gespielt?

Auf großen Festen, bei einer Hochzeit, zum Tanzen. Wir spielen in Österreich und in Afrika, in Nigeria treten wir für verschiedene Clubs auf und dort erzählen wir mit unserer Musik deren Geschichte/n.

Bei uns im Theater hast du vor allem gerappt. Welche Art von Musik ist «High-Life»?

Weder reine Volksmusik, noch Pop, noch Jazz oder experimentell. Es ist eine Art traditionelle Unterhaltungsmusik, eurer Heimatmusik vergleichbar. Es ist auch nicht wie der Rap, den ich bei euch im Theater mache, auch nicht Reggae oder Raga. Reggae singe ich auch, obwohl das nicht meine Kultur ist; der Reggae kommt aus Jamaica, ursprünglich aber aus Afrika. Rasta – das Tragen langer Haare mit Dreadlocks – hat heilige Wurzeln; für mich ist es keine Religion, sondern ein kulturelles Statement der Solidarität. Reggae zu singen heißt für mich, die Probleme der Welt anzusprechen, auszudrücken, dass wir alle zusammen gehören, egal aus welcher Kultur, egal ob schwarz oder weiß.

Hast du Musik studiert?

Nein, bei mir kommt alles aus meinem Leben. Ich glaube, man macht Musik aufgrund der spezifischen Erfahrung, die man hat. Ich plane nicht, ich schreibe keine Musik. Es kommt zu mir, ich komponiere nicht etwas, sondern es fällt mir zu, in einem speziellen Moment, dann, wenn die Emotion für mich stimmt.

Das haben wir im Theater, besonders im interkulturellen Straßentheaterprojekt AUF ACHSE, an dem du seit 2009 mitwirkst, erlebt. Manchmal hast du spontan zu einem Thema einen Rap entwickelt.

Ja, dasselbe gilt für die afrikanische Flöte, die habe ich auch nicht zu spielen gelernt. Ich bin organisch dazu gekommen, habe eine Flöte in die Hand genommen, zugeschaut, wie man sie spielt: Und so habe ich es gelernt. Es gibt keine «korrekte Weise», die Flöte zu spielen. Wobei Rap ungleich schwerer ist, weil man sehr schnell sprechen muss, und trotzdem jedes Wort verständlich bleiben sollte.

Du hast ja auch noch einen anderen Beruf.

Ja, ich mache gerade eine Ausbildung zum Automechaniker am Flughafen Schwechat, wo ich demnächst meine Endprüfungen habe. Ich bin stolz darauf, aber das Musikmachen ist mir natürlich lieber – das ist meine Leidenschaft.

Würdest Du lieber von deiner Musik leben – ist das Deine Vision?

Nein, Kunst allein wäre mir zu elitär. Nur im Studio stehen, fände ich fad. Automechanik macht mir Spaß, ich liebe diese körperliche Arbeit, das Reparieren und Basteln. Am besten gefällt mir der Wechsel zwischen Musik dem Handwerk.

Du hast als Musiker unter anderem mit Peter Sellars bei den Wiener Festwochen gearbeitet. Wie ist das zustande gekommen?

Ich habe ihn 2006 im Wiener Integrationshaus getroffen, wo er ein Projekt gemacht hat. Ein Freund von mir hat mich Flöte spielen gehört, kannte ihn und hat uns vorgestellt. Peter Sellars wollte für sein «New Crowned Hope»-Festival im Rahmen des Mozart-Jahres Künstler_innen aus verschiedenen Kulturen engagieren. Seitdem war ich immer dabei, wenn Peter ein Projekt in Wien hatte. Aber in Österreich ist es ohne künstlerische Ausbildung schwer.

Wann bist du nach Österreich gekommen?

Im Februar 2006, mir ging es damals in Afrika sehr schlecht. Ich bin bei meinem Stiefvater im Norden von Nigeria aufgewachsen, ohne zu wissen, wer meine echten Eltern sind. Als ich mein Visum beantragte, begann ich auch, meine Eltern zu suchen. Mein Stiefvater war Moslem, alle anderen rundum Christen; er hatte Angst, dass ich umgebracht werde. Deshalb hat er mir nichts von meinen Eltern erzählt. Das Problem fing an, als ich mich wehrte, in die arabische Schule zu gehen.

Wie bist Du geflohen?

Ich habe angefangen, in die Kirche zu gehen. Ich wurde mit Messern bedroht, aber der Priester hat mir geholfen, er wollte mich schützen, ließ mich in der Kirche übernachten. Er hat mir geholfen, von dem Dorf wegzukommen; er hatte Kontakt zu jemand auf einem Schiff von Nigeria nach Europa.

Damals hatte das Flüchtlingsproblem noch nicht dramatische Ausmaße wie heute erreicht – war die Flucht schwierig für dich?

Obwohl es damals einfacher ging, war das eine schwere Zeit für mich. Die Flucht auf dem Schiff – ein normales Frachtschiff – dauerte drei Monate. Der Raum war versperrt, ich konnte nicht hinaus, nur zur Toilette, keine Dusche, und ich bekam zu essen, sonst nichts. Ich bin die ganze Zeit im Bauch dieses Schiffes gesessen und habe gewartet; ich wusste weder, wo ich bin, noch wo die «Reise» hingeht. Alles wurde so arrangiert, dass auch die Mannschaft nichts davon merken sollte, dass ich mit an Bord war. Irgendwann hat man mich aus dem Schiffsbauch befreit und in einen Zug gesetzt.

In welchem Land?

Ich weiß es wirklich nicht.

Wo bist du am Ende gelandet?

In Österreich, am Westbahnhof. Dort hat mir jemand den Weg nach Traiskirchen gewiesen.

Wie lange warst du dort?

Nur drei Wochen! Dann kam ich nach Wien ins Integrationshaus, habe dort gewohnt, Deutsch gelernt, den Hauptschulabschluss gemacht.

Wie war die Situation in Traiskirchen – einem Ort mit zweifelhaftem Ruf?

Alles hängt von konkreten Erfahrungen ab – ob Dir dort jemand hilft. Wir waren acht Leute in einem Zimmer, es gab genug zu essen. Ich hielt mich viel im Lager auf, das wurde positiv eingeschätzt. Ich wollte Deutsch lernen, habe Fußball gespielt – und hatte auch meine Flöte dabei. Ich hatte Glück, ich war nie obdachlos, nie hungrig. Anderen erging es viel schlechter.

Kann das mit Deiner Jugend zu tun haben?

Das ist möglich, ich bin mit 14 Jahren nach Österreich gekommen, jetzt bin ich 23.

Wie lief Dein Asylverfahren?

Anfangs bekam ich «negativ», drei oder viermal. Dann begann der Kampf, auch da hatte ich Hilfe von einem Anwalt, er hat auf meine Minderjährigkeit gepocht, und dass ich alleine gekommen bin.

Wann und wie ist Dir Asyl genehmigt worden?

Zuerst hatte ich «positiv» für ein Jahr, aber das wurde nicht verlängert. Danach musste ich meine Sprachkenntnisse neu begutachten lassen, um festzustellen, welche der drei Sprachen – Ebo, Yoruba oder Haussa – ich beherrsche. Man hat mir nicht geglaubt, dass ich aus Nordnigeria stamme. Nicht jeder Nigerianer spricht alle drei Sprachen, ich kann nur zwei. Mein Ebo ist nicht ganz perfekt. Was sollte ich denn machen?

Wie hast du Arbeit gefunden?

Meine Ausbildung habe ich ganz alleine organisiert. Ich wollte unbedingt lernen, hab den Chef überzeugt, mich zu nehmen, obwohl mein Asylverfahren noch im Laufen war.

Hast Du inzwischen deine Eltern gefunden?

Ja, ich habe meine Familie wieder gefunden. 1993 gab es in Nigeria Krieg, meine Eltern haben mich in dem Spital, wo ich geboren wurde, zurückgelassen und sind geflohen. Mein Vater hat die Flucht nicht überlebt, meine Mutter wusste lange nicht, ob ich noch lebe.

Wo lebt deine Mutter heute?

Sie ist in Lagos, arbeitet als Friseurin.

Wie siehst Du Deine Chancen als afrikanischer Musiker in Wien?

Es ist nicht leicht, die Chancen sind gering, selbst im Sport. Ich war immer ein guter Fußballer, spielte u.a. in einem bekannten Wiener Club, der eine Einladung nach Italien bekam. Dafür benötigte ich einen einmonatigen Fremdenpass – aber die Antwort der Fremdenpolizei war: staatenlos!

Welchen offiziellen Status hast du im Moment?

Zuerst beantragte ich einen nigerianischen Pass, jetzt habe ich eine Rot-Weiß-Rot-Karte mit Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung. Ich darf in Österreich leben und arbeiten; aber nur hier.

Was sind Deine Zukunftsperspektiven?

Ich bin schon acht Jahre hier. Demnächst werde ich einen österreichischen Pass beantragen. Ja, ich möchte hier bleiben, ich lebe gern hier, habe eine Freundin, fühle mich integriert. Und mit meiner Musik geht’s aufwärts – wir spielen jetzt hier und in Afrika.

Sprechen wir abschließend über unsere gemeinsame Arbeit in der «Fleischerei»: Hattest Du Probleme, Dich in dieses europäische, experimentell-politische Ensemble einzufügen?


Das war von Anfang an ein erstaunlich positives Erlebnis für mich. Ich kannte diese Art der künstlerischen Arbeit nicht, konnte da viel lernen. Vor allem aus dem Probenprozess, in dem es ständig um Entwicklung und Veränderung geht. Ich hatte die Möglichkeit, mit Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen zusammen zu arbeiten, auf der Straße zu improvisieren, die Angst vor dem Performen und dem Publikum zu verlieren. Das war eine große Motivation für mich.

Die Fragen stellte Eva Brenner.