Marketing bleckt die Zähne und Jungfrauen opfern sich freiwillig
Ich stehe da mit meinem Brot, mit einem Gorgonzolabrot und das Glas Burgunder im Blick und die andere Hand im Hosensack. Was tut sie dort? Nein, ich bin nicht Bloom und sitze nicht am Strand. Ja, ich habe etwas Besonderes in der Hand. Was, sie wissen es natürlich: eine Zitronenseife von Sweny.
Ich habe meine Aufgabe erfüllt, ich bin hier ein Produkt des Bloomsday. Heute ist alles ganz leicht, auch wer nicht in Dublin ist, kann ganz schnell die Spur von Leopold Bloom, die James Joyce gelegt hat, aufnehmen und dank des Internets sind die Bezüge ganz leicht gefunden und das Buch muss nicht einmal richtig gelesen werden. Wir begehen zum ersten Mal den Bloomsday hier in der Volkshochschule Hietzing, es ist auch mein erster Bloomsday, und ich bin mir nicht sicher, ob es vielleicht nicht auch der letzte sein wird, wenn ich ehrlich bin, ganz ehrlich, nüchtern ehrlich, was ja an diesem Tag nicht so einfach ist, denn Alkohol gehört ganz entscheidend dazu, viel Alkohol, irisch viel, und das ist mehr als heurigenviel bei uns. Das nüchterne Nachdenken über den Bloomsday hat mir einiges klar gemacht und neue Fragen aufgeworfen: Sind alkoholisierte Iren literarischer als alkoholisierte Österreicher. Da bin ich mir nicht so sicher, auf jeden Fall, eines weiß ich ganz genau, Wein und Literatur, das will ich nicht. Ich mag Wein und ich mag Literatur. Aber wenn ein Winzer einen Wein für einen Autor keltert und wenn alle im Weinkeller sitzen und zuhören. Da wird mir schummrig, ganz ohne Gärgase. Ich rede über etwas, dass ich nicht miterlebt habe, aber ich muss ja auch kein Haus bauen können und darf trotzdem die Architektur kritisieren. «Wein und Literatur» ist eine Veranstaltungsreihe, eine erfolgreiche Reihe mit vielen BesucherInnen in meiner Geburtstadt Krems. Ich kann dort aber nicht hingehen. Ich halte das nicht aus. Literatur und Geschwätzigkeit, das passt nicht, aber sicher ist da auch noch viel mehr dahinter, was mich abhält, doch das ist eine andere Geschichte.
Aber bitte, was hat das alles mit dem Bloomsday zu tun? Weil auch an diesem Tag viel getrunken wird? Nein. Joyce, der war schon weit und hat viel vorweggenommen, mit seinem Ulysses, da ist ihm etwas geglückt, nur einen Tag im Leben eines durchschnittlichen Mannes zu beschreiben und das auf 1500, oder sind es fast 1600 Seiten. Warum soll ich mir das antun? Einen Tag zu porträtieren und diesen Tag dann auch noch zu feiern im Nachhinein, das ist schon eine weitblickende Idee. Angeblich soll ja James Joyce der Erste gewesen sein, der den Bloomsday begangen hat, nicht in Dublin, aber am 16. Juni 1929 in Paris, wo er ein Hotel Leopold entdeckt hat. Und Beckett war auch dabei und so betrunken, dass er in einer Toilette vergessen wurde. Bei uns können sie sich in Bernhard und Jelinek und Kramer verlieren, hier, denn wir verrichten unser Geschäft auch literarisch. Der erste offizielle Bloomsday fand 1954 statt. Und dieser Tag ist heute fast so wichtig wie St. Patricks Day.
Zum Bloomsday kann auf den Spuren der Figuren durch die Stadt gestreift werden, Gorgonzolabrot, Burgunder, Zitronenseife gehören dazu, da wären dann noch der Strand und die unanständigen Dinge, denen er sich hingibt, und das können nur Gedanken sein, denn nichts ist so unglaublich wie Gedanken.
Also der Bloomsday, das ist der Beginn des Siegeszuges von Wein und Literatur, der Beginn des Marketings in der Literatur, denn das muss einem einfallen. Einen Roman, der nicht zu derlesen, wie Elfriede Jelinek gesagt hat, so zu vermarkten. Es geht nicht um den Roman, sondern um die Vermarktung. Und das ist doch das Wesen, wir kaufen kein Sofa, sondern ein Lebensgefühl. Also da wird Literatur plötzlich breitenwirksam, und dann passt es einem Volksbildner nicht. Das ist doch wirklich nicht zu verstehen.
Ich bin froh, dass wir diese Ausstellung von Magdalena Steiner (Bilder ihrer Ulysses-Werkserie zieren oft die Rückseite des Augustin, Anm. d. Red.) die aktuelle haben, das ist etwas ganz Besonderes. Ein Unikat. Aber jetzt entdeckt auch die «echokom» (eine Werbeagentur, Anm. d. Red.) schon den Bloomsday, und wer sich outet und von seinen Leseerlebnissen berichtet, der bekommt ein Leibchen: I did it. Heute im Café Korb. Also ich bin nichts für Outings, das passiert doch sonst bei Vera oder am Sonntag Vormittag bei einem «Frühstück bei mir»?
«Bloomsday ist das nicht der erste Event?»
Lesen hat etwas mit Einsamkeit zu tun, aber das können wir heute wohl nicht mehr so richtig. Vielleicht bin ich konservativ. Bloomsday ist das nicht der erste Event? Ich bin wohl nichts für einen Bloomsday, aber was für einen Lesekreis, in Zürich gibt es einen, der trifft sich länger, als der Autor gebraucht hat, um den Roman zu schreiben, das ist doch eine Form des lebenslangen Lernens. Das ringt mir Achtung ab, und da gibt es dann noch die Frage nach der großen Verschlüsslung des Lebens. James Joyce hat dies versucht mit «Ulysses» und natürlich mit «Finnegans Wake». Den sollten Sie lesen, das ist ein literarisches Sudoku, Zeile für Zeile, aber das spielt nicht an einem Tag, sondern da ist die Menschheitsgeschichte in jedem Satz, habe ich verstanden.
Und wenn wir bei den großen Schlüsselfiguren sind, die verschlüsselte Literatur liefern, dann darf ich jetzt noch Thomas Pynchon nennen. Das ist ein Mann ohne Marketing, unbekannt, keine Lesungen, keine Fotos, keine Interviews, nur seine Literatur. Es gibt natürlich auch andere Literatur auch mit Marketing, aber sie bleckt ihre Zähne, und nicht wenige drängen in die erste Reihe und spielen freiwillig Jungfrau, um geopfert zu werden.