Mein Körper ist ein EreignisDichter Innenteil

Vagina wird Kult (Illustration: Jella Jost)

Cherchez la Femme (August 2023)

Über das Tanzen und Dani Brown bei Impulstanz

Als Zwanzigjährige ging ich ins Tanzforum in Wien tanzen, ich meinte es ernst. Dort begann gerade die Engländerin Liz King als bekannte Choreographin und Mitgestalterin Modern Dance zu unterrichten. Ihr Tanztheater Wien hatte in den 80er Jahren in dem kleinen Kreis dieser Szene Furore gemacht. Wir probten anspruchsvolle tänzerische Sequenzen, schwitzten, dachten an den Broadway und hielten unsere Körper für unvergänglich. Für mich als junge Frau, noch unentschieden welchen künstlerischen Weg ich gehen würde, waren es entscheidende Momente und sind berauschende Erinnerungen heute noch. Ich würde so gerne wieder tanzen. Aber wo ist das professionell möglich für ältere Künstlerinnen? Wo performen alte Tänzerinnen? Bei Impulstanz gab es heuer eine ältere Tänzerin zu sehen. Nur eine. Lucinda Childs. Ich war gerade nicht in Wien und mir brach das Herz, diesen Abend zu verpassen. Rauschte doch meine Vergangenheit durch meinen Kopf, in Reminiszenz an die Aufbruchsstimmung Anfang der 80er-Jahre in Wien. Raus aus dem Mief. Raus aus der Spießigkeit und dem Konservatismus. Es war meine Suche nach Aufgenommen-werden, nach Anerkennung und auch nach aufbrechendem Potenzial. Ich tanzte in der Folge bei einem bekannten englischsprachigen Tänzer während eines Castings vor, ich wollte eine Ausbildung beginnen. Ich gefiel ihm. Er war mir sehr sympathisch, da-ran kann ich mich noch erinnern, nicht aber mehr an seinen Namen. Ich zögerte jedoch noch länger, war zu schüchtern. Einige Zeit später hörte ich von seinem Tod. Er war eines der ersten AIDS-Opfer. Das professionelle Tanzen war mit seinem Ableben für mich gestorben. Es hatte mich getroffen. Ende der 80er-Jahre entwickelte sich endlich auch in Wien eine freie Tanzszene, die dazu im WUK mehrere Räume und Bühnen nutzte. Es entstanden damals auch das Festival «Tanzsprache» im WUK und etwas später das «Image-Festival» im Künstlerhaus. Die großen Themen dieses Zeitraums waren: Aufbau von Arbeitsbedingungen, strukturellen Grundlagen, neuen Räumen und Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten und Weiterbildung für den Tanz der Gegenwart.

Immer wieder grüßt der Tanz

Immer wieder packt mich das Tanzen, das Spüren und das Leben mit und in meinem Körper, an die Grenzen der Belastbarkeit gehen, der Freude, des Ausdrucks, der Lust. Mal war es ein Monat in Budapest während eines Butoh-Workshops mit einer Dozentin aus Japan. Da gehörten blaue Flecken zur Arbeit dazu. Mal traf ich auf Sufi-Tänze – das Drehen, das Wirbeln. War für mein Gleichgewichtssystem jedoch gänzlich unmöglich. Parallel dazu erlernte ich die Gurdjieff-Tänze. Strikt rhythmisch. Punktgenau. Synchron. Höchste Konzentration und Meditation für alle die am Familientisch im Schauspielhaus Wien damals beteiligt waren. Viel später danach setzte ich bei Biodanza an. Nach ein paar Jahren der suggerierten Süße – die mir durchaus gutgetan hatten – war es genug. Eine weitere Begegnung des Tanzes kam über einen Film, als ich auf der Suche nach Ausdruck für Schmerz und Tanztherapie war. Ich fand während meiner Recherchen Videomaterial der legendären Anna Halprin aus San Francisco. Nach einer Darmkrebsoperation hatte sie sich von der Bühne zurückgezogen. Sie entwickelte eine eigene Form der Tanztherapie, unter anderem für Krebs- und AIDS-Kranke. In den 90er Jahren kehrte sie zurück auf die Bühne. Sie schrieb eine Choreografie für Senior:innen im Schaukelstuhl und trat in dem Stück «Intensivstation» auf. In einem Solo tanzte sie auch wieder nackt – bekleidet nur mit einem Tuch, das ihren künstlichen Darmausgang bedeckte. Ich sah die Dokumentation über ihre Arbeit, ich sah und vor allem hörte ich ihre tänzerische, körperliche, stimmliche Auseinandersetzung mit ihrer Erkrankung, die sie auf eine Leinwand brachte und vor dem imposanten Gemälde ihren Krebs «tanzte», ihn inkorporierte, beziehungsweise exkorporierte. Das nimmt die Zuseher:innen mit. Das hinterlässt Spuren. Ich war erschüttert und tief beeindruckt. Ihren alternden Körper bespielte sie damals schon. Üblicherweise zeigt man die Spuren des Alterns am Körper nicht gerne und verdrängt Gefühle als auch Erfahrungen. Anna Halprin versucht, beides zusammenzubringen. Jeden Tag macht sie ein bestimmtes Bewegungsritual als ihre Form des Bodentrainings. Dennoch hinterlässt das Alter unerbittlich Spuren. Doch sie sagt: «Seht, was der Körper noch leisten kann – es ist immer noch interessant, immer noch bewegend und immer noch schön.» Wir haben alle die Bilder ewiger Jugend im Kopf. Die Werbung überhäuft uns mit diesen unerreichbaren Idealen. Anna Halprin ist ein erreichbares Ideal – dafür, wie wir bewusst und politisch altern können. Auch die bekannte österreichische Tänzerin Doris Uhlich fokussiert in ihren Arbeiten Alter und Körper.

Und dann kam Pina Bausch. Und Abramović.

Nun und dann kam Pina Bausch mit Nelken. In Bausch und Bogen hat es uns alle erwischt, das Volkstheater in Wien war gerammelt voll, die Billeteur:innen fragten gar nicht mehr nach unseren Tickets, man ließ das Publikum einfach rein, einfach irgendwo sitzen, sei es auf den Treppen, wo bis auf die letzte Stufe alles besetzt war. Dieser Abend war grandios. Erstens wegen der Öffnung des Hauses, kompromisslos für alle und jede:n. Zweitens wegen der Wuppertaler Tanzkompanie. Die Liste der Auszeichungen ist immens. Später verfiel ich Marina Abramović, die ich Jahre später jedoch wieder für mich entzauberte. Abramović ist keine Tänzerin, sondern Performerin. Wobei in heutiger Zeit Überschneidungen zum Profil dazugehören und Eindeutigkeiten in der Abgrenzung zu anderen Sparten gar nicht erwünscht ist. So ging es mir vor kurzem bei der hinreißenden Dani Brown im MQ in Wien. Ich sehe alles in ihr; Tanz, Comedy, Crossover von Stimme und Bodysound, Feminismus, Körperkunst, skulpturale Performance, Aktivismus, Farce. Und sowas von grandioser Uneitelkeit. Anhand dessen merke ich die lauten Zeichen der Zeit. Künstlerinnen sind nicht mehr zwingend einem Diktat von Narzissmus und gesteigerter Eitelkeit unterworfen, weil sich der Bezug zu ihrem Körper und seiner diversen Selbstverständlichkeit aus einem gestörten Gesellschaftsbild heraus entwickelt hat.
Jedoch Vorsicht, der Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Frauenbild und Zerstörung, Krieg und Körper-Entwertung entbehrt nicht einer wachsamen Beobachtung. Dani Brown zerstört jede Fantasie, die wir auf ihren Körper projizieren wollen – mit Witz und direktem Dialog. What would you do?, fragt sie immer wieder, What would you do? Das Klischee entweicht ihrem Mund: Getting hysterical! Get a megaphone, a microphone, on prime time – in television. … does anybody still watch tv? Ihre Körpersprache erinnert stark an Gollum aus Herr der Ringe, in Phasen, wo sie archaisch und komödiantisch agiert. Ein exquisit komponierter Elektro-Sound zieht das Publikum tranceartig hinein. Oder sie performt eine Burleske mit nacktem Unterkörper, denn die Hose streift sie irgendwann ab. Und dann, dann spricht das weibliche Geschlechtsteil, die Glitzer-Cunt, die kunstvoll gestaltete Vagina und ihr Arsch, den hält sie uns unvermittelt ins Gesicht, den Mut dazu hat sie in der Tat. Vagina und Arsch mutieren zu einem Gesicht. Blumen und Farben changieren in der Interaktion mit Floralem, die Blüte als pleasure, echte Schmetterlinge fliegen. Die Vagina spricht, die Beine fungieren als Arme und die Füße als Hände und gestikulieren zu dem, was die Vagina uns erzählt. Ja, Gott verehren wir – für unser Dasein, aber wir verehren nicht die Cunt, die Vulva, die Gebärmutter, aus der wir kommen! Ein Raunen ging durchs Publikum und ein erleichterndes Lachen .
Standing ovations. Völlig zu Recht. Und wo steht der Tanz heute? Wie möchten Menschen sich bewegen? Gleichstellung, Feminismus, Diversität, politischer Aktivismus, künstlerische Interventionen haben also doch etwas bewirkt, denke ich. Irgendwie macht es mich nur glücklich, eine junge Frau auf der Bühne zu sehen, die einen völlig anderen Bezug zu ihrem Körper hat, als ich je haben werde. Dani Brown entblößt nicht nur ihren Körper. Sie entblößt stereotypes Urteilen gegenüber Geschlecht. Auf leichteste, verspielte, verrückte Weise. Der Körper ist ein Kosmos im Universum, er treibt umher und wird gestaltet von Politik, Biologie und Mainstream. Zwischen diesen drei Begrifflichkeiten aber kann ich, muss ich tanzen. Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren (Pina Bausch).