Meine Herrschaften! Ich aber bin eine MarionetteDichter Innenteil

Illustration: Jella Jost. "Im Dunkel der Fäden, die uns ziehen"

Leben als Frau in Nepal

Ok, ich bin feministische Buddhistin. Mich hat die klare Psychologie und Philosophie des Buddha, des Dharma überzeugt. Sie enthält essenzielle Anweisungen, mit dem Geist und den daraus resultierenden Gefühlen umzugehen. So klar und vor allem praktisch kannte ich das von nirgendwo her. Selbst in meiner Indien-Yoga-Zeit im Ashram der kanadischen Wälder fand ich nur leeres Folgen, unreflektierten Glauben und Nachplappern vieler Regeln. Das hielt ich nicht aus. In buddhistischen Sanghas – das sind die unterschiedlichen Gruppen – oder auf Retreats (mehrere Tage intensiver Kontemplation, Meditation und Belehrungen) wird selten über die religiöse Ausübung der Menschen in den Ländern Asiens, im Besonderen Tibet, Nepal und Indien gesprochen. Oft erlebe ich in Gruppen eine Diktion des Zurechtrückens oder Ausblendens der oft gar nicht fröhlichen Realität der Frauen in den Ländern, wo Buddhismus und Hinduismus gelebt und praktiziert werden. Man will es hier primär «schön» haben, und es geht ausschließlich um das persönliche Wohl – wenn auch verdeckt und überspielt. Westliche Lifestyle-Praxis tendiert dazu, sich die guten Stücke rauszupicken aus dem Dharma, der Lehre, den Rest lässt sie liegen. Unverdaulich. Unverständlich. Mühsam. Ja, und überhaupt! Das Frauen-Thema ist so mühsam. Und das geht schon so lange. Und das geht immer weiter! Kann man das endlich ad acta legen? Nein! Jene Feminist_innen, und auch viele feministische Männer, die in der Privilegienverteilung ganz unten stehen, haben wenig zu verlieren, aber viel Erfahrung, wie die Welt von unten erlebt wird und verändert werden kann. Wir alle sind durch Machtverteilung zugerichtet und weit entfernt davon, eine gleichwertige befreite Gesellschaft zu sein. Und selbst Feminist_innen verbieten sich das Wort untereinander. Da gibt es Aufstand und Protest, wenn Alice Schwarzer an der Angewandten in Wien sprechen soll. Wieso grenzen sich die jungen Feminist_innen derart von der alten Generation ab – ohne mit ihr vorher zu verhandeln, sich zu konfrontieren, ja, ihr zuzuhören? Wissen sie denn nicht, dass sie auf jenem Boden stehen, den die «alte» Generation erkämpft hat, für Gesetze, die heute eine Selbstverständlichkeit für sie sind und von denen aus sie sich wieder neu formieren können.

Widerstand in der Familie überwinden

 

Regelmäßig erhalte ich den Newsletter des Republikanischen Clubs im 1. Wiener Bezirk und gehe zu Veranstaltungen, die eine klare politische Ausrichtung haben.

Auf der Suche nach dem eigenen Sein, autobiografische Erzählungen von Schriftstellerinnen aus Nepal, herausgegeben von der in Wien lebenden nepalesischen Autorin Alaka Atreya Chudal, war eine Aufforderung für mich, hinzugehen. Nachdem ich nie in Asien gewesen bin, interessieren mich persönliche Geschichten und Erlebnisse umso mehr. Und falls nächstes Jahr märchengleich das Füllhorn über mich ergossen werden sollte, reise ich nach Japan und Tibet. Aber hallo!
An diesem Abend im Club lesen Christa Nebenführ (Schauspielerin, Autorin und Journalistin), Judith Gruber-Rizy (Idee und Organisation), Linda Kreiss (Einführung und Textauswahl) und Alaka A. Chudal, die Herausgeberin des oben genannten Bandes. Wie immer bin ich zu spät, platze rein in die Veranstaltung, setze mich bemüht leise hinten auf einen freien Platz und bin schon ganz Ohr, was Text und Inhalt betrifft. Wumm! Gleich in medias res. Da, wo es auch mir so wehtut. Es geht in den Texten um die Erfahrungen nepalesischer Frauen, die sich allesamt nicht in ihre – von der Kultur vorhergesehene – Rolle fügen wollen, sondern sich beherzt die Möglichkeit zum Schreiben erkämpfen. Damit müssen sie oft enormen Widerstand in der Familie überwinden und in einem Fall sogar auf ihre Existenz und ihr Leben mit zwei Töchtern in Nepal verzichten und ausreisen. Es ist ein schweres Leben, höre ich raus. Es ist in manchen Situationen ein Leben, das ich selbst kenne aus den 60er-Jahren in Wien, wo wir jungen Mädchen alles andere als befreit waren, unter der Last der altvatterischen Nazis, bedroht durch patriarchale Gewalt. Ja, das habe ich in den 60ern erlebt. Aber ich wurde mit 16 nicht verheiratet. Ich wurde nicht behandelt wie ein Stück Vieh. Ich wurde gedemütigt und beschämt. Ja. Aber ich musste nicht in einen kalten dreckigen Stall, als ich menstruierte. Das wurde nicht verteufelt. Ich war keine Hexe, als ich rebellierte. Das Mittelalter war vorbei. Es gab Tampons und Binden. Und Aufklärung. Wenn auch in Maßen.

 

Meine eigene Tochter belügen (Manisha Gauchan)

 

«Mami wollen wir nicht auch zu Papa?», fordert meine Tochter schon wieder, als ich sie zu Bett brachte. […] Aber wie lange noch lügen? Heute wiederholt sie die Forderung. Diesmal wollte ich die tröstende Lüge aufdecken und ihr sagen: «Wir werden niemals dorthin gehen, wo dein Vater seine eigene Welt errichtet hat und sich amüsiert. Wir werden niemals jene Welt betreten.» Das ist eine bittere Wahrheit und eine Tatsache, die ich nie aussprechen wollte und konnte, aber heute würde ich ihr gern alles erzählen. […] Eine Trennung, mit der man nicht im Mindesten rechnet, verursacht eine solche Tragödie.
Beim Lesen von Manisha Gauchans Text kamen mir die Tränen. Man spürt die große Liebe einer Frau zu einem Mann, eine Frau und Mutter, die für sich und die Zukunft ihres Kindes kämpft. Für das Gebären einer Tochter wird im heutigen Nepal, besonders in ländlichen Gebieten, gegen alle wissenschaftliche Beweise, immer noch einzig die Frau und Mutter verantwortlich gemacht. Sie ist schuldig, sobald sie eine Tochter gebärt. Die Schuld, die diese Frau auf sich lädt, geht auf die gesamte Familie über. Diese Frauen tragen eine unfassbare Bürde. Die Familie gilt als unehrenhaft, wenn sie keinen Sohn hat, der unter anderem erben soll. Es existieren viele Rituale, die dafür sorgen sollen, dass Söhne geboren werden, wie zum Beispiel das Drehen von Baumwollschnüren (batti), was viel Arbeit ist und die mit Öl oder Butterfett getränkt und angezündet werden. Es gilt umso mehr als besonders hoher Verdienst, wenn es eigenhändig gemacht wird. Die Frauen schuften schwer in den Familien, dürfen erst essen, wenn alle anderen gegessen haben. Auch dürfen sie das Haus nie allein zum Einkaufen verlassen. Sie haben keine Autonomie, keinen Raum für sich, außer er ist schmerzlich erkämpft, mit hohem Risiko für sich und ihre Töchter.

Indem er meine Liebe in Frage stellte, versuchte er seine Schuld los zu werden. […] Schließlich waren wir geschieden. Ich forderte meinen Anteil nicht ein. […] Ich legte ein Versprechen ab: Ich werde von diesem Weg niemals mehr abweichen. […] Die glänzende Zukunft meiner Tochter ist mein einziger Gedanke, Herr Anwalt.

 

Wir leben nur den Bruchteil eines Ganzen (Jella Jost)

 

Da wo nepalesische Frauen heute stehen, standen unsere Ur- und Ururgroßmütter.

Da durften lange Haare nicht geschnitten werden. Mit Jungs zu sprechen war untersagt. Meine Urgroßmutter trug ihr schwarzes Kopftuch tagein und tagaus. Auch auf dem alten Foto sieht man die Hierarchien deutlich; sie sitzt, ihr Mann steht hinter ihr und legt beide Hände auf ihre Schultern. Man vergisst schnell, was bereits errungen wurde, und gewöhnt sich an Alltägliches, denn erst in den 70er-Jahren war es meiner Mutter möglich, ein eigenes Konto zu haben und somit selbstbestimmt und autonom im Außen zu handeln. Das Außen wurde ja als gefährlich für die Frau deklariert, weil Männer in den damaligen Gesellschaften – wahrscheinlich auch selbst daran leidend – sich in die nach außen militarisierte Männlichkeitspotenz pressen mussten und ihre Frauen und ihre Kinder im Gegenzug verhäuslichten. Sieht man aktuelle Zahlen an, nämlich 10 Millionen Budget für die Frauenministerin und 2,42 Milliarden für das Heer 2020, so brennt sich diese Gewichtsverlagerung, die irgendwann in ferner oder naher Zukunft unseren Planeten in mordsmäßige Schieflage und möglicherweise zum Kippen bringen wird, in das fühlende und denkende Hirn ein. Ich hoffe immer noch. Auf den Mut der Zivilbevölkerung.
Sharmila Khada schreibt: Wie ich haben vielleicht Frauen aus anderen Bereichen ihre je eigene Geschichte. Mein Leben ist wie ein Meer der Geschichten. […] Eines überrascht mich immer wieder – warum ist es so und wie kam es dazu, dass in den nepalesischen Dörfern und Bergen so viele Tempel für Göttinnen errichtet wurden? Chinnamasta, Siddhakali, Chintangdevi, Pathibhara, Kankalini Bhagavati, dies sind nur einige Namen weniger Tempel in Ost-Nepal. […] Die nepalesische Gesellschaft fürchtet sich mehr vor der Seele der Verstorbenen als vor Lebenden. Viele nepalesische Frauen sterben qualvoll im frühen Alter und einige werden getötet. Alle diese Devi- und Kali-Tempel wurden wahrscheinlich für den Frieden ihrer Seelen errichtet. Immer noch sterben Frauen und werden getötet, zum Beispiel in den Bergen im Kindbett oder im Tarai für die Mitgift. […] Meine Feder wird immer weiterschreiben, um die Bürde der Frauen zu beseitigen, und sie schreibt immer weiter … und schreibt weiter …

 

Buchinfo:

Auf der Suche nach dem eigenen Sein
Frauen aus Nepal erzählen
Übersetzungen aus dem Nepalesischen von Johanna Buß und Alaka Atreya Chudal
122 Seiten, 14 Euro

Zu beziehen bei alaka.chudal @ univie.ac.at