Meine kleine StreunerinDichter Innenteil

(Foto: H. Ithaler-Muster) Lisa war das kleinste von den Katzenkindern

Lisa ist mir nun nach 19 Jahren besonders ans Herz gewachsen. Sie ist nicht bloß irgendeine Katze. Sie hat eine so gute Seele, wie ich sie bei keinem anderen Vierbeiner noch bemerkt habe. Durch sie bin ich auch der Überzeugung, dass Tiere sprechen können, Gefühle haben und sogar fähig sind, zu denken. Vielleicht liegt es auch daran, wie ich Lisa behandelt habe. Ich gab ihr meine ganze Liebe und Aufmerksamkeit und widmete ihr meine Freizeit.

Seit einem Jahr kränkelt mein Schatz. Wenn sie ihre Medikamente hat, frisst sie mit Appetit und macht alles, was zu einem gesunden Katzenleben gehört. Sie putzt sich, schärft ihre Krallen am Kratzbaum, ist gerne in meiner Nähe, mag Besuche in unserem Zimmer, liebt es, gestreichelt zu werden und sie schnurrt sehr viel. Irgendwann wird aber, ob kurz oder lang, der Tag kommen, an dem ich werde Abschied nehmen müssen.
Eine bedingungslose Liebe, wie sie kein Mensch geben kann, entstand zwischen uns schon am ersten Tag. Das war mir klar, als ich sie im September 2000 in Leutschach holte, nachdem sie sich in der alten schmutzigen Garage zwischen dem geschnittenen Holz einen Weg bahnte und kläglich miaute. Sie hatte mich ausgesucht. Sie war das kleinste von den Katzenkindern und ich entschied mich sofort für sie.

13 Jahre war sie im alten Haus, wo wir früher wohnten, eine Freigängerin. Sie erkundete mit viel Freude die Umgebung. Sie grub Löcher in den Erdboden, sie kletterte auf hohe Bäume, sie jagte Mäuse, Schlangen und legte die Beute auf unseren Teppich vor unserem Doppelbett. Sie spazierte am frühen Morgen beim Notausgang nach draußen und verschwand hinter den hohen Gebüschen. Am Abend kratzte sie pünktlich um 20 Uhr wieder an dieses Fenster und mein Mann Johannes ließ sie herein. Das war ihr Tag. Ein jahrelanges Ritual, bei dem ihr nie etwas passiert ist, obwohl vor dem alten Haus Straßen verliefen, die stark frequentiert wurden. Vor sechs Jahren zogen wir dann in ein neu erbautes Wohnheim, einige hundert Meter weiter. Natürlich war alles neu und schön, aber für meine Katze lauerten hier viele Gefahren. Schnell fahrende Autos gleich um die Ecke, viele verwirrende Wege und Treppen, wo Lisa sich nicht zurecht gefunden hätte. Schweren Herzens fasste ich den Entschluss, mit Rücksicht auf ihre Sicherheit, aus Lisa eine Wohnungskatze zu machen.
Von ihren Ausflügen am Korridor kam sie immer brav zurück – bis auf ein einziges Mal. Vor zwei Jahren kam sie nach einem abendlichen Ausgang nicht mehr nach Hause. Die Zimmertür blieb bis am Morgen offen, doch keine Spur von meiner Katze. Es hatte wohl jemand es gut oder doch nicht so gut gemeint und ihr die Notausgangstür geöffnet.

Die Heimbewohner mobilisierten sich und suchten nach Lisa. Ich war sehr traurig, die Nächte waren am schlimmsten. Das erste Mal ohne Lisa neben mir. Mir fehlte das allabendliche Zeremoniell mit ihr, das Schnurren, das Liebkosen, meine Nase und meinen Mund in ihrem weichen Fell, der Geruch von ihr, das Gefühl von einem belebten Raum.

Alle suchten nach ihr, doch sie blieb verschollen, wie in Luft aufgelöst. Die Tage vergingen, zwar langsam, aber sie vergingen irgendwie. Nach einer Woche erzählten mir Mitbewohner, dass sich eine getigerte Katze, die aussah wie meine, immer wieder aus dem angrenzenden Wald unserem Haus näherte. Irgendwie keimte in mir wieder ein Stück Hoffnung …

An einem bewölkten Tag, kurz nach dem Mittagessen, kam plötzlich ein Bewohner auf mich zu und er gestikulierte ganz aufgeregt mit seinen Händen und deutete immer wieder auf die Kanalröhre, unweit von der Terrasse. Dort unten würde Lisa hin und herlaufen, ängstlich herausschauen und man zögerte, sie abzufangen. Langsam näherte ich mich dieser Röhre … Mein Gott, das war tatsächlich Lisa! Mit großen fragenden Augen sah sie mich an und ihr Blick sprach Bände. Er bat um Verzeihung und um Futter! Ein junger Kollege brachte mir schnell einen Beutel Katzenfutter und ich hielt es ihr hin. Sie reagierte sofort darauf und kam ein Stück näher an mich heran. Ich nutzte diese Chance und meine Hände umschlossen dieses kleine geliebte Fellknäuel und ich wäre vor Aufregung beinahe umgefallen. Ich lief wie von der Tarantel gestochen und wie von Sinnen rief ich immer wieder: «Die Lisa ist da!» Was für eine Rettungsaktion, was für eine Aufregung! Lisa wurde sofort erstversorgt, ich fütterte sie, behutsam streichelte ich sie immer wieder und ich sagte in einem beruhigenden Ton: «Alles gut, Lisa, alles gut!» Sie war sehr schwach und müde. Vielleicht hatte sie für ein paar Tage die Natur und die Freiheit genossen, doch heute war unser großer Tag. Lisa wurde mir ein zweites Mal geschenkt.

Was sie wohl erlebt hat, hat sie sich mit den Rehen und den Hasen unterhalten, hat sie in einem Vogelnest geschlafen, wurden andere Tiere ihre Freunde? Was hat sie gefressen? Viele Fragen kamen mir in den Sinn, aber sie werden Lisas Geheimnis bleiben. Es ist gut so! Seit diesem Tag vor zwei Jahren hatte Lisa nie mehr das Bedürfnis, ins Freie zu gehen. Ich war so glücklich, sie wieder zu haben. Ich denke manchmal, wie es wohl sein wird, wenn sie nicht mehr in mein Bett hineinspringt …

Meine Katze Lisa hat vor einigen Wochen ihre Augen für immer geschlossen. Dieses Porträt ist eine bearbeitete und gekürzte Version eines Texts aus meinem 2020 erschienenem Buch «Leise flüstert die Seele».

 

 

Translate »