Meine Tochter war ein MunieDichter Innenteil

Tagebuch einer Befreiungsaktion.Teil 1

Die Mun-Sekte oder Vereinigungskirche war in den 70er Jahren eine der am aggressivsten agitierenden Jugendsekten. Sie wurde 1954 vom Koreaner Sun Myung Mun gegründet, der sich als zweiter Messias feiern lässt. Mun konnte sich mit den Fundraising-Aktivitäten seiner JüngerInnen ein großes Wirtschaftsimperium aufbauen. Auch Waffen befinden sich in seinem Sortiment. Heute ist die Mun-Vereinigung keine Jugendbewegung mehr. Mun und viele seiner AnhängerInnen sind in die Jahre gekommen. Sie sind aber immer noch aktiv. Hauptsächlich in den USA und in Asien, auch in Europa, zunehmend in Osteuropa. Die Bewegung ist politisch extrem rechts und antikommunistisch und besteht heute aus vielen Unterorganisationen, die auf den ersten Blick nicht auf Mun schließen lassen: Föderation für den Weltfrieden, Forum Ost, die Studentenorganisation CARP oder pure love, eine Bewegung für Enthaltsamkeit vor der Ehe.Bevorzugtes Ziel der Agitation sind damals wie heute Jugendliche. Im günstigsten Fall RucksacktouristInnen auf der Durchreise, ohne Bindung, leichte Beute. Wie Barbara, 20, Medizinstudentin aus Wien. Sie war 1979 für eine vierwöchige Rundreise in die USA gefahren. Zwei Jahre zuvor hatte sie ein Jahr als Austauschschülerin in der Nähe von Chikago verbracht. Nun wollte sie Familie und FreundInnen von damals besuchen und noch einige ihr unbekannte Ecken der USA kennen lernen. In San Francisco angekommen, wurde sie von zwei sympathischen jungen Menschen, Trevor und Lionel, auf der Straße angesprochen, die ihr eine günstige Wohnmöglichkeit in einem Jugendzentrum anboten. Sie freute sich über die nette Gesellschaft, denn sie war des Alleinreisens schon überdrüssig. Das Jugendzentrum wirkte wie eine große gemütliche Wohngemeinschaft, die Menschen offen, interessiert und von einer ansteckenden Fröhlichkeit. Ihr Nachtquartier war das Zentrum der Mun-Sekte in San Francisco. Eineinhalb Monate später reisten Barbaras Eltern und Fritz, Barbaras damaliger Freund, nach San Francisco, um sie da wieder rauszuholen. Barbaras Mutter schrieb ihre Erlebnisse in ein Tagebuch. Auszüge davon sind hier und in den nächsten Ausgaben zu lesen.

6. April 1979

San Francisco. Ich sitze am Strand mit Barbara. Es ist drei Tage her, dass wir sie aus dem Camp geholt haben. Wenn ich zusehen muss, wie sie leidet, dann hasse ich sie, diese Munies, nicht die Einzelnen, die können einem ja alle auch leid tun. Sie sind genauso verblendet und glauben daran. Was übt dieser Mun für eine Macht aus? Wie ist es möglich, Menschen derart in seine Gewalt zu bringen, sie so zu manipulieren? Ich hoffe und bete zu Gott, dass Barbara diese schreckliche Zeit ohne Schaden überwinden kann. Es war nichts Schreckliches in der Gemeinschaft, und doch wurde irgendetwas in ihrem Inneren zerstört. Ich kann mir auch vorstellen, dass es furchtbar ist, wenn man draufkommt, wie einseitig alles war, an das man so bedingungslos geglaubt hat. Sie sagt, sie hätte durchaus immer wieder viele Zweifel gehabt, doch die wurden wieder verdrängt durch Vorlesungen, Beten, Gespräche etc. Da sie ja ununterbrochen beschäftigt werden, sehr engagiert und praktisch nie allein sind, bleibt ihnen nicht viel Zeit zum Nachdenken. Es tut nur so weh zu sehen, wie sie leidet, wie sie verzweifelt ist. Und du kannst nicht helfen. Ich komme mir tatsächlich so hilflos vor. Ich kann ihr zuhören. Ich versuche sie durch Fragen zum Reden zu bringen. Aber es ist schwer, den richtigen Zeitpunkt zu finden, etwas zu sagen oder zu schweigen. Es tut mir Leid, dass ich nicht besser mit ihr diskutieren kann, da ich ja selbst in der Bibel nicht beschlagen bin und ich ja, ehrlich gesagt, den Dingen nie so auf den Grund gehe wie sie. Sie tut mir Leid, dass sie diese Dinge erleben musste und mit ihr alle, die dort so leben. Ich kann meine Gefühle gar nicht beschreiben. Ich hasste sie, ja, ich hasste sie, als wir dort auf der Brücke, am Eingang zum Camp stundenlang um sie kämpften. Besonders Nicholas hätte ich am liebsten erwürgt. Manchmal dachte ich, ich drücke ihm die Gurgel zu, wenn er noch etwas sagt. Heute sehe ich es anders, er wollte sie ja retten in seinem Sinne, und ich glaube nicht, dass er ihr Schlechtes wünschte. Sie können ja selber nicht mehr unterscheiden, was richtig ist und was nicht.

Es ist alles so furchtbar schwierig. Wenn ich denke, uns haben sie eingeschärft, keine Deprogrammer (ehemalige Munies, die spezialisiert sind, die Gehirnwäsche aufzubrechen) zu nehmen, die Geld verlangen. Doch nun verlangt Gary, den wir engagiert haben, Geld. Hoffentlich ist er kein Verkehrter. Es ist nicht wegen des Geldes, sondern es geht nur darum, dass wir nichts Falsches machen. Doch wir müssen uns hier ganz auf Henriette Crompton und Dr. Valentin (Mun-ExpertInnen in San Francisco und Wien) verlassen. Von wem sonst sollten wir die richtigen Adressen bekommen? Ich bin nur neugierig, ob wir Barbara verheimlichen können, dass Gary ein Deprogrammer und damit für Munies die Verkörperung des Teufels ist. Sollen wir oder nicht? Was ist falsch, was richtig?

Mir tut sie ja schon heute Leid, wenn sie später, wenn sie wieder zu denken beginnt, erkennen wird, wie viel Geld uns das gekostet hat. Sie macht sich ja oft so viele Gedanken und ist so sparsam. Aber was ist Geld in diesem Fall? Was nützt es dir, wenn du Geld in Hülle und Fülle hast und deine Tochter dort lassen musst, wie es ja schon so vielen Eltern passiert ist. Es ist kaum auszudenken! Und ich bin mir sicher, wenn sie im Camp geblieben wäre und wir ohne sie zurück müssten, wir würden es wieder versuchen. Wir haben viel Glück bei der Sache gehabt. Und ich danke Gott, dass es so ausging. Gleichzeitig bin ich auch überzeugt, vorbei ist es noch lange nicht. Ich will mich bemühen, sie zu verstehen, und ihr zeigen, wie gern wir sie haben. Doch ob das genügt?

Eines war uns jetzt klar, je länger wir zuwarten, desto schwieriger wird es, sie wieder rauszubekommen

So viel ist passiert in den letzten Tagen. Wie hat alles angefangen? Es war der 25. März, um genau 23:44 läutete das Telefon. Roman lief hinunter. Babsi! Ich nahm an, dass sie bereits in Wien angekommen sei. Ich war so wahnsinnig müde. Da rief mich Roman, ich solle doch endlich kommen und mit Barbara reden. Da erst wurde mir klar, dass sie noch in Amerika ist. Sie weinte sehr viel und erzählte uns, dass sie noch dort bleiben wolle. Auf meine Frage, wie lange, sagte sie, ich weiß es nicht, einige Monate. Was machst du dort? Ich muss so viel lernen. Ja was? Das kann ich nicht erklären. So ging unser Gespräch dahin. Ich liebe euch, ich komme wieder zurück. Aber wann? Das weiß ich nicht. Da wurde es mir zu bunt und ich wurde energisch. Barbara, was ist los? Da war es plötzlich aus. Ich hörte noch einen kurzen Laut, dann Stille. Ich kann gar nicht beschreiben, was ich fühlte. Ich dachte, wenn sie sich jetzt etwas antut usw. Da läutete es wieder. Sie war es. Ich fragte sie, ob sie allein sei? Nein. Aber wenn du willst, kann ich auch sagen, sie sollen hinausgehen. Das nützt sowieso nichts, dachte ich mir.

Wir telefonierten etwa eine Stunde, viele Tränen, Erklärungen, sie wolle heimkommen, aber wann, wisse sie noch nicht, lange Pausen dazwischen. Am Schluss stand fest, sie bleibt. Sie nannte mir nur noch eine Adresse in Wien, die Unification Church in der Graf-Seilern-Gasse. Wie diese Nacht vergangen ist, weiß ich nicht. In der Früh sagte Roman, komm wir fahren hin, wir schauen uns das an. Es war ein schönes, renoviertes Haus. Es war aber kein Hinweisschild zu sehen. Im Garten nebenan arbeitete ein Mann. Ich sprach ihn an. Er sagte, ja das ist die Vereinigungskirche, gleichbedeutend mit der Mun-Sekte. Ich war zu Tode erschrocken. Über die hatte ich bereits gelesen. Der Mann sagte, ich glaube nicht, dass es leicht sein wird, jemanden da rauszuholen. Das höre man zumindest. Wir fuhren zurück in die Firma. Nun wussten wir, dass uns eine schreckliche Zeit bevorstehen würde, aber wie schlimm es tatsächlich werden sollte, konnten wir doch nur ahnen.

Am Nachmittag gingen wir in das Wiener Referat für Weltanschauungsfragen, zu Frau Dr. Valentin. Hier erfuhren wir dann sehr vieles, bekamen Bücher und auch Adressen von Personen in Amerika, die wir kontaktieren konnten. Für uns stand sofort fest, wir fliegen hinüber. Denn eines war uns jetzt klar, je länger wir zuwarten, desto schwieriger wird es, sie wieder rauszubekommen. Viele verschwinden, hörten wir, werden zum Beispiel bei Massenhochzeiten verheiratet und der Kontakt zu den Familien reißt ganz ab. Ich rief Fritz (Barbaras Freund) an, auch er war entsetzt. Er hatte schon lange nichts von ihr gehört. Ich gab ihm die Telefonnummer Barbaras in San Francisco. Um fünf Uhr früh rief er sie an. Sie freute sich sehr, sprach lange mit ihm. Aber sie wollte auch ihm nicht versprechen, dass sie bald heimkommt. Er sagte auch, ich komme hinüber und hole dich. Sie sagte nur, ruf mich bitte morgen wieder an. Er rief sie an. Mehrmals. Einmal hieß es, sie sei in der Kirche, einmal, sie sei irgendwo draußen und das nächste Mal, sie sei überhaupt nicht da.

Wir hatten inzwischen mit Jenny (ehemalige Austauschschülerin aus Philadelphia, die vier Jahre zuvor ein Jahr bei der Familie in Österreich gelebt hatte) und ihren Eltern Kontakt aufgenommen und bereiteten unsere Abreise vor. Am Abend kam Fritz schon mit seinem Koffer. Um Mitternacht rief Fritz Mutter an, Barbara hätte angerufen. Jetzt langes Bangen: Wird sie auch zu Hause anrufen? Ja, endlich. Und wir redeten und redeten endlos alle auf sie ein. Wir erzählten ihr aber nichts von unserer bevorstehenden Reise, wie uns geraten worden war. Im Gegensatz zu den anderen Gesprächen weinte sie diesmal nicht, sie sprach aber so monoton dahin, ja, ja, nein, ja. Am nächsten Tag rief ich im Außenministerium an. Ich sprach mit einer Frau Eagelston. Sie war entsetzt, sie kannte die Munies und sagte, die nächste Zeit werde für uns sicher nicht einfach werden. Sie schickte ein Fernschreiben an das Konsulat in San Francisco, an das wir uns wenden sollten, und wünschte uns viel Glück. Am Dienstag Nachmittag brachten uns die Kinder zum Flughafen und verabschiedeten uns. Um 17:15 Ortszeit waren Roman, Fritz und ich in New York. Jenny erwartete uns am Flughafen.

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